Negativzinsen haben als neuartiges Phänomen den Einzug in das Instrumentarium der Zentralbanken gefunden. Welche Konsequenzen hat dieses geldpolitische Experiment zur Folge? Was bedeuten ins Negative gedrückte Zinsen im Allgemeinen oder spezifisch für Unternehmungen, Pensionskassen, Immobilienmärkte und die Zeitpräferenz der Menschen? Diese Fragen wurden im Rahmen eines Ökonomie-Essay-Wettbewerbs beleuchtet, der vom Liberalen Institut in Medienpartnerschaft mit der «Neuen Zürcher Zeitung» durchgeführt wurde. Im Rahmen der LI-Konferenz vom 12. März wurden diese Fragestellungen vertieft diskutiert.
In seiner Einführung erinnerte LI-Direktor Pierre Bessard daran, wie wichtig Aufklärungsarbeit im Bereich der Geldpolitik sei, zumal die Politik bei Verwerfungen auf den Märkten jeweils demagogisch mit dem Finger auf die Marktteilnehmer und die Marktwirtschaft als vermeintliche Schuldige zeige. Viel zu wenig betont würden die problematische Rolle von fehlgeleiteter Überregulierung der Finanzmärkte und die Fehlanreize der an sich planwirtschaftlichen Geldpolitik. Es sei daher fragwürdig, ob Regierungen aus dem Schaden vergangener Krisen klug geworden seien, denn die Zentralbanken hätten ihre Geldschleusen weiter denn je geöffnet. Auch die vieldiskutierte Abschaffung des Bargeldes diene hauptsächlich dem Zweck der Erleichterung einer grenzenlose Inflationierung der Geldmenge.
In einem ersten Referat erörterte Prof. Gunther Schnabl, Ökonom und Direktor des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität Leipzig, die Nebeneffekte der aktuellen Geldpolitik. Diese dämpfe zwar kurzfristig Krisen ab, schaffe aber längerfristig den Nährboden für neue Krisen. Dank des billigen Geldes würden immer mehr Investitionsprojekte mit geringerer Rendite finanziert, was zu einer wachsenden Anzahl «Zombie-Unternehmen» führe, die keinen Mehrwert für die Gesellschaft leisten. Die Geldschwemme führe aber auch zu steigenden Vermögenspreisen, etwa am Aktien- und Immobilienmarkt. Bei geringer Regulierungsdichte profitierten auch Finanzinstitute von der expansiven Geldpolitik. Aufgrund der starken Regulierung des Finanzsektors sei dies jedoch seit der Krise 2008 nicht mehr der Fall, wie die Entwicklungen der entsprechenden Aktienkurse im Verhältnis zu Unternehmen, die nicht im Finanzsektor tätig sind, gezeigt hätten. Eine ultralockere Geldpolitik habe aber auch Verteilungseffekte zur Folge. Es fänden Verschiebungen statt, unter anderem vom privaten zum öffentlichen Sektor, weil Sparer enteignet werden und der Staat weniger Zinsen für seine Schulden bezahlen muss, und von arm zu reich, weil die Vermögenspreise steigen und diese vorwiegend von Wohlhabenden gehalten werden. Diese Effekte führten zu einer politischen Polarisierung und einer Stärkung populistischer Bewegungen. Eine Politik des billigen Geldes unterhöhle daher nicht nur die Grundlagen des Wohlstandes, sondern auch jene der Demokratie.
Präsentation von Prof. Dr. Gunther Schnabl:
«Die gravierenden Nebeneffekte ultralockerer Geldpolitik»
Paper «Die Verteilungseffekte der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank destabilisieren Europas Demokratien»
In einem zweiten Referat erinnerte Jürg Müller, Mitglied der Wirtschaftsredaktion der Neuen Zürcher Zeitung, daran, dass es nicht zum ersten Mal in der Geschichte vorkomme, dass die Schweizerische Nationalbank (SNB) Negativzinsen eingeführt habe. Dies habe sie bereits in den 1970er Jahren nach der Auflösung des Bretton Woods-Währungssystems getan, als die Nachfrage nach Schweizer Franken sehr hoch war. Negativzinsen galten damals jedoch nur für ausländische Guthaben. Ziel der Übung sei dasselbe wie heute gewesen: Die Förderung der Nettoexporte. Denn kurzfristige starke Schwankungen auf den Devisenmärkten könnten langfristige Flurschäden in der Exportwirtschaft anrichten. Erschwerend sei im heutigen Umfeld aber hinzugekommen, dass EZB-Chef Mario Draghi seit seiner Ankündigung im Sommer 2012 («Whatever it takes») eine ultraexpansive Geldpolitik betreibe, massiv Anleihen aufkaufe und 2014 auch einen Negativzins einführte, worauf der Euro gegenüber anderen Konkurrenzwährungen wie etwa dem US-Dollar an Wert verlor. Die SNB zog schliesslich nach, um eine Erstarkung des Schweizer Frankens gegenüber dem Euro zu verhindern — ganz nach dem Motto: «Whatever it takes: We will follow!». Auf ewig könne man jedoch eine solche ultraexpansive Strategie nicht durchhalten: Solange es noch Bargeld gäbe und die Leute von Giroguthaben auf dieses ausweichen könnten, seien Negativzinsen nur schwer durchsetzbar. Gravierender Nebeneffekt einer solchen Tiefzinspolitik sei ein beobachtbarer Anstieg der Verschuldung im privaten Sektor, deren Niveau ein bedenkliches Mass angenommen habe.
