Der Sozialstaat als Brandbeschleuniger

In vielen Industriestaaten haben in den vergangenen Jahren ausländerfeindliche Parteien einen starken Aufschwung erlebt. Als Erklärung dafür bedient man sich in öffentlichen Debatten oft eines einfachen Narrativs. Laut diesem sorgt die Globalisierung für viel Unsicherheit und einen internationalen Wettlauf um die tiefsten Löhne und Sozialstandards. Dies stärkt wiederum Abwehrreflexe gegenüber Ausländern. Als Therapie gegen diesen Unmut wird ein Ausbau der Sozialpolitik empfohlen, um auf diese Weise die «Globalisierungsverlierer» für ihre Verluste zu kompensieren und die soziale Kohäsion im Land zu stärken.

Allenfalls macht der Ausbau des Wohlfahrtsstaates aber alles nur noch schlimmer. Zu diesem Resultat kommt der jüngste Jahresbericht zum Index für wirtschaftliche Freiheit. Dieser Index wird vom Fraser Institute in Kanada zusammen mit 90 Organisationen (in der Schweiz das Liberale Institut) erstellt. Die Analyse von 27 OECD-Staaten zwischen 1990 und 2014 zeigt dabei, dass der Aufstieg ausländerfeindlicher Parteien nicht erklärt werden kann mit dem Zuwachs der Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Vielmehr hatten diese Parteien primär dort Auftrieb, wo die soziale Absicherung und der Wohlfahrtsstaat stark ausgebaut sind.

Ausländerfeindliche Stimmung wird demnach durch «Wohlfahrtsstaats-Chauvinismus» angetrieben. So werden Zuwanderer in Ländern mit besonders hohen Sozialausgaben und Arbeitslosengeldern nicht zuletzt als Trittbrettfahrer empfunden, die den Sozialstaat schröpfen und den Wohlstand der Einheimischen gefährden. Stimmt diese Diagnose, führt eine Aufblähung des Sozialstaates nicht zu mehr gesellschaftlichem Frieden, sondern zu mehr Ressentiments gegenüber Ausländern. Ähnliches diagnostizierte vor vielen Jahren schon Milton Friedman. Der bekannte Ökonom betonte stets, man könne freie Zuwanderung haben oder einen Wohlfahrtsstaat — aber nicht beides.

Thomas Fuster, Neue Zürcher Zeitung

30. September 2017