Ein Interview von Olivier Kessler, Direktor des Liberalen Instituts, mit Thorsten Polleit, Herausgeber von «Dr. Polleits BOOM & BUST REPORT». Thorsten Polleit wird an der LI-Konferenz vom 29. Oktober 2025 zum Thema des liberalen Investierens in Pfäffikon SZ als Referent auftreten. In diesem Interview geht es um Krisen, Geld, Inflation und darum, wie man sein Geld in unsicheren Zeiten richtig investiert.
Olivier Kessler: Viele kennen Dich als Ökonomen, der die Österreichische Schule der Nationalökonomik lehrt und verbreitet. Was aber viele vermutlich noch nicht wissen: Seit April 2024 gibst Du auch eine 14-tägig erscheinende Publikation «Dr. Polleits BOOM & BUST REPORT» heraus. Was hat Dich dazu bewogen?
Thorsten Polleit: Über viele Jahre hinweg habe ich mit vielen verschiedenen Geldanlegern aus aller Welt zusammengearbeitet. Dabei habe ich immer wieder festgestellt: Es sind viele falsche Theorien und irreführende Gedanken im Umlauf, und viele Investoren lassen sich ablenken von für sie unwichtigen Themen, und all das erschwert es ihnen, eine angemessene Rendite auf ihr Kapital zu erzielen. Und so habe ich mich entschlossen, den BOOM & BUST REPORT herauszugeben. Eine aufklärende, augenöffnende Publikation, wie ich meine, die den Geldanleger wirklich unterstützt, ihn seinen Zielen näherbringt. Unabhängig, der Wahrheit verpflichtet, renditeorientiert.
Die Phänomene «Boom» und «Bust» erinnern mich sogleich an ein Herzstück der «Österreichischen Schule». Dass nämlich die Ausgabe von ungedecktem Geld und die Zinsmanipulation der Zentralbanken für Wirtschaftsstörungen und Krisen sorgen. Liege ich da richtig?
Ja, in der Tat. Der BOOM & BUST REPORT bezieht seinen Namen genau aus diesem wichtigen Theoriebeitrag der Österreichischen Schule der Nationalökonomie. Die Welt, die wir vorfinden, in der wir unsere Einkommen verdienen und Ersparnisse anlegen, ist eine, die massgeblich vom Fiatgeld geprägt ist. Und das Fiatgeld hat viele Übel im Gepäck. So ist es inflationär, sozial ungerecht, es treibt die Verschuldung in die Höhe, lässt den Staat immer grösser und mächtiger werden. Es sorgt vor allem immer wieder für Krisen — nach dem Motto «Erst Boom, dann Bust» —, die bestimmte Eigenschaften haben: Sie treffen nicht nur einige Wirtschaftssektoren, sondern alle; und sie suchen die Investitionsgüterindustrie meist stärker heim als die Konsumgüterindustrie. Die Zinsmanipulationen der Zentralbanken verursachen Überkonsum und Kapitalfehllenkungen mit meist globaler Erstreckung. Für den Geldanleger sind das alles sehr wichtige Einsichten, die er in seine Investitionsentscheidungen einbeziehen sollte, und so dachte ich, «BOOM & BUST» wäre doch ein passender Titel für meinen REPORT.
Derzeit gibt es viele Themen wie zum Beispiel US-Importzölle, Ent-Dollarisierung, BRICS, De-Globalisierung. Wenn Du nun aktuell gefragt wirst, was würdest Du als die grösste Herausforderung für den Geldanleger herausstellen?
Aus meiner Sicht ist die Inflation, also die Kaufkraftentwertung des Geldes, eine der zentralen Probleme für den Geldanleger. Und genau aus diesem Grunde rate ich auch Investoren, sich von der «Geldillusion» zu befreien, das heisst: eine Rendite auf das eingesetzte Kapital zu erzielen, die nach Abzug der Inflation positiv und dabei möglichst hoch ist. Wie aber lässt sich eine möglichst hohe positive Realverzinsung erzielen? Das ist keine einfache Sache. Aus meiner Sicht eignet sich dazu das Investieren vor allem in, wie ich sie bezeichne, Firmen mit inflations-resistenten Geschäftsmodellen. Gemeint sind damit Unternehmen, die auch in inflationären Phasen erfolgreich wirtschaften können. Und nicht alle Firmen sind dazu in der Lage.
