Am 29. November 1847 endete der Sonderbundskrieg. Dieser Bürgerkrieg war der letzte Krieg auf Schweizer Boden, bei dem dank umsichtiger Führung wenige Opfer zu beklagen waren. Spektakulär war der Umstand, dass sich der eidgenössische Staatenbund innerhalb kürzester Zeit eine Verfassung als Bundesstaat gab, sich neu organisierte, ein Parlament mit zwei Kammern und den Bundesrat wählte. Letzterer tagte am 27. November 1848 erstmals. Vom Bruderkrieg zum «einig Volk von Brüdern» waren gerade mal 364 Tage vergangen. Diese liberale Glanzleistung geriet leider weitgehend in Vergessenheit, verdient jedoch massiv mehr Anerkennung; denn sie hält auch für heutige Herausforderungen passende Antworten bereit.
Die Schweiz vor 1848
Als 1798 die französischen Truppen einmarschierten, bedeutete dies das Ende der alten Eidgenossenschaft. Nach dem Zusammenbruch der französischen Herrschaft brach in Europa die Zeit der Restauration an, und die Monarchien wurden wieder installiert. Am Wiener Kongress von 1814/1815 garantierten die europäischen Grossmächte die Unverletzlichkeit des schweizerischen Territoriums und die Neutralität. Als die Juli-Revolution von 1830 den französischen König entthronte, verschaffte dies der Schweiz Luft für einen liberalen Aufbruch, die sogenannte Regeneration. Mehrere Kantone gaben sich neue liberale Verfassungen, welche die Gewaltentrennung und gewisse Freiheitsrechte einführten.
Die Schweiz hatte die konfessionellen Gräben noch nicht überwunden. Das Misstrauen war beidseits gross. Luzern ging auf eigenem Territorium rigide gegen Andersdenkende vor, was zu Flüchtlingen innerhalb der Eidgenossenschaft führte. Als Konsequenz zogen 1844 und 1845 zwei erfolglose Freischarenzüge gegen Luzern. Nach den abgewehrten Angriffen suchte Luzern eine Verteidigungsallianz und fand sie im Sonderbund. Die liberalen Kantone sahen darin einen Bruch des Bundesvertrags. Sie drängten vergeblich auf eine Auflösung, weshalb es zum Krieg kam. Die Zerschlagung des Sonderbunds stärkte die liberalen Kräfte und ebnete den Weg für eine grundlegende Revision des Bundes.
Im Schnellzug zur Bundesverfassung
Rund zweieinhalb Monate nach Ende des Sonderbundskriegs nahm die Bundesrevisionskommission am 17. Februar 1848 ihre Arbeit auf. Sie legte trotz teilweise heftiger Kontroversen innerhalb von 51 Tagen eine vollständige Verfassung vor. Nach Ratifizierung durch die Kantone setzte die Tagsatzung die mit grossem Mehr angenommene Bundesverfassung der schweizerischen Eidgenossenschaft am 12. September in Kraft. Am 6. November tagten die beiden Räte erstmals und zehn Tage später wählten sie den ersten Bundesrat. Von der ersten Sitzung der Bundesrevisionskommission bis zur Wahl der ersten Regierung waren somit gerade einmal neun Monate vergangen, gleich lang wie von der Zeugung bis zur Geburt eines Kindes. Der neu gewählte Bundesrat hielt seine erste Sitzung am 21. November 1848 ab, also nicht ganz ein Jahr nach Ende des letzten Krieges auf Schweizer Boden. Das ist eine unglaubliche Leistung.
Auf der Grundlage des Naturrechts der Aufklärung wurde das Prinzip der Gleichheit in der Bundesverfassung von 1848 festgeschrieben. Der neue Staat garantierte seinen Bürgern aber auch eine Reihe von Freiheitsrechten. Diese Rechte sind nicht nur für das Individuum zentral, sondern auch für die Gesellschaft. Die Industrialisierung konnte erst Wohlstand schaffen durch die Handels- und Gewerbefreiheit in Verbindung mit der Niederlassungsfreiheit.
Eine Demokratie für immer?
Demokratie kann anstrengend und langwierig sein. Dennoch ist die direkte Demokratie auch aus ethischen Überlegungen die richtige Staatsform: Menschen, die von einer Entscheidung betroffen sind, fällen diese miteinander. Und sie tragen auch die Konsequenzen gemeinsam.
In Bezug auf ihre Institutionen, die Kontrollmechanismen und Sicherungen auf verschiedenen Ebenen ist die Schweiz gut aufgestellt, um Angriffe auf die Demokratie abzuwehren. Aber die direkte Demokratie der Schweiz stützt stark auf das Milizsystem ab, und ist darauf angewiesen, dass die Bürger mitdenken, mitgestalten und sich für die zahlreichen Ämter auf gemeindlicher, kantonaler und nationaler Ebene zur Verfügung stellen. Die grösste Gefahr für die Schweizer Demokratie liegt deshalb im politischen Desinteresse ihrer Bürger.
Fit für die Zukunft bleiben!
Eine wesentliche Stärke der Organisation unseres Bundesstaats liegt in ihrer Zukunftsoffenheit. Seit mehr als 170 Jahren hält sie mit allen Entwicklungen Schritt. Gleichwohl besteht Optimierungspotenzial.
