Das Ignorieren von Risiken ist nicht allein auf fachliche Kenntnisdefizite zurückzuführen. Menschen mögen es nicht, sich mit Risiken zu beschäftigen, sondern tendieren dazu, nur ein gewünschtes Szenario zu betrachten. Individuen neigen auch dazu, Risiken systematisch falsch einzuschätzen und zu priorisieren. So werden aus wahrscheinlichkeitstheoretischer Sicht vergleichsweise bedeutungslose Risiken überschätzt und gravierende Risiken ignoriert.
Möglicherweise beschäftigen sich Entscheidungsträger in Wirtschaft und Staat inzwischen zu intensiv mit einem Thema, das im Sinne eines «Halo-Effekts» alle anderen Bereiche inklusive ihrer Risiken überstrahlt: mit der Nachhaltigkeit — und speziell dem Klimawandel. Eine ausgeprägte Fokussierung der öffentlichen Wahrnehmung auf ein einziges Thema in Verbindung mit einer Gesinnungsethik und dem persönlichen Wohlgefühl der Moralunternehmer führt tendenziell zu einer erhöhten Risikoblindheit — und deshalb nimmt die Bedrohung durch kritische Abhängigkeiten möglicherweise zu, weil die entsprechenden Themen aus dem Blickfeld verdrängt werden.
Eine eindimensionale und unterkomplexe Sichtweise auf die moderne Welt in Verbindung mit einer «moralisierenden» Grundhaltung (auch in den Medien), ist als kritisch zu betrachten. Als besonders bedenklich erscheint es, wenn Wissenschaftler die Webersche Werturteilsfreiheit vernachlässigen und als Begleitforscher den politischen Willen unreflektiert unterstützen. Es ist für Bürger, Unternehmen und ganze Staaten potenziell bestandsgefährdend, wenn aus einer (im Einzelnen immer durchaus diskussionswürdigen) moralischen Grundlage und einer starren Fixierung auf ein bestimmtes Themenfeld offenkundige Risiken von Entscheidungen vernachlässigt und Risiken aus anderen Themenfeldern ignoriert werden.
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