Die Hauptschwäche des Wohlfahrtsstaats besteht nicht darin, dass er immer unbezahlbarer wird, sondern dass er den sozialen Ast absägt, auf welchem er sitzt. Eine Gesellschaft, in welcher die Menschen verlernen, einander spontan und von sich aus motiviert beizustehen und zu helfen, ist dem Untergang geweiht, selbst wenn ihre ökonomische Produktivität noch ausreicht, um ihre Fehlstrukturen aufrecht zu erhalten oder gar auszubauen. Das Sozialverhalten wird in langsamen zivilisatorischen Lernprozessen von Generation zu Generation aufgebaut. Dieser Aufbau kann möglicherweise mit dem Tempo des Zerfalls nicht Schritt halten. Der entscheidende Engpass liegt nicht bei den Finanzen, sondern in der menschlichen Seele.
Der Wohlfahrtsstaat ist eine zu ernste Sache, als dass man ihn den Sozialisten überlassen dürfte, aber auch seine Radikalkritiker sind nur dann ernst zu nehmen, wenn es ihnen gelingt, aufzuzeigen, welche Alternativen es denn gäbe. Theorie ist, wenn nichts funktioniert, aber alle wissen warum, und Praxis ist, wenn alles funktioniert, aber niemand weiss warum. Immerhin gibt es auch in der Sozialpolitik oft nichts Praktischeres als eine gute Theorie. Alternativen zu altvertrauten und populären Institutionen des Daseinsvorsorgestaats haben zunächst immer etwas Utopisches.