Gerechtfertigt wird eine progressive Einkommensteuer mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip, dass also die, die mehr haben, auch mehr Steuern bezahlen sollen. Doch auch wenn dieses Konzept von vielen befürwortet wird, heisst dies noch lange nicht, dass eine solche Steuer auch «gerecht» wäre. Vielmehr handelt es sich aus praxeologischer Sicht (also aus Sicht der Wissenschaft des menschlichen Handelns) bei der progressiven Steuer um eine feindliche Handlung.
Feindliches Handeln bedeutet, dass sich jemand nur deshalb besserstellen kann, weil er jemandem anderen schadet. In Abgrenzung dazu handelt es sich in der praxeologischen Kategorie des freundlichen Handelns um eine menschliche Handlung, mit welcher sich jemand besserstellt, während er gleichzeitig jemand anderen ebenfalls besserstellt, also z. B. beim freiwilligen Tausch.
Dass Steuern an sich feindliches Handeln sind, ergibt sich daraus, dass der Besteuerte die Steuerzahlung nicht schadensfrei ablehnen kann. Steuern sind aus der persönlichen Sicht der Bedrohten Unrecht und damit ist die Handlung nach einem unpersönlichen (objektiven) Massstab Unrecht, weil sie zu einer Pareto-Verschlechterung zu Lasten des Besteuerten in der Kategorie Besitz führt: Der eine gewinnt Besitz an Geld auf Kosten und zu Lasten des anderen, der diesen verliert.
Dass manche Menschen sagen, sie bezahlten ihre Steuern gerne, bedeutet im Übrigen nicht, dass sie dies auch tun würden, wenn der Zwang tatsächlich entfiele. In der aposteriorischen Handlungswissenschaft vom Wählen der Ziele des Menschen, der Psychologie, wird mit dem Stockholm-Syndrom (auch Helsinki-Syndrom) eine sogenannte «Identifikation mit dem Aggressor» beschrieben. Der Handelnde fühlt unbewusst Wut auf den Drohenden und Angst vor ihm. Die Gefühle Wut und Angst beunruhigen ihn so sehr, dass er diese verdrängt und anstelle dessen eine Art Sympathie mit dem Drohenden empfinden möchte.
Zum Schaden der Produktiven und der Konsumenten
Die progressive Einkommensteuer ist aber nicht nur feindlich, sie ist im besonderen Masse feindlich, weil sie die — aus Sicht der Verbraucher — besten Produzenten am meisten bestraft und damit die Situation der Verbraucher verschlechtert gegenüber einer Situation ohne progressive Einkommensteuer.
Gehen wir davon aus, dass A sein Einkommen ausschliesslich durch freundliches Handeln erzielt. Nun nehmen wir an, dass A hohe Gewinne erzielt. Die Kunden/Verbraucher bewerten As Produkte höher als das, was sie ihm dafür hingeben; daher machen sie aus ihrer Sicht in Summe einen grösseren Gewinn als A. Es entsteht ein Pareto-Optimum im Hinblick auf das Kriterium Güter (Sachen und Leistungen) für alle Beteiligten.
Diejenigen, die eine progressive Einkommensteuer propagieren, spalten einen einheitlichen Vorgang, nämlich den Austausch zwischen A und seinem Kunden, in zwei getrennte Vorgänge auf. Die Produktion durch A einerseits und das Einkommen, das A durch die Produktion erhält, andererseits. A handelt jedoch final, also um Einkommen zu erzielen, für ihn sind es nicht zwei Handlungen: (1) Produktion von Gütern und (2) Erzielung von Einkommen, sondern es ist eine Handlung: A produziert Güter, um Einkommen zu erzielen. Dieser Vorgang kann nicht aufgespalten werden.
Wenn A weniger erhält für die Produktion der Güter, wird er unter sonst gleichen Umständen seine Präferenzen anpassen, der Anreiz zu produzieren, ist tendenziell geringer als ohne die progressive Einkommensteuer, weil er weniger Einkommen erzielen kann, er aber handelt, um Einkommen zu erzielen. Je mehr Gewinn er erwirtschaftet, desto mehr steigt seine Steuerlast. Bei einer progressiven Einkommensteuer von 100 Prozent wird er gar nicht mehr produzieren, weil er kein Einkommen mehr erzielt, und das war die Absicht, die er verfolgte.
Da diejenigen, die die höchsten Profite machen, aus Sicht der Kunden die besten Produzenten sind und die Verbraucher stets in Summe einen höheren Profit machen als der Produzent, schaden die Verbraucher sich selbst, wenn sie für eine progressive Einkommensteuer sind. Sie nehmen denjenigen, die ihre Wünsche am besten erfüllen, das Kapital, um noch besser und günstiger für sie zu produzieren. Und die Mittel kommen in die Hände der Gruppe Staat, die aber nicht nach den Wünschen der Verbraucher produziert, sondern nach ihren eigenen Wünschen, weil sie nicht darauf angewiesen ist, dass die Kunden ihre Kosten decken. Vielmehr deckt sie ihre Kosten durch Zwangsabgaben, also durch Geld, das sie durch Drohung mit einem Übel erhält.
Zum anderen wird bei der progressiven Einkommensteuer die Widersprüchlichkeit des Handelns der Verbraucher deutlich. Wenn diese mehrheitlich eine progressive Einkommensteuer verlangen — und die Gruppe Staat diese dann durchsetzt —, schneiden die Verbraucher sich nicht nur ins eigene Fleisch, sondern setzen sich auch in Widerspruch zu ihrem vorhergehenden Handeln. Denn der Zustand, dass der «reiche» A so viel verdient, wurde ja gerade durch sie herbeigeführt. Sie haben ihm die Mittel im freiwilligen Austausch zugewendet, die sie ihm nun im Wege der progressiven Besteuerung abgenommen sehen wollen.
Innovation wird abgewürgt
Darüber hinaus führt die progressive Einkommensteuer dazu, dass etablierte Unternehmen, die über Kapital verfügen, vor unliebsamer Konkurrenz geschützt werden. Innovative, junge Unternehmer mit hohen Profiten werden höher besteuert als alteingesessene Unternehmen mit grosser Kapitalausrüstung und relativ geringen Margen.
Unter sonst gleichen Umständen werden also weniger Güter produziert, nach denen ein dringenderes Bedürfnis besteht, als ohne die progressive Einkommensteuer. Die korrigierende Reaktion der Marktteilnehmer in ihrer Gesamtheit durch die feindliche Intervention ist ein geringerer Output an dringender gewünschten Gütern als ohne die Drohung.
Andreas Tiedtke ist Rechtsanwalt und Unternehmer.