Würdest Du also Aktien als Inflationsschutz empfehlen? Man liest und hört häufig, Aktien würden, anders als Anleihen, nicht durch die Inflation entwertet. Oder ist die Sache komplizierter?
Aktien sind nicht per se ein Inflationsschutz. Das kann, muss aber nicht so sein. Die meisten Firmen leiden sogar unter Inflation. In Inflationsphasen können ganze Firmenmodelle entwerten, die Aktienkurse entsprechend enttäuschen. Aber es gibt auch Firmen, die mit Inflation vergleichsweise gut umgehen können. Und das sind Firmen mit inflations-resistenten Geschäftsmodellen. Sie zeichnen sich beispielsweise dadurch aus, dass sie erhöhte Produktionskosten auf ihre Absatzpreise überwälzen, ihre Gewinnmarge in inflationären Zeiten halten können. Oder: Inflations-resistente Firmen arbeiten mit relativ wenig Kapitaleinsatz, sind «Asset light». Sie entgehen so der Kostenfalle, die in inflationären Phasen kapitalintensiven Firmen entstehen, die hohe Ersatzinvestitionen durchführen müssen. Es gibt natürlich noch weitere Kriterien, die bei der Auswahl von geeigneten Firmen berücksichtigt werden müssen.
Bei dem Thema Inflation drängt sich natürlich das Gold auf. Du bist ja auch bekannt für Deine Empfehlung, dass Anleger das gelbe Metall halten sollten. Ist das immer noch so, oder hat sich Deine Einschätzung geändert?
Es war vor knapp 25 Jahren, übrigens auf einer Investorenkonferenz in Zürich, als ich erstmals öffentlich das Halten von Gold empfohlen habe. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Damals, mit dem Platzen des «New-Economy»-Hypes 2000/2001, wurde mir klar, dass etwas mit dem weltweiten Fiatgeldsystem nicht stimmt. Gold erschien mir als das «echte Geld» und mit einem Preis von weniger als 300 USD/oz unterbewertet. Seither ist der Preis einer Feinunze Gold in US-Dollar gerechnet um durchschnittlich 10 Prozent pro Jahr gestiegen. Das gelbe Metall hat den Anleger so gesehen nicht nur gegen den Kaufkraftverlust des Fiatgeldes geschützt, es hat auch einen realen Wertzuwachs erzielt. Im BOOM & BUST REPORT verfolgen wir den Goldmarkt sehr genau, versuchen die Leser in verschiedenen Marktphasen mit den richtigen Empfehlungen zu unterstützen. Gold und teilweise auch Silber sind ein Element, um eine positive reale Verzinsung auf das eingesetzte Kapital zu erzielen.
Es gibt Prognostiker, die eine grosse Krise sehen, die einen Dollar-Crash oder den Euro-Untergang an die Wand malen. Was hat es damit auf sich? Muss man das ernst nehmen, und wie kann und sollte man als Geldanleger darauf reagieren? Sind da Aktien überhaupt noch das richtige?
