Das Rätsel menschlichen Verhaltens ist der Treibstoff, der das politische Denken schon seit Jahrtausenden befeuert. Prägend wirkt hier das Konzept der Unterscheidung von Leidenschaften und Vernunft. Der vernunftbasierte Ansatz geht davon aus, der Mensch handle rational und zu seinem eigenen Vorteil. Dem entgegen steht der Ansatz, demnach menschliches Verhalten mit Rationalität alleine nicht zu erklären sei und man dieses ohne die Betrachtung von Leidenschaften und Instinkten nicht verstehen könne.
Platon war der Ansicht, dass wir einen göttlichen und einen sterblichen Teil der Seele besässen, wobei im Kopf der göttliche und in der Brust der sterbliche Teil der Seele wohne. Politik müsse allein durch Vernunft organisiert sein. Weil nicht alle in gleicher Weise mit Vernunft begabt seien, solle sich jeder Mensch unter die Führung eines Vernünftigeren begeben. Karl Popper kritisierte jedoch den Platonismus scharf, weil dieser vernichte, was er zu verteidigen vorgibt: die Freiheit. Die Schriften John Lockes, David Humes und Adam Smiths folgten Platon zwar bei seiner zweiteiligen Strukturhypothese des menschlichen Geistes. Sie vertraten aber die Ansicht, dass nicht der göttliche Teil der Seele allein die Quelle für richtiges und gutes Handeln sei. Der sterbliche Teil der Seele trage Wichtiges bei. Bei Hume und Smith ist er sogar letztlich die wichtigste Quelle für Moral, Ethik und Gerechtigkeit.
Der göttliche und der sterbliche Teil der Seele müssen einander ergänzen statt sich gegenseitig zu blockieren, so die Ansicht der liberalen Klassiker. Vermutlich war genau das eines der wesentlichen Erfolgsrezepte des liberalen Westens.
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