Es ist die Frage, die der Liberalismus in seiner klassischen Form letztlich verdrängt hat: Was tun mit Kartellen? Stellt nicht die Kooperation verschiedener Unternehmen, um andere Anbieter zu verdrängen, Monopolrenditen zu erzielenund «Marktmacht» zu konzentrieren, genauso einen Angriff auf den freien Wettbewerb dar, wie es ein staatlicher Eingriff bedeuten würde? Muss der Wettbewerb also
durch staatliche Ordnungspolitik «erhalten» werden? Die neue Generation der Liberalen nach dem Krieg, die Neo- und Ordoliberalen, haben diese Frage bejaht, damit die Deutungshoheit über den wirtschaftlichen Liberalismus erreicht und einen grossen Teil ihres klassisch-liberalen Erbes hinter sich gelassen. Was ist von der Kritik zu halten, die doch von Denkern kommt, die in vielen Dingen sehr freiheitsfreundliche und kluge Ansichten haben, etwa von Ludwig Erhard, Walter Eucken und Wilhelm Röpke? Brauchen wir tatsächlich eine staatliche Anti-Kartellpolitik?
Das Problem an Kartellen — so meinen zumindest die Kritiker — ist, dass ein Zusammenschluss von Unternehmen den Wettbewerb untereinander beenden und an seiner Stelle ein Monopol installieren würde und damit dafür sorgen würde, dass die Verbraucher entweder schlechtere
Qualität oder aber höhere Preise zahlen müssten, dass sie jedenfalls ein schlechteres Preis-Leistungs-Verhältnis bekämen, als wenn die Unternehmen weiterhin gegeneinander im Wettbewerb stünden. Die Begründung scheint auf den ersten Blick einleuchtend: Wo kein Wettbewerb, da kein Leistungsanreiz; wo kein Leistungsanreiz, da schlechtere Produkte. Nur: Es stimmt nicht. Denn dass es keinen Wettbewerb
gibt, ist eine Situation, die in einer freien Marktwirtschaft schlicht nicht auftritt.
Ein Beispiel: Nehmen wir an, alle im deutschen Raum aktiven Baumärkte würden vereinbaren, sich keine Konkurrenz
mehr zu machen, sondern statt dessen den Preis des jeweils teuersten Anbieters zu übernehmen und nochmal 10 Prozent draufzuschlagen. Das erste, was vermutlich
passieren würde, wäre, dass die Nachfrage nach den Bauartikeln zurückgehen würde und die Gewinnspanne jedenfalls nicht in dem Mass steigen würde, wie die Betreiber sich
das vorgestellt hatten. Ein Teil der bisherigen Kunden gibt vielleicht das Heimwerken auf und bestellt statt dessen doch wieder Handwerker, die ihrerseits womöglich ihr Material unter Umgehung der Baumärkte beziehen. Potentielle Kunden,
die in Grenzregionen leben, kaufen vielleicht jetzt lieber im Ausland ein. Das bringt die Kalkulation der Kartellteilnehmer
natürlich schon gewaltig durcheinander. Vielleicht bekommt bereits jetzt eine erste Baumarktkette, deren Strategie bisher auf Niedrigpreise ausgelegt war, finanzielle Probleme, weil andere Kartellunternehmen jetzt dank ihres besseren Kundenservice bei gleichem Preis erhebliche Vorteile haben. Und womöglich bricht besagte Kette aus dem Kartell aus und senkt die Preise wieder. Wenn nicht, erhöht das die Wahrscheinlichkeit, dass irgendwann neue Konkurrenz entsteht. Zum Beispiel könnten Supermärkte eigene Abteilungen
aufbauen, in denen ein Teil des Sortiments der Baumärkte erhältlich ist. Oder die Lieferanten der Baumärkte, die unter den sinkenden Absätzen leiden, gründen selbst
eine neue Baumarktgruppe. Oder ein ganz neues Unternehmen tritt in den Markt ein.
