Dem deutschen Bundespräsidenten Horst Köhler zufolge haben „sich die internationalen Finanzmärkte zu einem Monster entwickelt, das in die Schranken gewiesen werden muss.“ Er fordert „ein klar vernehmbares Mea Culpa“ der Finanzwelt und eine „strengere und effizientere Regulierung“, insbesondere die Schaffung einer globalen Regulierungsbehörde.
Köhlers Meinung hat umso mehr Gewicht, als er in früheren Abschnitten seiner Laufbahn ein leitender Beamter des Bundesfinanzministeriums und auch Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF) war. An der verwaltungstechnischen Expertise des Bundespräsidenten lässt sich somit nicht zweifeln. Dennoch offenbart seine Stellungnahme die geradezu typische Betriebsblindheit eines Finanzpolitikers.
Köhler liegt nicht ganz falsch mit dem von ihm beschworenen Bild des Monsters, denn die Labilität der internationalen Finanzmärkte ist wirklich geradezu ungeheuerlich. Sie entspringt insbesondere aus der geringen Eigenkapitalausstattung der betreffenden Unternehmen (in der Regel weniger als 10 % der Bilanzsumme) und zeigt sich auch in einer weitverbreiteten Nachlässigkeit gegenüber den Risiken gewisser Kapitalanlagen. Aber dieses Monster ist nicht aus dem heiteren Himmel gefallen. Kein Deuteln führt an der Tatsache vorbei, dass es ein Kind der staatlichen Währungspolitik ist.
Die Zentralbanken fungieren traditionell als „Kreditgeber letzter Instanz“ — sie leihen den Marktteilnehmern auch dann noch Geld, wenn sich kein anderer Gläubiger mehr finden lässt. Diese Rolle können sie in einem prinzipiell unbegrenzten Rahmen spielen, denn zum einen sie sind selber die Produzenten des staatlichen Geldes, zum andern sind die Kosten dieser Geldproduktion (Papiernoten und elektronische Guthaben auf Zentralbankkonten) praktisch null. Sie können daher ohne Rücksicht auf irgendwelche technischen oder betriebswirtschaftlichen Grenzen Geld produzieren und verleihen. Natürlich würde ein übermäßiger Gebrauch dieser Möglichkeit zum Wertverlust des Geldes führen — eine unerwünschte Nebenwirkung — aber das ändert nichts an der grundsätzlichen Möglichkeit, eine solche Politik zu verfolgen. In der Praxis haben die Zentralbanken davon auch immer wieder Gebrauch gemacht und somit einen Einbruch der Finanzmärkte ein ums andere Mal verhindert.
Aber so nützlich diese Politik zunächst auch erscheinen mag, ist sie doch letzten Endes dem Gemeinwohl abträglich. Denn die Finanzmarktakteure wissen natürlich um die Absichten und technischen Möglichkeiten der Währungspolitik. Sie wissen, dass die Zentralbanken jedem Bankrotteur aus der Patsche helfen werden — genauer gesagt: jedem Bankrotteur, der groß genug ist, um weite Teile des Marktes mit sich in den Konkurs zu reißen. Es besteht daher für alle größeren Finanzmarktakteure der perverse Anreiz, möglichst wenig eigene Vorkehrungen zu treffen, um sich gegen eventuelle Rückschläge zu wappnen. Daraus entspringt die geringe Eigenkapitaldeckung der Banken und anderen institutionellen Anleger. Daraus resultiert auch ganz allgemein eine tendenzielle Vernachlässigung von Risiken bei Anlageentscheidungen.
Es ist daher nicht ganz recht, dass Bundespräsident Köhler sich nun aufs hohe Ross setzt und den Finanzmärkten ein mea culpa abverlangt. Er hätte sich zunächst einmal selber Asche aufs Haupt streuen und dann auch seine Kollegen in Europa und Übersee dazu ermutigen sollen. Nicht die Finanzmärkte, sondern die Staaten haben unser Währungssystem geschaffen. Nicht die Finanzmärkte, sondern die Staaten sind somit dafür zu tadeln, dass es sich für institutionelle Anleger immer weniger lohnt, verantwortlich zu handeln und somit auch das Gemeinwohl zu fördern.
Auch der von Köhler ins Auge gefasste Lösungsansatz einer globalen Regulierungsbehörde für Finanzmärkte ist ein Abweg. Solange man an der momentanen Währungspolitik — und das heißt insbesondere: an der Wahl des Währungssystems — festhalten will, bringt vermehrte Regulierung keine Stabilität. Die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen, dass unverantwortliches Handeln dann nur verschoben, aber nicht beseitigt wird. Die betroffenen Akteure weichen den neuen Regeln einfach aus, indem sie neue Marktsegmente erschließen und neue Organisationsformen ersinnen. Irgendwann wird der Gesetzgeber vielleicht nachziehen, aber in der Zwischenzeit wird genauso unverantwortlich gewirtschaftet wie zuvor.
Das Problem der Monster sind die irren Schöpfer. Frankenstein jammerte über die Verbrechen seiner Kreatur, aber die eigentliche Untat war es, dieses Wesen ins Leben zu rufen. Auch die entarteten Finanzmärkte verweisen letztlich auf ein Versagen ihrer Schöpfer — der Politik. Es ist vielleicht an der Zeit, einmal gründlich darüber nachzudenken, wer hier was schöpfen sollte.
Guido Hülsmann ist Professor an der Universität Angers und Senior Fellow am Ludwig von Mises Institute in Auburn, Alabama. Dieser Artikel wurde in der Finanz und Wirtschaft vom 24. Mai 2008 publiziert. Das Liberale Institut bedankt sich für die freundliche Genehmigung zur weiteren Veröffentlichung.