Das Argument, das für «geistiges Eigentum» angeführt wird, ist: Wenn das Nachahmen geistiger Werke nicht mittels Patenten oder Urheberrechten verhindert würde, würde viel Nutzen nicht gestiftet, weil dann die Urheber oder Erfinder «geistigen Eigentums» nicht motiviert wären, etwas zu erfinden.
Was dabei aber nicht bedacht wird ist die Tatsache, dass Nutzen etwas Persönliches und Subjektives ist. Der Nutzen, welcher bestimmte Dinge für unterschiedliche Personen haben, kann deshalb nicht mit einem unpersönlichen Standard (wie etwa einer objektiven Messeinheit wie Kilogramm, Liter oder Meter) verglichen werden.
Pareto-optimales Handeln vs. Pareto-Verschlechterung
Eine Idee, die Entdeckung eines technischen Verfahrens, ein Rezept oder ein Lied sind in dem Sinne nicht knapp und kein Gut, weil jedermann die Idee aufgreifen und das Rezept nachahmen und das Lied nachsingen kann, ohne dabei die Freiheiten desjenigen zu behindern, der die Idee zuerst hatte, das Lied zuerst sang oder das Buch zuerst schrieb. Er greift nicht in den Besitz der «Erstanwender» ein, weder in den Besitz an deren Körper noch in den Besitz an deren Sachen. Und auch die Weiterentwicklung, Abänderung oder Verbesserung von geistigen Konzepten anderer ist pareto-optimal, weil dabei nicht der Besitz eines anderen geschädigt wird.
Hingegen führt die Androhung von Schaden gegenüber den «Zweitanwendern», die eine Idee, ein technisches Verfahren oder ein Rezept übernommen haben oder unabhängig von den Erstanwendern lediglich später darauf kamen, zu einer Pareto-Verschlechterung. Die Drohenden gewinnen auf Kosten und zu Lasten der Bedrohten, die ihre Freiheiten hinsichtlich ihres Besitzes an ihrem Körper und ihren Sachen nicht mehr unbehindert ausüben können, sondern die durch Drohung darin beschränkt werden.
Wenn einer ein Rad entwirft und seine Mitmenschen sehen das Rad und ahmen es nach, dann schädigen diese nicht den, der das Rad zuerst gebaut hat. Wenn ich eine Idee habe, die jemand anders nachahmt, dann verschwindet die Idee bei mir nicht, er erhält sie nicht auf meine Kosten, anders also als bei sachlichem Besitz, der in dem Sinne knapp ist, dass sich verschiedene Verwendungen ausschliessen können. Wenn B dem A das Rad stiehlt, dann ist das eine Pareto-Verschlechterung: Jetzt hat B das Rad, aber A nicht mehr. Wenn B das Rad nachbaut, das A gebaut hat, dann hat A sein Rad immer noch. Es ist eine Pareto-Verbesserung. B gewinnt durch sein Handeln, aber nicht auf Kosten des A.
«Geistiges Eigentum» bedeutet also, das Nachahmen eines «Rezepts» (im weitesten Sinne) durch feindliches Handeln zu verhindern. Natürlich kann jeder sein Rezept in seinem Tresor geheim halten, wenn ihm das etwas nützt, um eine Nachahmung zu verhindern, ohne hierdurch feindlich zu handeln. Er kann auch sein Laboratorium versteckt und verschlossen halten. Aber sofern das «Rezept» (der Bauplan, die Komposition, die Rezeptur etc.) durch Analyse oder Anschauung herausgefunden werden kann, müssten die potenziellen Nachahmer bedroht werden, um überhaupt erst «geistiges Eigentum» zu erzeugen.
Auch ohne «geistiges Eigentum» ist es im Übrigen denkbar, dass ein potenzieller Nachahmer sich mit dem Erfinder eines komplizierten technischen Verfahrens freiwillig austauscht und die Erfahrungen und Erkenntnisse des Erfinders «kauft», um sich selbst eine langwierige Entwicklung und Fehlschläge zu ersparen. In diesem Falle verwertet der Erfinder sein Wissen und seine Erfahrungen auf freundliche Art und Weise.
