Das nachfolgende Interview ist in der November-Ausgabe des Magazins MITMENSCHENREDEN erschienen.
Ralf M. Ruthardt | Ihr Roman zeigt ein dystopisches Sozialkreditsystem und ein digital gesteuertes Geldmonopol. Wie sehen Sie darin die grösste Gefahr für individuelle Freiheit – und welche Rolle spielt in Ihrem Werk das liberale Ideal?

Olivier Kessler | Mein Wertefundament basiert auf dem Liberalismus mit seinen unantastbaren individuellen Abwehrrechten. Der Schutz des Individuums ist zentral für das menschliche Gedeihen, für Frieden, Wohlstand und Freiheit. Doch dieser Schutz ist in den letzten Jahrzehnten immer stärker unter Druck geraten durch die Renaissance etatistischer Ideologien. In meinem Roman „Befreiungsschlag“ habe ich mir die Frage gestellt, wohin uns die heute verbreiteten Ideen führen werden, wenn wir die Weichen im Hier und Jetzt nicht neu stellen. Ich habe mir vorzustellen versucht, was es bedeutet, in einem System mit digitalem Zentralbankgeld, E-ID und Sozialkreditsystem zu leben – und bin zum Schluss gekommen: Das ist schlimmer als jede zuvor gemalte Dystopie.
Ralf M. Ruthardt | In „Befreiungsschlag“ verbindet sich eine Liebesgeschichte mit dem Kampf um Selbstbestimmung. Warum war Ihnen diese persönliche Dimension für das liberale Narrativ wichtig?
Olivier Kessler | Liebe ist die stärkste Kraft, die man sich nur vorstellen kann. Nichts ist stärker als die Liebe, nicht einmal das totalitärste System der Welt. Mir war es auch wichtig, aufzuzeigen, dass selbst die rigoroseste Politik der Welt nicht gegen unseren Willen zur Freiheit ankommen kann, denn wir sind als freie Menschen geboren worden und wollen es bleiben. Im Roman ist dem Hauptakteur Mike, der lediglich 2 von 5 Sternen besitzt, der Kontakt zu seiner Traumfrau Maria – eine Viersternebürgerin – eigentlich verboten, sodass Mut, Entschlossenheit und ein Funken Wahnsinn vonnöten sind, um die politischen Hürden zu überwinden – ja sogar niederzureissen.
Ralf M. Ruthardt | Sie schreiben über eine Gesellschaft, in der Kontrolle durch Technologie und „Allgemeinwohl“-Rhetorik legitimiert wird. Ist das für Sie eine Warnung vor aktuellen Entwicklungen? Sehen Sie bereits erste Anzeichen in der Realität?
Olivier Kessler | Natürlich, da stecken wir schon ganz tief drin. Mit der Rhetorik des Minderheitenschutzes beraubt der Staat bereits heute eine unschuldige Mehrheit unter Androhung oder Anwendung von Gewalt – man nennt es euphemistisch auch „Besteuerung“. Unter dem schönklingenden Ziel des „Klimaschutzes“ werden alle möglichen Eingriffe in die individuelle Freiheit gerechtfertigt. Mit dem Narrativ des „Kriegs gegen Krankheitserreger“ passiert dasselbe. Mit all dem werden wir als souveräne Individuen infrage gestellt, zu unfreien Untertanen herabgestuft, während die Macht der Mächtigen immer weiter wächst. Die Frage ist: Kann das gut ausgehen?
Ralf M. Ruthardt | Soll Ihr Roman an Ayn Rands „Der Streik“ (Originaltitel: „Atlas Shrugged“) anknüpfen? Hat Ayn Rand Sie beim Schreiben des Romans inspiriert und Ihr liberales Menschenbild geprägt?
Olivier Kessler | Ayn Rand hatte durchaus enormes Talent, konnte freiheitliche Ideen in sehr passenden Worten vermitteln und hat zweifelsohne grosse Fussstapfen hinterlassen. Doch explizit als Vorbild hatte ich sie nicht vor Augen beim Schreiben, auch wenn jemand meinte, der Roman sei eine Mischung von Ayn Rand, George Orwell und Satoshi Nakamoto.
Ralf M. Ruthardt | Im Roman helfen Mut, Wissen und Solidarität, den „Befreiungsschlag“ vorzubereiten. Welche konkreten Wege sehen Sie in unserer Gesellschaft, um freiheitliche Werte heute noch zu retten oder zurückzugewinnen?
Olivier Kessler | Viele Wege führen nach Rom. Einerseits hilft die liberale Aufklärungs- und Bildungsarbeit, um den Menschen die Funktionsweise freier Gesellschaften und Märkte zu vermitteln und aufzuzeigen, weshalb der staatliche Interventionismus oder sogar Sozialismus nicht funktionieren kann. Des Weiteren ist das unternehmerische Engagement für die Freiheit nicht zu unterschätzen, z.B. in Form der Entwicklung neuer Freiheitstechnologien oder die Gründung Freier Privatstädte. Politisches Engagement ist ebenfalls wichtig, um den Einfluss des übermächtigen Staates so weit wie möglich zurückzudrängen. Auch die Abstimmung mit den Füssen kann ein wirkungsvolles Mittel sein, wenn es eine Gebietskörperschaft mit der Ausbeutung ihrer Steuerzahler und der Übergriffigkeit übertreibt. Damit entzieht man den Aggressoren die Mittel, indem man an einen Ort zieht, an dem man von den Behörden und Politikern besser behandelt wird. Allein die Möglichkeit, dies tun zu können, wirkt disziplinierend.
Ralf M. Ruthardt | Sind liberale Menschen eher die Einzelkämpfer? Wo erkennt man, dass sich Liberale mit Gestaltungswillen zusammentun und in unserer parlamentarischen Demokratie – beispielsweise in Deutschland, Österreich und der Schweiz – eine relevante Wirkung erzeugen?
Olivier Kessler | Liberale kämpfen in Demokratien vermutlich immer nur Rückzugsgefechte, bis das System am Ende ist und wieder neu gestartet werden muss unter wesentlich liberaleren Vorzeichen. Ein Beispiel dafür ist das „deutsche Wirtschaftswunder“ nach dem Zweiten Weltkrieg. Denn der Mensch ist grundsätzlich faul und wählt tendenziell lieber solche Politiker, welche ihm ein leistungsloses Einkommen via Zwangsumverteilungsstaat versprechen, vor allem wenn man nicht erkennt, dass man sich und seinen Nachfahren dadurch das eigene Grab schaufelt. Dadurch kommen selbst in einem freiheitlich orientierten Land im Laufe der Zeit die Etatisten und Kollektivisten an die Macht und zerstören all das, was zuvor mit grosser Mühe aufgebaut worden ist. Erst, wenn es nichts mehr umzuverteilen gibt und die Wirtschaft am Ende ist, fällt das Kartenhaus in sich zusammen, worauf man unter grosser Not wieder neu beginnen muss. Politisch ist es daher sehr schwierig, dem Liberalismus dauerhaft zum Durchbruch zu verhelfen. Freiheit muss also immer wieder neu erstritten und verteidigt werden – mit aller Vehemenz.
Der Roman „Befreiungsschlag: Hoffnungsschimmer für eine verloren geglaubte Welt“ ist in unserem Shop verfügbar.



