Ringen um den Schweizer Gesundheitssektor

Planwirtschaftliches Denken verteuert das Gesundheitssystem. Die Diskussionen auf dem Symposium des Liberalen Instituts zeigen, dass neue Umverteilungen und weitere Bürokratie keine Lösungen darstellen. Gezielte Solidarität in Kombination mit mehr Wettbewerb wäre ein Ausweg.

An dem Ende vergangener Woche vom Liberalen Institut in Zürich veranstalteten Symposium zum Schweizer Gesundheitswesen zeigte sich einmal mehr, wie zerstritten die Situation hier mittlerweile ist. An welcher Stellschraube im System man auch dreht, engt man lediglich die Bewegungsfreiheit oder «Pfründe» eines anderen Mitstreiters ein. Mit jeder weiteren Massnahme würde so die ganze Misere nur noch verstärkt oder die Situation verkompliziert, so dass keiner der Akteure überhaupt noch das ganze System begreift. Mancher Teilnehmer sah in einigen Bereichen die Grenzen der Umverteilung bereits erreicht.

Geflecht aus Interessen

An Vorschlägen zur Verbesserung mangelte es am Symposium aber nicht. Allerdings sah fast jeder Referent nur Potenzial beim anderen: Experten der Wissenschaft monierten wirkungslose Medikamente, Teilnehmer der Krankenkassen beklagten willkürlich diktierte Reservesätze, Vertreter der Pharmaindustrie kritisierten die Preisregulierung für ihre Heilmittel, ambulant agierende Ärzte seufzten über die Verschwendung in den Krankenhäusern, und die Fürsprecher der Spitäler tadelten die komplizierten Fallpauschalen.

Die Schweiz soll eines besten Gesundheitssysteme der Welt haben. Dennoch gibt es offenbar überall Grund zur Unzufriedenheit. Dabei verhielten sich alle Akteure nur rational und nutzten das System auf ihre Weise aus, wie eine Vielzahl der Vortragenden darlegte. Hinzu komme stets mehr Bürokratie. So zeigte beispielsweise Robert Leu, Professor an der Universität Bern, anhand der neuen Spitalfinanzierung, dass die Interventionslust der Kantone eher eine Verstaatlichung der Spitäler fördere, statt dass man sich auf einen freien Wettbewerb und Wirtschaftlichkeit konzentriere.

Zahnärzte reagieren schneller auf Kundenwünsche

Am Symposium wurden aber auch Lösungsansätze diskutiert, die nicht einfach nur neue Rochaden der Umverteilung oder weitere bürokratische Hürden schaffen würden, sondern einen Ausweg aus der Misere bringen könnten. Wie zum Beispiel der Direktor der Stiftung Diakoniewerk Neumünster, Werner Widmer, in seinem Vortrag darlegte, gibt es bei einem Vergleich der Versorgungsdichten für ambulante Ärzte und Spitalbetten eine Vielzahl an Differenzen innerhalb der Wirtschaftsregionen der Schweiz. Betrachte man dagegen die Versorgung bei Zahnärzten, so nähmen diese Unterschiede innerhalb der Regionen von über 70% auf unter 30% ab, weil Zahnärzte direkt auf die Präferenzen ihrer zahlenden Kundschaft eingingen. Mehr Wettbewerb

Ausserdem untersuchte Widmer die Kostenentwicklung der Krankenversicherung für den öffentlichen Bereich und den Teil der privaten Gesundheitsausgaben im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt (BIP) für die Jahre 2000 bis 2009. Hierbei zeige sich, dass die privat finanzierten Gesundheitskosten mit einem Plus von 29% im Einklang mit dem Wachstum des BIP stehen (+27%), während die Steigerung bei zwangsweise erhobenen öffentlichen Gesundheitsausgaben mit 54% deutlich über dem Wachstum des BIP liegt. Dies begründet Widmer damit, dass das Wachstum im öffentlichen Bereich nicht auf den Präferenzen der zahlenden Kunden beruhe.

Wo die individuellen Präferenzen der Menschen für eine Behandlung und die direkt dafür zu zahlende Versicherungsprämie eine Rolle spielen, steigen die Ausgaben analog zum BIP.

In einem Punkt, dem Prinzip der Solidargemeinschaft bei schweren Erkrankungen, waren sich aber alle Teilnehmer einig. Die gemeinsame Umsetzung dieses Prinzips wird nun die grosse Herausforderung sein.

Rico Kutscher, Neue Zürcher Zeitung

5. Juni 2012