Die künstliche Intelligenz ist derzeit in aller Munde. Immer, wenn eine noch weitestgehend unbekannte Technologie am Horizont erscheint, gibt es Stimmen, welche diese als Hoffnung, Chance und Fortschritt preisen. Und es gibt die Warner, die auf die potenziellen Gefahren der Technologie hinweisen. Meistens haben beide Seiten recht.
Dieses Mal dürfte es nicht anders sein: Technologien sind Werkzeuge, die sowohl für das Gute wie auch das Böse eingesetzt werden können. Was sind die Chancen, was die Risiken der künstlichen Intelligenz? Auf welche Weise können wir uns gegen neuartige Bedrohungen zur Wehr setzen? Darüber diskutierten 140 Teilnehmer an der LI-Konferenz, die in Kooperation mit dem Forschungsnetzwerk ACIT Global durchgeführt wurde.
LI-Direktor Olivier Kessler ging in seiner Einführung auf den Freiheitsbegriff ein. Je nach dem, wen man frage, verstünde man darunter unterschiedliche Dinge. Für klassisch Liberale sei Freiheit «das Recht, in Ruhe gelassen zu werden, von all jenen, die man nicht eingeladen hat und mit denen man nichts zu tun haben will» (Roland Baader). Freiheit sei diesem Verständnis nach ein Abwehrrecht des Einzelnen, das ihn vor Angriffen anderer Individuen und dem Staat schütze. Die Durchsetzung des Privateigentums sei das entsprechende Mittel dazu, zu welchem nicht nur materielle Errungenschaften jedes Einzelnen zählt, sondern auch der eigene Körper. Unter der Voraussetzung des geschützten Privateigentums stünden jedem Einzelnen maximal mögliche Freiheitsräume zu, sodass die eigene Freiheit erst an der Freiheit des nächsten ende.
Sozialisten in allen Parteien behaupteten hingegen, Freiheit sei das Recht, etwas tun zu können, auch wenn man nicht über die dafür nötigen Ressourcen verfüge. Die Rechnung solle dann gefälligst von jemand anderem bezahlt werden – vom Staat, resp. den Steuerzahlern. Eine solche Definition der Freiheit als Anspruchsrecht widerspreche diametral der liberalen Auffassung von Freiheit als Abwehrrecht. Deshalb sei die Freiheit im sozialistischen Sinne ein Euphemismus, eine Täuschung. Denn die «Freiheit» im sozialistischen Sinne könne nur dann konsequent durchgesetzt werden, wenn man die Freiheit anderer verletze, gegen andere Gewalt und Zwang androhe.
In seinem Gastreferat mit dem Titel «KI: Turmbau zu Babel 2.0?» skizzierte Dr. Konrad Hummler, Unternehmer, Publizist und ehemaliger Privatbankier, die Folgen der künstlichen Intelligenz auf die Kommunikation. Die Folge des in der Genesis beschriebenen Eingriffs der Götter beim Turmbau zu Babel und des nachfolgenden Zusammensturzes des Turms war eine starke Erhöhung der Informations- und Transaktionskosten, weil die Menschen plötzlich nicht mehr dieselbe Sprache sprachen.
Obwohl nun KI-basierte Übersetzungstools immer weiterentwickelt würden und man sich heute schon die Frage stellen könne, wieso man eigentlich noch eine Sprache lernen solle, sei die Annahme falsch, dass damit die Transaktions- und Informationskosten sinken würden. Denn aufgrund der künstlichen Intelligenz komme es zu einer Content-Inflation. Dieser Content sei zwar sehr hochwertig, jedoch leide die Authentizität. Es werde gerade im Bereich des Digitalen zunehmend schwieriger, echt von unecht, wahr von unwahr zu unterscheiden.
Die künstliche Intelligenz sei zwar den Menschen haushoch überlegen, wenn es darum ginge, Zeichen zu sammeln (Syntax). Gerade bei der Semantik und der Pragmatik habe die KI aber auch ihre Grenzen. Dort, wo es ums Sollen geht, könne die künstliche Intelligenz kaum etwas Nützliches hervorbringen, weil das Sollen nicht binär sei, sich also nicht in Nullen und Einsen pressen lasse.
Rahim Taghizadegan, Publizist und Leiter des Scholarium in Wien, ging anschliessend auf die Frage ein, ob eine Regulierung der künstlichen Intelligenz notwendig sei und welche Wirkung man sich davon erhoffen dürfe. Die Folgen der Technologie würden kurzfristig überschätzt und langfristig unterschätzt. Normalverteilte, versicherbare Risiken seien die Norm. Das Risiko gehe im Übrigen nicht nur von der künstlichen Intelligenz aus, sondern auch von der menschlichen Dummheit – vor allem, wenn es um den Umgang mit dieser neuen Technologie ginge, z.B. in Form von Regulierungen.
Von der Regulierung selbst könne eine grössere Gefahr ausgehen als von der künstlichen Intelligenz. Die Vernichtung von Abermillionen Menschen durch nationalsozialistische oder kommunistische Regime zählten zu den verheerendsten Regulierungsversagen. Es sei völlig naiv zu glauben, dass Regulierung dem Allgemeinwohl diene. Vielmehr handle es sich um ein Instrument der Durchsetzung von Sonderinteressen.