Verschwindet ohne «geistiges Eigentum» die Innovation?
Durch die Abwesenheit politischer Urheber- und Patentprivilegien änderte sich die Kalkulation des Produzenten. Aber es ist keineswegs von vornherein gesagt, dass dies bedeutet, dass er die Idee nicht umsetzt oder diese sich nicht mehr lohnte. Wenn ich herausfinde, dass ich meinen Karren besser ziehen kann, wenn er Räder hat, werde ich ein Rad verwenden. Dass die anderen es mir nachmachen, fügt mir keinen Schaden zu. Freilich, wenn ich in der Lage wäre, alle anderen zu bedrohen, mir etwas für die Nachahmung zu bezahlen, stünde ich besser da — aber die anderen eben schlechter.
Historisch gesehen ist das Urheberprivileg in seiner heutigen Bedeutung eine jüngere Erscheinung der späten Neuzeit. Wolfgang Amadeus Mozart oder Ludwig van Beethoven kamen noch nicht in den Genuss dieses Privilegs. Die damaligen Musiker konnten sich gegenseitig zitieren und nachahmen, ohne auf staatliche Privilegien und Zwänge Rücksicht nehmen zu müssen. Und auch das deutsche Patentprivileg wurde erst am Ende des 19. Jahrhunderts eingeführt, gegen erheblichen Widerstand. Die staatlichen Patentprivilegien waren räumlich begrenzt und in Deutschland und der Schweiz herrschte die — praxeologisch korrekte — Meinung vor, dass das Patent den Wettbewerb begrenzt und nicht fördert, dass es zu Monopolprivilegien führt. Auch durch das Patentprivileg wird ja das «gegenseitige Zitieren» in einem technischen Sinne und weitere Verbessern verhindert.
Dass ein Unternehmer prinzipiell nicht in technologische Entwicklung oder Verbesserung von Verfahren investieren würde, wenn ihm kein Privileg unter Drohung gegen potenzielle Nachahmer gewährt würde, ist weder a priori so, noch kann dies durch eine Erfahrung bewiesen oder widerlegt werden. Auch ohne das Privileg ergeben sich Anreize für einen Unternehmer, Produkte günstiger herzustellen und neuartige Produkte zu entwickeln.
Durch den «First-Mover-Effekt» hat der Produzent nicht nur den Vorteil, dass er als Erstes mit dem Produkt in Verbindung gebracht wird, sondern dass er der erste ist, der das Produkt auf den Markt bringt. Er kann innerhalb des Zeitraums, bis andere aufschliessen, höhere Preise verlangen, weil die Verbreitung des Gutes knapper ist, als wenn es noch Mitbewerber gebe. Viele Produkte wurden am Anfang nur von denjenigen verwendet, die bereit und imstande waren, höhere Preise dafür zu bezahlen als ihre Mitbewerber um solche Güter. Das Auto war am Anfang kein Massenprodukt und auch die ersten Handys waren sehr teuer. Sobald die Mitbewerber mit Produkten gleicher Art auf den Markt kommen, haben sie nicht nur den Marketingnachteil, nicht das «Original-Produkt» anzubieten, sondern mit jeder zusätzlichen Quantität, die sie auf den Markt bringen, vermindert sich — ceteris paribus — der Preis, den sie für das Gut verlangen können. Sie müssen also günstiger produzieren können als der Erfinder.