Das weltweite Fiatgeldsystem ist zweifelsohne krisenträchtig. Allerdings können die Regierungen und ihre Zentralbanken — und das sollte der Investor stets bedenken — noch einige Kaninchen aus dem Zylinder zaubern, um das Fiatgeldsystem vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Die Crash-Gefahr ist zwar sicherlich nicht bei null Prozent anzusetzen, aber eben auch nicht so hoch, wie es die Stimmen einiger Crash-Prognostiker nahelegen. Was schon jetzt absehbar ist, ist, dass das fortgesetzte «Retten» des Fiatgeldsystems mit immer niedrigeren Zinsen und einer immer grösseren Geldmengenvermehrung verbunden sein wird, denn dafür werden die Zentralbanken sorgen. Deshalb noch einmal: Die zentrale Gefahr für das Anlagekapital ist und bleibt bis auf Weiteres die Geldentwertung, die irgendwann auch explosiv werden kann. Derzeit denke ich, es ist zu früh, sich aus den Aktienmärkten zu verabschieden. Gold sollte man in jedem Falle halten, es wirkt risikomindernd und ertragssteigernd im Investoren-Portfolio. Eine weitere Herausforderung will ich kurz nennen: nämlich dass die Volkswirtschaften des Westens immer stärker in die Fänge von, wie ich sie bezeichne, neo-sozialistischen Politiken geraten. Das stellt weitere Anforderungen an eine erfolgreiche Geldanlage.
Nun gibt es viele Investitionsstrategien. Einige Investoren richten sich nach markttechnischen Signalen aus, andere sind Momentum-Investoren, wieder andere Growth- und Value-Investoren, und es gibt auch Makro-orientierte Investoren. Wie würdest Du Deinen Ansatz einstufen?
Zunächst mag es überraschend klingen: Aber ich lasse mich relativ wenig von makroökonomischen Themen leiten. Der Grund: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das Makroökonomische, so interessant es auch ist, meist keine verlässliche Schlussfolgerung zulässt, was man als Investor konkret machen sollte und was nicht. Mein zentraler Leitfaden für das Investieren ist das «Preis versus Wert»-Prinzip. Der Preis ist das, was ich zum Beispiel für eine Aktie an der Börse zahle. Der Wert der Aktie lässt sich hingegen nicht direkt beobachten, er muss geschätzt werden. Das ist nicht immer einfach. Und da, wo es näherungsweise möglich ist, lautet die Handlungsempfehlung: Kaufe, wenn der Preis, den du zahlst, unter dem Wert der Aktie liegt. Und je grösser dabei der Unterschied zwischen Wert und Preis ist, desto grösser ist deine «Sicherheitsmarge» für dich als Investor — und je kleiner ist gleichzeitig auch dein Investitionsrisiko, und je höher deine erzielbare Investitionsrendite. Ich unterwerfe jede meiner Investitionsempfehlungen und -entscheidungen dem Preis-versus-Wert-Prinzip. Wo ich es nicht anwenden kann, weil ich beispielsweise den Wert nicht bestimmen kann, halte ich mich zurück. So gesehen bin ich wohl gedanklich relativ nahe beim sogenannten «Value-Investing».
Das unterscheidet Deine Investitionsphilosophie in der Tat sehr von der «vorherrschenden Lehre». Daraus ergibt sich für mich nun eine weiterführende Frage: Du sprachst bereits über falsche Theorien und irreführende Gedanken, denen heute viele Investoren folgen. Kannst Du dafür Beispiele geben und Lösungen nennen?
Die Geld- und Kapitalmarktlehre, die heute an Universitäten angeboten wird, steht im Dienst der Banken- und Finanzindustrie, das muss man wohl so sehen. Zuhauf werden hier falsche Konzepte vermittelt, die die Anleger in die Irre führen. Beispiel Risiko. Das Risiko wird als Schwankung von Aktien- oder Anleihekursen verstanden, ist zentrales Element der «Modernen Portfoliotheorie». Doch Kursschwankungen sind für die Anleger kein Risiko! Das Risiko, das der Anleger trägt, ist vielmehr der dauerhafte Kapitalverlust. Wenn also eine Firma Pleite geht, der Aktienkurs auf null fällt; oder wie im Falle Griechenlands die Anleihe ausfällt. Anderes Beispiel: «Markt Timing». Man suggeriert dem Anleger, es sei dann und wann ratsam, Aktien aus Branche A zu verkaufen und Aktien aus Branche B zu kaufen. «Branchenrotation» nennt man das. Doch das «Markt Timing» beherrschen die meisten leider nicht — weder diejenigen, die so etwas empfehlen, noch diejenigen, die die Empfehlungen umsetzen sollen. Die Folge: Es wird zu früh verkauft und zu spät gekauft, und das ganze Hin und Her macht die Taschen leer — und zwar die der Anleger, während Banken und Broker dadurch kräftig verdienen. Gerade um dem Markt-Timing nicht auf den Leim zu gehen, sollte der Investor sich am Preis-versus-Wert-Prinzip, das wir bereits angesprochen haben, orientieren. Das gleiche gilt auch, wenn der Investor sich Klarheit über sein Risiko verschaffen will: Es wird entscheidend durch den Unterschied zwischen Wert und Preis beschrieben.