Gerade wenn man betrachte, wer die potenziellen Regulatoren von künstlicher Intelligenz seien, so müsse man konstatieren, dass es gerade diese Akteure seien, die ein Interesse an einer möglichst raschen Entwicklung der Technologie interessiert seien. Dies, um sie für ihre Macht- und Kontrollinteressen einzusetzen und ihre eigene Position zu stärken. Technologien könnten nicht von Verboten verdrängt werden. Vielmehr bewirkten solche Verbote eine Beschränkung der Technologien auf wenige (Monopolisierung), wie es schon bei Kriegstechnologien hätte beobachtet werden können.
Die Frage laute daher nicht, welche Regulierungen wir bräuchten, sondern welche Regeln. Es brauche Transparenz, z.B. in Form von «Open Source»-Projekten, die für alle gleichermassen einsehbar seien. Eine weitere entscheidende Regel sei Dezentralität: Es soll mit verschiedenen Strukturen und Systeme experimentiert werden. Es brauche zudem Meinungsfreiheit und Methodenfreiheit als wichtige Regel: Nichts sei gefährlicher als ein Expertenkonsens hinsichtlich der Gefahren der KI und wie damit umgegangen werden müsse. Der Schlüssel zu all dem seien Freiheit und geschütztes Privateigentum.
Nicolas Zahn, Managing Director der Swiss Digital Initiative, verdeutlichte in seinem Gastreferat die Abhängigkeit der Menschheit von Technologien, um gedeihen und prosperieren zu können. Die Erforschung und der Einsatz von Technologien lasse sich nur schwer beeinflussen, zumal hier verschiedene Anreizstrukturen am Werk seien – wie etwa Neugier, Profitstreben und Macht. Technologie sei nicht per se gut oder schlecht, aber sie sei auch nicht neutral. Sie werde beeinflusst durch den Kontext der Erschaffung und der Vorstellungen jener Personen und Organisationen, die sie entwickelten, betrieben und regulierten.
Künstliche Intelligenz könne durchaus unsere Verbündete sein, vor allem beim Fokus auf Daten. Dort könne die Technologie bei der Bewältigung komplexer Probleme behilflich sein. Andererseits könne sie aber auch missbraucht werden: Beispiele dafür seien die neuen Möglichkeiten der Überwachung, die Frage, wer Zugang zu den Daten habe (Zentralisierung) und wer definiere, wo künstliche Intelligenz eingesetzt werden dürfe und wo nicht.
Aktuell gebe es viele Probleme mit der künstlichen Intelligenz: wenig Transparenz und Vertrauen sowie wenig Mitsprachemöglichkeiten für das Individuum. Es herrsche ein anderer Spirit als bei der PC-Revolution. Doch es gebe dafür eine spannende Gegenbewegung, z.B. in Form von «Open Source»-Projekten. Künstliche Intelligenz könne, eine sinnvolle Regulierung und verantwortungsbewusste Entwickler vorausgesetzt, eine mächtige Verbündete der Menschen werden.
Nach der Ansicht von Benjamin Bargetzi, Tech-Investor & Gründer des ACIT Global Forschungsnetzwerks, habe die Menschheit nun das Zeitalter der erweiterten Intelligenz betreten, ein bahnbrechendes Kapitel in der Geschichte der Menschheit, welches einen Einfluss gleich dem der Renaissance auf unsere Kultur haben werde. Die Beschleunigung dieses Fortschritts werde sich unaufhaltsam fortsetzen, getrieben von fortschrittlicheren und effizienteren Algorithmenstrukturen und -architekturen. Es gelte, mit dieser Geschwindigkeit leben zu lernen.
Zukunftstechnologien seien aber nicht nur Werkzeuge, die wir benutzen; sie würden auch aktiv unsere Umwelt gestalten und wirkten sich so unmittelbar aufgrund der Neuroplastizität des Gehirns auf unsere Biologie aus. Zu Ende gedacht eröffneten sich Möglichkeiten für eine direkte Verschmelzung von Mensch und Maschine. Beispiele wie Cyborg-Körper oder Gehirn-Computer-Schnittstellen, wie sie Neuralink entwickelt, stünden im Zentrum neurowissenschaftlicher Forschung und ergäben spannende Perspektiven. Die erste industrielle Revolution habe sich mit Dampf- & Wasserkraft befasst, die zweite mit Elektrizität, die dritte mit dem Internet & die vierte mit KI. Die fünfte werde die industrielle Revolution der Verschmelzung von Biologie und Maschine sein.
Laut Bargetzi werde künstliche Intelligenz sowie ihre Nachfahren und Folgetechnologien den Menschen in jeder Domäne der Intelligenz übertreffen können. Dies stelle die Menschheit vor die Herausforderung, ihre Rolle und Identität neu zu definieren und sich in einer einzigartigen Weise zu differenzieren.
In der anschliessenden Panel-Diskussion wurden verschiedene Fragen im Zusammenhang mit dem Veranstaltungsthema erörtert. Unter anderem stand zur Debatte, ob der Mensch in Fragen der Moral und des Sollens einer künstlichen Intelligenz tatsächlich überlegen sei oder ob der Mensch nicht auch oftmals moralisch falsch handle. Zumindest könne es nicht schaden, eine guttrainierte Maschine in beratender Funktion zuzuziehen, wurde von einigen moniert. Ob man hingegen wegweisende Entscheide vollständig an eine künstliche Intelligenz delegieren solle, darüber herrschte Uneinigkeit.
Lesen Sie zu diesem Thema auch das LI-Buch «Liberalismus 2.0: Wie neue Technologien der Freiheit Auftrieb verleihen können»: