Sich pudelwohl zu fühlen: Die grosse Hoffnung von uns allen ist es, dass dies auch im hohen Alter noch so sein wird. Gesundheit wird spätestens dann zu einer hohen Priorität, weil die Gebrechlichkeit zunimmt und sich Krankheiten und Spitalaufenthalte häufen.
Es heisst, das Schöne am Alter sei die Weisheit. Die französische Schauspielerin Jeanne Moreau meinte jedoch: «Weisheit stellt sich nicht immer mit dem Alter ein. Manchmal kommt auch das Alter ganz allein.» Ob weise oder nicht, ob gesund oder nicht: Letztlich ist es für uns alle angenehmer, wenn wir im Alter über ein finanzielles Polster verfügen. Diese Feststellung lässt allerdings noch nicht den Schluss zu, wonach wir unsere Altersvorsorge dem Staat anvertrauen sollten. Gerade weil der Altersvorsorge eine so hohe Bedeutung zukommt, wäre es problematisch, dies zu tun.
Wo liegt das Problem?
Die Altersarmut auszurotten und allen eine Rente im Alter zu garantieren: Das war das grosse Versprechen der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV), die in der Schweiz 1948 eingeführt wurde. Die gigantische Umverteilungsmaschinerie wird nicht nur von den Sozialdemokraten als «wichtigste Errungenschaft der Schweiz» bezeichnet, sondern selbst von sogenannten «Bürgerlichen» gehuldigt. Doch wird die AHV diesen grossen Lobeshymnen auch gerecht? Leider nein. Die Probleme in der ersten Säule sind grob zusammengefasst die folgenden:
- Schneeballsystem statt echter Vorsorge: Im Grunde genommen ist die AHV nicht eine Versicherung, wie ihr Name vorgibt. Sie ist vielmehr ein Schneeballsystem. Die Vorstellung, die Rentenbezüger hätten einen Rentenanspruch, weil sie «Beiträge» entrichtet hätten, ist falsch. Die erste Generation von AHV-Bezügern etwa erhielt eine Rente, ohne ins System überhaupt oder genügend eingezahlt zu haben. Sie profitierten – wie in einem typischen Schneeballsystem – auf Kosten künftiger Einzahler. Das System kann nur so lange aufrechterhalten werden, wie es neue Einzahler in das System gibt. Was in der Privatwirtschaft als Betrügerei verfolgt wird, geht beim Staat euphemistisch und irreführend als «Sozialversicherung» durch.
- Keine Ersparnisse, nur Umverteilung: Der offizielle AHV-Ausweis und die persönliche AHV-Nummer suggerieren zwar, dass es sich um Einzahlungen auf ein persönliches AHV-Konto handle. Doch dies ist nicht der Fall. Es werden hier keine persönlichen Ersparnisse aufs Alter hin gebildet. Den Arbeitstätigen wird vielmehr ein Teil ihres Einkommens wegbesteuert. Dieser wird unmittelbar an die Rentenbezüger ausbezahlt.
- Weniger Investitionen, mehr Altersarmut: Das Geld, das den Rentnern ausbezahlt wird, fliesst tendenziell in deren Konsum. Diese Tatsache ist volkswirtschaftlich von entscheidender Bedeutung: Es wird aufgrund dieser Umverteilung insgesamt weniger gespart und weniger investiert, als wenn individuell fürs Alter vorgesorgt würde. Dann nämlich würde dieses Geld aufgrund des längeren Anlagehorizonts eher produktiv angelegt und der Zinseszinseffekt fällt in der längeren Frist auch stärker ins Gewicht. Die AHV schwächt die Wachstumspotenziale der Schweizer Wirtschaft wesentlich. In anderen Worten: Die AHV vernichtet Wohlstand und trägt damit zur Altersarmut bei, die sie angeblich verhindern will.
- Inflexibilität führt zu wachsender Plünderung der Steuerzahler: Die Lebenserwartung ist seit Einführung der AHV erfreulicherweise von 68 auf 83 Jahre gestiegen. Das gesetzliche Referenzalter für den Rentenbezug ist dagegen bei 65 Jahren steckengeblieben. Weil die Lohnabzüge zur Finanzierung dieser ausgedehnten Rentenzeit längst nicht mehr ausreichen, muss die AHV immer mehr durch die Mehrwertsteuer und weitere Steuern subventioniert werden, um die Auszahlungsansprüche abzudecken und das Schneeballsystem weiter am Leben zu erhalten. Schon mehr als ein Viertel der AHV-Kosten wird heute über zusätzliche Steuerquellen querfinanziert. Aufgrund der im Jahr 2024 vom Volk angenommenen 13. AHV-Rente wird sich das Problem noch verschärfen. Die AHV kostet uns also wesentlich mehr als die Lohnabzüge auf unserer Lohnabrechnung suggerieren. Aufgrund der Demografie und kurzsichtiger politischer Begehrlichkeiten wird das Problem zunehmend grösser: Lagen die Bundesausgaben für die «Altersversicherung» im Jahr 2008 noch bei 9,322 Mrd. Franken, stiegen sie bis ins Jahr 2022 auf 13,262 Mrd. Franken, was einem Anstieg von über 42 Prozent in nur 14 Jahren entspricht.
Es ist ein offenes Geheimnis: Die Jungen von heute werden im Alter ohne radikalen Kurswechsel keine ihren Einzahlungen entsprechenden Renten aus der AHV erhalten. Es braucht also möglichst rasch Reformen, um diese Katastrophe abzuwenden.
Die zweite Säule sieht aus liberaler Optik etwas besser aus. Anstelle eines sozialistischen Umlageverfahrens kommt hier ein Kapitaldeckungsverfahren zur Anwendung. Das Geld, das der Einzelne in die Pensionskasse einzahlt, wird ihm individuell gutgeschrieben und von der Pensionskasse verwaltet. Die zweite Säule weist also keinen Schneeballsystemcharakter auf. Doch auch in der zweiten Säule ist nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen. Die Probleme sind im Wesentlichen die folgenden:
- Pensionskassenzwang: Jeder Angestellte in der Schweiz wird unter Androhung oder Anwendung von Gewalt dazu verknurrt, einen politisch festgelegten Mindestanteil seines Einkommens in die Pensionskasse seines Arbeitgebers einzuzahlen. Dies widerspricht der Ethik der Selbstbestimmung und Eigenverantwortung. Es ist ein Eingriff von enormer Tragweite, wenn der Staat den Bürgern vorschreibt, wie sie für ihr Alter vorzusorgen haben. Solche Zwangseingriffe tragen der individuellen Lebenssituation des Einzelnen überhaupt keine Rechnung. Womöglich hätte der Betroffene dieses Geld z.B. lieber in den Aufbau eines Unternehmens gesteckt oder persönliche Investitionen getätigt, um fürs Alter besser vorzusorgen, statt sein Geld in jene Anlagen zu stecken, zu deren Kauf Pensionskassen vom Staat gezwungen werden (wie z.B. Staatsanleihen).
- Keine freie Pensionskassenwahl: Angestellte dürfen nicht einmal die Pensionskasse frei wählen. Sie haben ihr Geld nach dem Willen des Gesetzgebers gefälligst in die Pensionskasse ihres Arbeitgebers einzuzahlen. Dadurch wird der Wettbewerb zwischen Pensionskassen massiv eingeschränkt, was in der Regel die Qualität der Leistung reduziert.
- Staatlich festgelegter Umwandlungssatz: Die Qualität des Kapitaldeckungsverfahrens wird weiter verringert, indem der Staat einen Umwandlungssatz vorschreibt, zu dem die Pensionierten ihr einbezahltes Geld im Alter wieder beziehen dürfen. Damit wird die unternehmerische Freiheit der Pensionskassen und der Wettbewerb zwischen diesen limitiert. Je weniger Leistungsanreize, desto schwächer die Leistungen.
- Staatlich vorgeschriebene Anlagepolitik: Pensionskassen werden heute vom Staat gezwungen, eine bestimmte Anlagepolitik zu verfolgen. So werden Pensionskassen etwa dazu genötigt, Staatsanleihen zu kaufen – angeblich, weil das sichere Anlagen seien, was natürlich eine Lüge ist, weil Staaten immer wieder bankrott gehen. Das Risiko von Staatsbankrotten ist angesichts der steigenden Staatsverschuldung in den meisten Ländern grösser denn je.