Einige würden jetzt vermutlich einwenden, dass die Renditen bei einigen Kryptowährungen viel höher ausgefallen sind als bei klassischen Edelmetallen. Bitcoin wird ja etwa als «digitales Gold», Kaspa als «digitales Silber» gehandelt. Verfolgst Du die Entwicklungen solcher digitaler Alternativen ebenfalls?
TP: Ja, ich verfolge die Entwicklung sogar mit sehr grossem Interesse. Das Geschehen verbinde ich zugleich mit der Hoffnung, dass die Menschheit Zeuge wird, wie tatsächlich «gutes Geld» im freien Markt entstehen kann. Und Du hast natürlich Recht, die Preiszuwächse in den letzten Jahren waren bei Bitcoin & Co geradezu stellar. Ich bin allerdings zurückhaltend, Empfehlungen auszusprechen. Das liegt ganz einfach daran, dass es mir schwerfällt, im Crypto-Markt das Preis-versus-Wert-Prinzip anzuwenden. Bei Gold und Silber meine ich, zumindest über etwas Urteilsfähigkeit zu verfügen. Was mich prinzipiell für die Aktien von guten Unternehmen stimmt, ist, dass man mit ihnen langfristig einen Zins- und Zinseszinseffekt erzielen kann, der dem Geldanleger in die Hände spielt. Das gelingt in dieser Weise weder mit Cryptos noch mit Edelmetallen.
Kannst Du vielleicht sagen, welche Empfehlungen Du bisher ausgesprochen hast?
Nun, da muss ich mich leider etwas bedeckt halten — sonst sinkt ja der Anreiz, den BOOM & BUST REPORT zu lesen! Aber so viel doch: Gleich in der ersten Ausgabe im April 2024 wurde empfohlen, Gold und Silber als Teil des liquiden Portfolios zu halten. Zudem haben wir bisher insgesamt 19 Firmenaktien identifiziert und analysiert, die sich aus unserer Sicht als inflationsresistente Geschäftsmodelle qualifizieren, und die — ganz wichtig — zum Zeitpunkt der Empfehlung auch zu einem attraktiven Preis zu haben waren. Und die Suche nach weiteren, vielleicht sogar noch besseren Firmen geht natürlich weiter!
Vermutlich hast Du eine Zielgruppe vor Augen, für die Du den BOOM & BUST REPORT verfasst?
Grundsätzlich versuche ich, die Themen, die ich als relevant für den Investor einstufe, einfach und verständlich zu erklären und auch konkrete Handlungsempfehlungen abzuleiten. So gesehen denke ich, der BOOM & BUST REPORT eignet sich für alle, die sich Gedanken um ihre Geldanlage machen, die mehr wissen wollen, die vor allem auch nicht glauben, was sie in den Finanzmedien lesen, sehen und hören. Kurzum: Der BOOM & BUST REPORT eignet sich für interessierte Laien, aber auch für professionelle Investoren, und insbesondere für junge Menschen, die das Wissen, das im BOOM & BUST REPORT ausgebreitet wird, noch für viele Jahre für eigene Zwecke einsetzen können.
Vielen Dank für das Interview, Thorsten. Ich wünsche Dir weiterhin viel Erfolg mit Deiner Aufklärungsarbeit in Sachen Geld und Finanzen! Und alle, die in dieser Sache mehr wissen wollen, sollten Deine Website besuchen, wo sie alle wichtigen Informationen finden: www.boombustreport.com