Was haben Segel mit Sklaven gemein? Sie sind beide im Zuge des industriell-technischen Fortschritts abgelöst worden durch Dampfmaschinen und Verbrennungsmotoren. Windmühlen, Sonneneinstrahlung, Biomasse und Muskelkraft von Mensch und Tier haben über Jahrtausende als einzige Energiequellen zur Verfügung gestanden und damit die Menschheit in der Malthus-Falle des Existenzminimums festgehalten. Der Grund liegt im niedrigen Erntefaktor ERoEI (energy return on energy investment). Die Sonne lässt die Biomasse wachsen, und diese wird von den Menschen direkt (Ernährung) und indirekt (Feuer, Pferde usw.) genutzt. Die Sonne schickt zwar keine Rechnung, aber Anbau, Ernte, Transport, Lagerung und Handel erfordern energetische Ressourcen.
Im vorindustriellen Altertum lag der ERoEI nur knapp über 1, d. h., die Menschen erreichten nur wenig mehr Nutzenergie, als für das blosse Überleben investiert werden musste. Die Römer sollen es mit einem unmenschlich strengen Regime bis zu einem Wert von etwa 4 geschafft haben, was die Versklavung von Menschen rentabel machte. Der Sklave lieferte mehr Arbeitsleistung, als an Energie-Input erforderlich war, um seine Arbeitsleistung aufrechtzuerhalten. Erst mit der Erfindung der Dampfmaschine und später von Diesel- und Benzinmotoren, also vor allem wegen des Ersatzes von Biomasse durch fossile Energieträger, schnellte der ERoEI-Wert auf 40 und mehr hinauf und befreite die Menschheit vom nackten Überlebenskampf. Dies war weniger der Effizienz in der Energieumwandlung zu verdanken als der enormen Energiedichte von Kohle, Öl und Gas im Vergleich mit pflanzlicher Biomasse. Maschinen rentierten daher mit der Zeit nicht nur besser als Nutztiere, sondern auch als Sklaven. Es ist deshalb kein Zufall, dass im industriellen Norden der USA die Sklaverei viel schneller zurückging als in den Plantagen des Südens.
Ohne diese gewaltigen ERoEI-Gewinne wäre das moderne wirtschaftliche Wachstum nie möglich geworden. Entsprechend droht bei einer Rückkehr im grossen Stil zu Biomasse ein wirtschaftlicher und zivilisatorischer Rückschritt. Das zeigt sich bereits heute am Wirkungsgrad im Promillebereich von Biomassen-Ketten mit den Endprodukten Biodiesel oder Pellets. Natürlich müssen die fossilen Energien in Zukunft ersetzt werden, aber nicht sofort und vor allem nicht durch die Rückkehr ins vorindustrielle Zeitalter, sondern durch wirkliche technische Innovationen, die wir uns heute nicht einmal vorzustellen vermögen. Die Nukleartechnologie hat dank der phänomenalen Energiedichte zumindest echte Chancen in der Stromproduktion. Dies im Gegensatz zu den geplatzten Träumen der Geothermie, die weder nachhaltig (Abkühlung der Reservoire) noch umweltfreundlich (Bohren und Betrieb) ist.
Zurück zum Wind: Hier lag der Schwachpunkt immer schon bei seiner Unregelmässigkeit und Unplanbarkeit (Stärke und Richtung, Flauten). Als die Dampfmaschinen aufkamen, wurden bald auch Dampfschiffe gebaut, und mit dem Dieselmotor nahm die kommerzielle Segelschifffahrt ein jähes Ende oder verlagerte sich ausschliesslich in den Spass- und Hobby-Bereich. Eine flächendeckende Rückkehr zum Wind wäre für Schiffstransporte, aber auch für die Stromerzeugung ein zivilisatorischer Rückschritt.
Wenn die Mehrheit der Menschheit die absolute Armut überwinden will, bleibt sie in diesem Jahrhundert weiterhin auf Kohle, Öl und Gas als Hauptenergielieferanten angewiesen. Biomasse, Wind und Sonne können an geeigneten Standorten für Nischen- und Ergänzungsfunktionen eine Aufgabe bei der Stromversorgung übernehmen und trotz niedrigem Erntefaktor wirtschaftlich sinnvoll werden. Eine Photovoltaikanlage (PV) mit Batterie ist für eine abgelegene Sommeralp die bessere Lösung als ein kilometerlanger Netzanschluss; ebenso sind dezentrale Wärmeversorgungen mit PV oder Geothermie in dünnbesiedelten Regionen sinnvoller als Wärmenetze.
Was aber langfristig für unsere anspruchsvolle Grundversorgung mit Strom in der dichtbesiedelten, aber sonnen- und windarmen und erst noch bodenknappen Schweiz wirtschaftlich überlebensfähig werden will, muss den ERoEI der alten Kernenergie zum Massstab nehmen und übertreffen können. Dazu braucht es ergebnisoffene, aber auch freie Forschung mit einem Zeithorizont von einem halben Jahrhundert und mehr. Die Politik mag noch so sehr die neuen Erneuerbaren forcieren, das Ergebnis daraus ist Stillstand. Die Stärke der Sonneneinstrahlung und des Windes pro Flächeneinheit sowie der Bodenbedarf für Biomasse setzen dem technischen Fortschritt enge und absolute Grenzen. Die technische Entwicklung wird rasant weitergehen, aber eben nicht auf politischen Befehl, sondern aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und unternehmerischer Marktchancen. Ideologisch (Suffizienz) oder planwirtschaftlich diktierte Massnahmen führen daher zu Rückschritt, nicht zu Fortschritt. Wir können ruhigen Gewissens und im Wissen um die Produktivitätssteigerung dank Digitalisierung, Robotisierung oder Elektromobilität mehr Strom verbrauchen als heute. Wir müssen diesen nur produktiver und innovativer nutzen und dabei die Emissionen senken.
Silvio Borner ist Präsident des Carnot-Cournot-Netzwerks und emeritierter Professor für Volkswirtschaft an der Universität Basel sowie Mitglied des Akademischen Beirats des Liberalen Instituts. Dieser Artikel wurde in der Neuen Zürcher Zeitung publiziert. Mit freundlicher Genehmigung.