Liberale Vision
Der Mix aus Marktwirtschaft, Eigenverantwortung und freiwilliger Solidarität wäre auch im Bereich der Altersvorsorge einem kollektivistischen Zwangssystem bei weitem überlegen. Was wäre die Alternative zum sozialistischen Umverteilungsexperiment namens AHV, in welchem Eigentumsrechte und grundlegende marktwirtschaftliche Prinzipien missachtet und ausgehebelt werden? Wie sähe ein liberales System der Altersvorsorge konkret aus? Folgende Faktoren zeichnen ein solches System aus:
- Individuelle Ersparnisse statt Zwangsumverteilung: Was man persönlich fürs Alter auf die Seite legen möchte, darüber könnte man dann im Alter auch tatsächlich verfügen. Wenn man es zudem noch produktiv anlegt, steigt das finanzielle Polster im Alter erheblich. Die Rente hängt somit nicht von politisch unrealistischen Versprechen, sondern von einer seriösen persönlichen Vorsorge ab. Dies erhöht den Wohlstand: Gelder werden nicht direkt zu den Rentenempfängern umverteilt, sondern produktiv angelegt. Dies schafft Arbeitsplätze und Prosperität und reduziert die Altersarmut.
- Wahlfreiheit: Wann man sich pensionieren möchte, wie und mit welchen Mitteln man fürs Alter vorsorgen will, fällt in einem liberalen System in den Bereich der Selbstverantwortung. Es gäbe in einem solchen System keinen Zwang, Steuern in ein Fass ohne Boden einzuzahlen und ein Schneeballsystem zu füttern. Ohne dieses «one size fits all»-Korsett kann jeder seine individuellen Bedürfnisse befriedigen und einen Ansatz verfolgen, der ihm persönlich zusagt. Natürlich steht es auch jedem frei, die Vorsorge einer spezialisierten Institution seiner Wahl zu überlassen, wenn man sich selbst zu wenig kompetent fühlt.
Was ist mit jenen, die nicht genug fürs Alter sparen?
Mehr Freiheit führt zu mehr Wohlstand. Ein freiheitlicheres Altersvorsorgesystem ermöglicht daher einen höheren Lebensstandard und weniger Altersarmut für alle. Immer mehr Ressourcen stehen dann jedem Einzelnen über das Existenzminimum hinaus zur Verfügung, die entweder fürs Alter hin gespart werden oder auch an Bedürftige gespendet werden könnten. Je wohlhabender eine Gesellschaft wird, desto mehr Möglichkeiten gibt es, sich gegenüber jenen solidarisch zu zeigen, die fürs Alter ungenügend vorsorgen konnten.
Der Einwand, wonach es in einem liberalen Altersvorsorgesystem keine Garantie gäbe, dass Menschen genügend aufs Alter hin sparen würden, ist problematisch: Er impliziert, dass es in einem verpolitisierten Schneeballsystem wie der AHV eine Art Garantie gäbe, wonach allen im Alter genügend Ressourcen zugeteilt würden. Dem ist mitnichten so. Das AHV-System ist nicht nachhaltig, weil es die Grundlagen seiner eigenen Finanzierung – die produktive Wirtschaft – immer stärker mit steigenden Steuern unterhöhlt. Eine wachsende Steuerlast bedeutet ein Erlahmen der Produktivkräfte. Irgendwann kommt unweigerlich der Moment, an dem nicht mehr genügend Mittel zusammenkommen, um die Ansprüche der Renten-Empfänger abzugelten. Am Ende steht dann der Bankrott und der Kollaps der AHV, mit welchem sicherlich niemandem gedient ist, weil dies schwere politische und soziale Verwerfungen nach sich ziehen würde.
Weg zum Ziel
Um Schlimmeres zu verhindern und die Altersvorsorge auf stabilere Beine zu stellen, gälte es folgende Reformen in Angriff zu nehmen:
- AHV-Reform: Es gilt die AHV von einem sozialistischen Umlageverfahren zu einem liberalen Kapitaldeckungsverfahren umzubauen. Dazu ist eine Änderung von Art. 111ff. der Schweizerischen Bundesverfassung nötig. Dass eine solche Reform möglich ist, hat Chile gezeigt, das sein Altersvorsorgesystem nach diesem Schema ab den 1970er-Jahren reformiert hat und damit grosse Erfolge verbuchen konnte. Chile wurde auch dank dieser Reform zum wohlhabendsten Land Südamerikas. Es handelt sich bei der Umsetzung in Chile zwar nicht um ein astreines liberales System (weil Einzahlungen immer noch gesetzlich vorgeschrieben sind), aber immerhin um eine Form, die dem liberalen Ideal näher kommt als das heutige System in der Schweiz.
