Die vergangenen Jahrzehnte seit dem Mauerfall waren aus Sicht der Freiheit überwiegend ein Trauerspiel. Seither ist der Westen ideologisch stark abgedriftet. Bis dahin hatte er mehr oder weniger entschlossen an den Prinzipien festgehalten, um die er weltweit beneidet wurde: individuelle Freiheit, Privateigentum, freies Unternehmertum, endlose Möglichkeiten, Marktwirtschaft, Meinungsäusserungsfreiheit.
Bald aber, nachdem die sozialistische Konkurrenz hinter dem Eisernen Vorhang implodierte und auseinanderbrach, war es damit vorbei. Schleichend haben sich Paternalismus, Überregulierung, Bevormundung, Dirigismus, planwirtschaftliche Elemente, staatliche Kontrolle und Überwachung eingeschlichen.
Von echter Freiheit kann in den Ländern des Westens kaum noch die Rede sein. Auf dem Papier mögen sie immer noch relativ freier sein als andere Länder, wie etwa die BRICS-Staaten, ganz zu schweigen von Ländern wie Kuba, Venezuela oder Nordkorea. Doch das ändert nichts an der Tatsache, dass der absolute Freiheitsgrad in den letzten Jahrzehnten scheibchenweise reduziert wurde. Hier eine Scheibe, da eine Scheibe, dort eine Scheibe.
So sind heute nur noch zertrümmerte Fragmente der «freien Welt» übriggeblieben. Der Staat hat das Zepter in praktisch allen Lebensbereichen an sich gerissen und das Individuum entmachtet. Werte wie Eigenverantwortung, freiwillige Solidarität, Sparsamkeit und private Vorsorge erodierten schleichend.
Weltweite Schockwellen
Doch dann – aus dem Nichts – gewann in Argentinien der libertäre Präsidentschaftskandidat Javier Milei überraschend die Wahlen und löste damit weltweite Schockwellen aus. Argentinien war vor rund 100 Jahren eines der wohlhabendsten Länder der Welt, woran der Spruch «reich wie ein Argentinier» erinnert. Doch dann wurde es von den Sozialisten komplett heruntergewirtschaftet. Es ist ein weiteres Anschauungsbeispiel dafür, dass ein fetter Staat kein Wohlstand schafft, sondern ihn zerstört. Genau dies wäre das tragische Schicksal aller westlicher Länder, wenn sie den nach dem Mauerfall eingeschlagenen Irrweg weiterhin begehen.
Milei ist ein Anhänger der Österreichischen Schule, also von Denkern wie Ludwig von Mises und Murray Rothbard. Er ist sich deshalb bewusst, dass der Staat nicht die Lösung ist, sondern das Problem. Im Eilzugstempo befreit er das Land seit seinem Amtsantritt von der Last der drückenden Überregulierung und fiskalischen Gier. In seiner ersten Amtshandlung verringerte er die Anzahl Ämter von 21 auf 9. Der argentinische Staatshaushalt ist unter Milei zum ersten Mal seit vielen Jahren ausgeglichen, was er mit einem entschlossenen Sparkurs erreicht hat. Dadurch bestand auch keine Notwendigkeit mehr, die nötigen Mittel für die zuvor hohen Staatsausgaben durch die Zentralbank herbeizudrucken, was der grassierenden Hyperinflation den Wind aus den Segeln nahm. Lag diese im Dezember 2023 noch bei 25,5 Prozent pro Monat, waren es im Juni «nur» noch 4,6 Prozent.
Mileis Deregulierungsagenda funktioniert. Ein Beispiel unter vielen: Im Dezember 2023 beseitigte er die Mietpreis-Bremse und baute Wohnungsregulierungen ab. Das Angebot an Mietwohnungen stieg in der Folge um beeindruckende 212 Prozent gegenüber dem Vorjahr, während die Mietpreise um durchschnittlich 26,6 Prozent fielen.
Grund zur Hoffnung
Welches Argentinien nehmen wir uns im Westen zum Vorbild? Dasjenige der letzten Jahrzehnte, das in hohem Bogen scheiterte und zu Armut und Elend geführt hat? Dann müssen wir nichts weiter tun und die Staatsgläubigen in allen Parteien einfach machen lassen. Oder nehmen wir uns dasjenige Argentinien seit 2023 zum Vorbild, das gemäss Aussage von Milei zum freiheitlichsten Land der Welt werden will, einen Grossteil der Behörden schliesst, schädliche Regulierung abbaut, Steuern massiv senkt und der Bevölkerung damit neue Hoffnung verliehen hat?
Es scheint, als würden immer mehr Menschen im Westen realisieren, dass wir uns auf einem Holzweg befinden. Es gibt mehr und mehr Anzeichen, die darauf hindeuten, dass wir am Anfang einer Zeitenwende stehen. Wer in den letzten Wochen in die Welt blickte, konnte zumindest diesen Eindruck gewinnen:
- In den USA wollen Elon Musk und Vivek Ramaswamy, die das neue Department of Government Efficiency leiten werden, die Staatsausgaben um 2 Billionen Dollar kürzen.
- In Deutschland brach die ökosozialistische Ampel-Regierung auseinander, die mit ihrer Politik der übertriebenen Staatseingriffe und der verrückten Deindustrialisierungsagenda viele Deutsche verärgert hatte. Folgt jetzt die Abkehr dieses ideologischen Irrwegs und somit ein neues «Wirtschaftswunder»?
- Liechtenstein schaffte in einer Volksabstimmung den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ab und implementiert damit eine liberalere Medienpolitik.
Klar ist: Es stehen enorme Herausforderungen an und es gibt noch sehr viel zu tun. Doch die Anzeichen häufen sich zumindest, dass das Pendel, das sich nun jahrzehntelang in Richtung Staatsaufblähung, Überregulierung und Interventionismus bewegt hat, langsam zurückpendeln könnte.
Olivier Kessler
Der Autor ist Direktor des Liberalen Instituts in Zürich.
Dieser Beitrag ist auf Finews.ch in mehreren Sprachen erschienen.