Jedenfalls ist von einer «Marktmacht», die den Verbraucher zu irgendetwas zwingen
würde, nichts zu spüren. Tatsächlich kann sich ein Kartell oder überhaupt ein Monopol in einer freien Wirtschaftsordnung
nur genau solange halten, wie es sowohl Qualitäts- als auch Preisführerschaft besitzt, solange also, wie praktisch
alle Konsumenten mit seinem Angebot zufrieden sind und es eben keine Nachfrage nach den Angeboten einer wie auch immer gearteten Konkurrenz gibt. Was aber gäbe
es schon an einem solchen Kartell auszusetzen? Im Gegenteil ist es so, dass ein Kartell — so es denn auf einem freien
Markt existiert — zum Nutzen der Konsumenten ist. Ein Beispiel dafür kann gegeben sein, wenn Unternehmen etwa
ihre Forschungs- und Entwicklungsabteilungen zusammenarbeiten
lassen.
Marktmacht
Anders ausgedrückt: Von «Marktmacht» der Kartellteilnehmer kann keine Rede sein. Die «Macht» — wenn man dieses hässliche Wort denn auf friedlichen Austausch im beidseitigen Einvernehmen und zum beidseitigen Nutzen gebrauchen will — liegt nach wie vor beim Verbraucher. Jede Monopolrendite hat jedenfalls eine absolute Obergrenze: Nämlich die, an der die Konsumenten zu Substitutivgütern (im Beispiel die Handwerker) oder zum Konsumverzicht greifen (diese Option steht selbst dann offen, wenn es sich um sogenannte «natürliche Monopole» handelt, also ein einzelnes Unternehmen tatsächlich der alleinige Anbieter sein muss). Und in den allermeisten Fällen entsteht einem Monopol — ob ausgeübt durch nur ein Unternehmen oder einen Unternehmenszusammenschluss — von irgendeiner Seite her Konkurrenz, sobald der Monopolist die Kundenwünsche in Bezug auf Qualität und Preis nicht mehr hinreichend befriedigt.
Zudem muss angemerkt werden, dass die allermeisten
Verteidiger einer Anti-Kartellpolitik (oben namentlich genannte ausdrücklich ausgenommen) intellektuell unredlich
agieren, weil sie niemals das umfassendste aller Kartelle unserer Tage ordnungspolitisch in Frage stellen würden: das
Kartell nämlich auf das Arbeitsangebot, die Gewerkschaften.
Gewerkschaften bestehen ausdrücklich als Zusammenschluss
der Arbeitnehmer, um die Marktmacht zu konzentrieren
und damit höhere Löhne (also Preise für die Arbeit)
zu erzielen. Und weil es sich bei Gewerkschaften um ein
Kartell handelt und Kartelle auf freien Märkten eben so
nicht funktionieren, würde es in einer wirklich freien Marktwirtschaft keine Gewerkschaften in ihrer heutigen Form geben.
Eine Form schädlicher Kartelle und Monopole — zu
der auch die heutigen Gewerkschaften gehören — gibt es
aber dann doch: nämlich die vom Staat durch Zwang geschaffenen Monopole. Nur mittels Gewalt und Zwang ist
es möglich, ein Angebot trotz anderslautender Nachfrage
zu begrenzen, Konkurrenz dauerhaft auszuschalten und —
in der perversesten Form — auch noch unabhängig von den
eigentlichen Wünschen der Konsumenten Nachfrage zu erzwingen. Letzteres nennt man dann Steuern. Nur wer gewaltsam jede Konkurrenz ausschalten kann, kann dauerhaft
schlechte Leistung erzeugen, ohne sich dabei selbst mindestens gleichwertig zu schaden. Aber das gibt es eben in einer freien Gesellschaft genauso
wenig wie schädliche Kartelle auf einem freien Markt.
Dieser Artikel wurde in eigentümlich frei publiziert. Das Liberale Institut bedankt sich bei der Redaktion für die freundliche Genehmigung zur Weiterveröffentlichung.