- Abschaffung des Vorsorgezwangs auf allen Staatsebenen: Staatlich erzwungene Lohnabzüge zur Einzahlung in vorgeschriebene Gefässe gilt es ersatzlos abzuschaffen. Es soll dem Einzelnen überlassen werden, wie und in welchem Umfang er fürs Alter vorsorgen möchte. Im Gegenzug besteht im Fall gröberen Versäumnisses auch kein Anspruch des Einzelnen auf staatliche Unterstützung. Damit wird nicht nur die Eigenverantwortung gestärkt, was die derzeitige kollektive Verantwortungslosigkeit mit all ihren Risiken reduziert. Auch wird die Last für die Steuerzahler massiv abgebaut, was zusätzlichen Wohlstand ermöglicht und die Altersarmut reduziert.
- Freie Pensionskassenwahl: Arbeitnehmern könnte es mit einer entsprechenden Reform freigestellt werden, in welche Pensionskasse sie ihre zu leistenden Beiträge entrichten. Dies erhöht den Wettbewerb zwischen den Pensionskassen, was diese zu besseren Leistungen und Konditionen anspornt.
- Entpolitisierung des Umwandlungssatzes: Anstatt der Politik die Macht anzuvertrauen, den Umwandlungssatz von Pensionskassen festzulegen, sollten wir diese Entscheidung den Pensionskassen überlassen, die näher am Geschehen sind. Diese können die Situation aus betriebswirtschaftlicher Sicht am besten abschätzen. Politische Zwangseingriffe unterliegen der Willkür und ideologischem Wunschdenken. Pensionskassen sind jedoch an ihrem längerfristigen Überleben interessiert. Die Wahrscheinlichkeit selbstmörderischer Umwandlungssätze, die das Weiterbestehen der Pensionskassen gefährden oder zu riskanter Anlagepolitik verleiten, ist damit geringer.
- Keine staatlichen Vorgaben bei der Verwaltung der Pensionskassengelder: Pensionskassen sollten sich einerseits im Wettbewerb mit anderen Pensionskassen messen dürfen. Dies erfordert nebst der freien Pensionskassenwahl durch die Sparer auch unternehmerische Freiheit auf Seiten der Anbieter. Nur so können sie individuellere Lösungen offerieren, die z.B. der Risikotoleranz des Einzelnen gerecht werden.
Wenn diese umfassenden liberalen Reformen aus politischen Gründen nicht mehrheitsfähig sein sollten, so gälte es als «second best» folgende Reformschritte in Angriff zu nehmen:
- Abschaffung des Vorsorgezwangs auf Bundesstufe: Auch wenn eine Überwindung des Vorsorgezwangs auf allen Staatsebenen aus liberaler Sicht ideal wäre, könnte man als mehrheitsfähigere Kompromisslösung anstreben, diesen Zwang nur auf Bundesstufe abzuschaffen. Durch diese dezentrale Lösung läge die Regelung neu in der Hand der Kantone. Es wäre dann zu erwarten, dass einige auf den Vorsorgezwang verzichten, während andere an ihm festhalten. Dadurch entsteht ein Wettbewerb der Systeme und es stünde den Bürgern frei, einen Wohnkanton zu wählen, der am ehesten ihren Bedürfnissen entspricht.
- Flexible Anpassung des gesetzlichen AHV-Rentenalters an die Lebenserwartung: Damit das illiberale AHV-Schneeballsystem nicht schon bald im Fiasko endet, ist eine ständige Anpassung des AHV-Rentenalters an die tatsächliche Lebenserwartung unausweichlich. Dazu ist eine Anpassung des Artikels 112 der Schweizerischen Bundesverfassung nötig, wo erwähnt werden muss, dass das Rentenalter von aktuell 65 Jahren an die durchschnittliche Lebenserwartung der Wohnbevölkerung in der Schweiz angepasst wird. Wenn die Menschen im Alter gesünder sind und länger leben, spricht auch nichts gegen einen längeren Verbleib im Erwerbsleben. Natürlich soll jeder frei sein, sich pensionieren zu lassen, wann immer er möchte. Doch die Auszahlung der AHV-Renten würde dann erst einsetzen, wenn man das ständig neu zu definierende Rentenalter erreicht hätte. Diese Massnahme hätte zumindest den Effekt, die Kosten in den Griff zu bekommen, ohne dass immer neue Steuern zur AHV-Finanzierung nötig sind. Leider wurde eine entsprechende Volksinitiative («Renteninitiative») im Jahr 2024 abgelehnt.
Olivier Kessler
Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Auszug aus dem Buch Freiheitsdiät: Erfolgsrezepte für eine fitte Schweiz (2024) von Olivier Kessler.