Seit einiger Zeit scheint die Kollegialität und Einheit der Regierung in Frage gestellt. Polparteien erstarken und die politische Landschaft fragmentiert sich. Daraus wird verschiedentlich abgeleitet, die parteipolitische Zusammensetzung des Bundesrats müsse die Wählerstärke der Parteien reflektieren. Dies trifft wohl für ein Parlament zu, nicht aber für eine Regierung. Die Einbindung verschiedener Kräfte hat in der Schweiz Tradition, doch stösst sie dort an Grenzen, wo Parteien zu integrieren wären, die wesentliche Werte des liberalen, demokratischen Rechtsstaats nicht oder nur beschränkt teilen. Eine Regierung muss als Einheit funktionieren und in den wesentlichen Themen den Konsens finden.
Weiteres Verbesserungspotenzial orte ich in der politischen Bildung: Für eine funktionierende direkte Demokratie ist es essenziell, dass das politische System verstanden wird. Viel zu sehr ist es aber von der Motivation einzelner Lehrpersonen abhängig, ob die Schüler in den Genuss eines adäquaten Staatskundeunterrichts kommen. Die direkte Demokratie ist ein hervorragendes politisches System, aber nicht selbsterklärend. Schüler sollten es deshalb seriös vermittelt bekommen. Auch meine Generation hat in der Schule nie etwas über diesen spannenden und höchst relevanten Teil der Schweizer Geschichte gehört. Das Buch «Demokratie mit Zukunft – Die Erschaffung der modernen Schweiz» will diese Lücke in kompakter Form schliessen.
Mitwirkung als Chance und Aufgabe
Die weltberühmte Aufforderung des damaligen amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy «Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern was du für dein Land tun kannst», ist für eine gelebte Demokratie essenziell. Die Gesellschaft sollte Engagement für die Gemeinschaft fördern und wertschätzen. Soll die Willensnation Schweiz weiterhin Erfolg haben, dann muss sie vor allem eines: Wollen.
Die direkte Demokratie hat glücklichere Bürger, wie der Glücksforscher Bruno S. Frey herausfand – aber sie fordert sie auch. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns auf die politischen Fragestellungen einlassen. Sich mit Abstimmungen und Wahlen seriös auseinanderzusetzen und daran teilzunehmen, sind die edlen Basispflichten der Bürger in der Demokratie. Edel deshalb, weil sie gleichzeitig auch Rechte sind, für deren Erlangung andernorts Menschen ihr Leben und ihre Freiheit riskieren.
Die nächste Stufe stellt das persönliche Engagement dar, die Bereitschaft, sich für ein Amt zur Verfügung zu stellen. In politischen Führungspositionen benötigen wir wieder mehr Menschen mit Leistungsausweis und -willen.
Abschliessend bleibt eine letzte Anforderung, die lediglich etwas Charakterstärke und persönliche Reife verlangt: Bedenken wir bei aller berechtigten Kritik immer, dass jene, die ein politisches Amt bekleiden, dies für uns tun, oftmals unter Aufopferung ihrer Freizeit neben dem regulären Beruf und gegen bescheidenes Entgelt. Sie verdienen bei aller konstruktiv-kritischen Mitwirkung auch unsere Wertschätzung!
Das Buch: «Demokratie mit Zukunft – Die Erschaffung der modernen Schweiz»
Die moderne Schweiz ist eine Realität gewordene Utopie über die friedliche Koexistenz unterschiedlicher Kulturen und Sprachen in einer Nation, ein Muster eines demokratischen Rechtstaats, der seinen Bürgern grosse Freiheit gewährt und seit einem langen Zeitraum Frieden und Wohlstand ermöglicht. Die Erschaffung dieser beispiellosen Demokratie im Herzen Europas war ein kurzer aber intensiver Kraftakt, der mehrfach von innen und aussen bedroht war.
Diese Geschichte aufzuzeigen, den Wert der garantierten Freiheitsrechte erfahrbar zu machen, und darzulegen, wie unsere freiheitliche Gesellschaft und unser Wohlstand unmittelbar damit zusammenhängen, aber auch wie fragil eine rechtsstaatliche Demokratie sein kann, sind wesentliche Teile dieses Buchs. Jede dieser Freiheiten wird erklärt und in einen Kontext zum ganzen System gestellt. Bei gewissen Rechten zeigt eine einführende dramatische Kurzgeschichte am fiktiven Beispiel auf, wie hart das Leben sein konnte, wenn man sich eben nicht auf das jeweilige Recht berufen konnte. Auch die weitere Entwicklung der Schweiz und insbesondere, wie die wirtschaftliche Entwicklung sowie Freiheit und Wohlstand damit eng verbunden sind, erhalten Raum. Die Leser erfahren, warum die schweizerische Demokratie zwar zuweilen mühsam und sperrig, trotzdem aber äusserst wertvoll ist. Ebenso, dass diese Demokratie gepflegt und von den darin lebenden Menschen getragen werden muss.
«Demokratie mit Zukunft» kommt nicht als umfassender historischer Wälzer daher, sondern vermittelt die Inhalte kompakt und überschaubar, um sie einem möglichst breiten Kreis zugänglich zu machen. Dadurch eignet es sich auch als Geschenk für junge Menschen, die erst beginnen, sich für Politik zu interessieren.
Unter diesem Link kann das Buch bestellt werden oder direkt beim Autor via t.loetscher@datazug.ch.
Der Autor
Thomas Lötscher (*1968) ist seit jungen Jahren fasziniert von der liberalen Idee eines Lebens in Freiheit, geprägt von Selbstverantwortung und Sinn für die Gemeinschaft. 14 Jahre im Zuger Kantonsrat und die Arbeit als Generalsekretär der Finanzdirektion des Kantons Zug gewährten ihm einen vertieften Einblick in die Mechanismen von Politik und Verwaltung. Er lebt im Kanton Zug, wo er auch aufgewachsen ist.