Feindliches Handeln als Voraussetzung für «geistiges Eigentum»
Die praxeologische Frage eines Monopols für die Erstproduzenten von geistigen Werken (Rezepten, Kompositionen oder Bauplänen) ist keine Frage des Meinens und Dafürhaltens. Ein solches Monopol lässt sich nur vermittels feindlichen Handelns durchsetzen. Ob dadurch insgesamt ein wirtschaftlicher Nachteil oder Vorteil für «die Gesellschaft» entsteht, kann nicht nach einem unpersönlichen oder überpersönlichen Standard festgestellt werden, da Nutzen persönlich ist und deshalb nicht verglichen oder gemessen werden kann. Die Addition von individuellen Nutzen ist nicht möglich.
Zudem ist die Behauptung unsinnig, dass die Abwesenheit von Urheberprivilegien die Gesellschaft insgesamt schlechter stellen würde, weil «die Gesellschaft» ein geistiges Konzept ist und keine einzelne, wertende und real existierende Einheit wie der Einzelne. Es mag sein, dass grosse Musikproduzenten unter dem Verlust ihrer Privilegien wirtschaftliche Einbussen hinzunehmen hätten, andererseits mag es auch sein, dass es wieder eine grössere Anzahl lokaler Künstler geben wird und die Musik weniger einheitlich wäre, als sie heute so manchem erscheint. Kleine Künstler können ohne Gebühren und Rechtsstreite die Werke anderer nachahmen, abändern, zitieren, neu formulieren. Der eine mag das besser finden, der andere jenes. Aber derjenige, der die Nachahmer abhalten möchte, kann dies von vornherein nur durch feindliches Handeln tun.
Wichtige Unterscheidung zum Markenschutz
Zu unterscheiden ist das geistige Eigentum vom Markenschutz. Beim Markenschutz geht es um Lüge oder Wahrheit, nämlich darum, wer der Hersteller eines Gutes ist. Manche Menschen schätzen das Original über das Plagiat, und es kommt ihnen gerade darauf an, z. B. eine Tasche eines bestimmten Herstellers zu erwerben, mögen dies andere auch für noch so unvernünftig halten. Andere Menschen möchten gerade beim Kauf von Lebensmitteln oder Gesundheitsprodukten Waren eines bestimmten Herstellers kaufen, dem sie vertrauen.
Die Marke bringt ein Produkt mit einem Hersteller in Verbindung. Wenn nun ein Dritter in Ihnen die Fehlvorstellung bewirken möchte, dass das Gut vom Hersteller ABC produziert wurde, und Sie damit zu einer Handlung (dem Kauf) bewirkt, handelt er Ihnen gegenüber täuschend und damit feindlich. Er bewirkt eine Fehlvorstellung durch eine Lüge, ohne die Sie nicht so gehandelt hätten, veranlasst Sie also zu einer Disposition, die Sie ansonsten nicht getätigt hätten. Durch diese Täuschung erlangt er etwas von Ihnen, das er ohne die Täuschung nicht erlangt hätte, also auf Ihre Kosten und zu Ihren Lasten.
Zudem schädigt ein Nachahmer, der ein minderwertiges Produkt anbietet, den Ruf des Herstellers durch seine Täuschung. Er erhält also den Besitz an dem Geld der Kunden auf Kosten und zu Lasten des Besitzes der Kunden an dem Geld, weil er über den Produzenten täuscht, und auf Kosten des Rufs des Produzenten, den er bei minderwertiger Ware (aus Sicht der Kunden) schädigt.
Im Gegensatz zum geistigen Eigentum, das nur auf feindliche Art und Weise in die Welt kommen kann, ist die Täuschung über den Hersteller selbst ein feindlicher Akt. Deshalb können sich die Menschen, ebenso wie sie sich zur Sicherung des Besitzes wechselseitig verpflichten können, auch zur Sicherung der Wahrheit von Aussagen über den Hersteller eines Gutes verbinden, ohne damit feindlich zu handeln. Das Eigentum ist der Reflex einer gegenseitigen Verpflichtung zum Besitzschutz und auf analoge Weise kann auch ein Markenrecht in friedlicher Art und Weise begründet werden.
Andreas Tiedtke ist Rechtsanwalt und Unternehmer.