Präsentation von Dr. Jürg Müller:
«Die Schweiz im Schlepptau der Europäischen Zentralbank»
Im Anschluss an die Referate fand die Preisverleihung für den Ökonomie-Essay-Wettbewerb statt, den das Liberale Institut in Medienpartnerschaft mit der «Neuen Zürcher Zeitung» durchgeführt hat. Die eingegangenen Essays wurden von einer siebenköpfigen Jury begutachtet und bewertet. Diese setzte sich aus folgenden Personen zusammen: den Professoren Urs Birchler von der Universität Zürich, Aymo Brunetti von der Universität Bern, Victoria Curzon Price von der Universität Genf, Martin Janssen von der Universität Zürich, Kurt Schiltknecht von der Universität Basel, sowie Dr. Peter Fischer, Leiter der Wirtschaftsredaktion der NZZ, und Dr. Paolo Pamini, assoziierter Forscher des Liberalen Instituts.
Einen ersten Preis in der Höhe von 3000 Franken wurde an Prof. Christoph Basten, Universität Zürich, verliehen, der in seinem Essay die Folgen von Negativzinsen für die Unternehmungen des Schweizer Bankensektors beleuchtete. Weil Banken Negativzinsen an die Zentralbank bezahlen müssen und sie die Negativzinsen nur schlecht an die Kunden weitergeben können, suchen Banken neue Kompensationsmöglichkeiten, etwa in Form höherer Gebühren und Hypothekarzinsen. Zur Aufrechterhaltung ihrer Profitabilität nehmen die Banken höhere Risiken in Kauf — etwa im Bereich der Kreditrisiken —, die die Finanzstabilität als Ganzes bedrohen könnten.
Essay von Prof. Dr. Christian Basten:
«Die bisherige Reaktion der Banken auf die Schweizer Negativzinsen und mögliche Konsequenzen für die Finanzstabilität»
Einen zweiten Preis in der Höhe von 2000 Franken wurde an Michèle Nagel, Universität Bern, verliehen. In ihrem Essay stellt sie die weitverbreitete Annahme in Frage, wonach die Zeitpräferenz der Menschen immer positiv sein müsse. Es gäbe auch Situationen, in denen die Zeitpräferenz der Menschen negativ sei, etwa wenn man nach Erhalt des Lohnes nicht sofort alles ausgebe, wenn man bald in Rente gehe und künftig ein tieferes Einkommen erwarte, oder wenn man einen höheren Bedarf in der Zukunft erkenne bei stagnierendem Einkommen.
Essay von Michèle Nagel:
«Negative Interest Rates and Positive Time Preference»
In der anschliessenden Diskussion widmete man sich unter anderem der Frage, wer am Ende für den von der ultraexpansiven Geldpolitik angerichteten Schaden zu bezahlen habe. Wenn unproduktive «Zombie-Unternehmen» mit billigen Krediten von «Zombie-Banken» gerettet werden, die ihrerseits wiederum vom billigen Geld der Zentralbank und des zunehmend überschuldeten «Zombie-Staates» abhängig sind, so dürfte es am Ende der Steuerzahler sein, der für die Kosten geradestehen muss. Diese Erkenntnis führte zur Frage, ob das staatliche Geldsystem mit der Zentralbank und den hoch-regulierten Geschäftsbanken als Lizenznehmer der staatlichen Geldpolitik in der existierenden Form überhaupt noch ethisch und wirtschaftlich legitimiert sei. So war man sich denn auch einig, dass es in der heutigen Form nicht weitergehen könne. Weniger Einigkeit bestand jedoch über die Art und die Vorgehensweise, wie eine entsprechende Transformation zu einem besseren Geldsystem auszusehen hätte. Das Liberale Institut seinerseits wird auch in Zukunft an diesem wichtigen Thema dranbleiben, entsprechende Diskussionen anstossen, sowie mögliche Lösungsansätze liefern.