Weltweit sehen sich alle Wohlfahrtsstaaten vor dieselben Herausforderungen gestellt: Einerseits führt die Illusion, dass jedermann auf Kosten von jedermann leben könne zu ständig steigenden Ansprüchen an den Umverteilungsstaat. Andererseits würgt die dazu notwendige und zunehmend exzessive Besteuerung die Aktivitäten zur Schaffung von Wohlstand ab und trocknet damit die Besteuerungsgrundlage langsam aber sicher aus. Es ist daher kein Zufall, dass sich Staaten immer üppigere Schulden aufladen, zum masslosen Gelddrucken verleitet werden und zu immer invasiveren Eigentumsverletzungen neigen. Für wie lange kann diese alles andere als nachhaltige Politik noch weiterbetrieben werden? Welche vielversprechenden Auswege aus der Teufelsspirale gibt es? Auf welche zeitlosen ordnungspolitischen Grundsätze gilt es sich zurückzubesinnen? Im Rahmen der LI-Konferenz vom 28. September 2021 wurden diese Fragestellungen vertieft diskutiert. Dieser Anlass zu Ehren Silvio Borners (1941—2020), der sich in seinem Wirken prinzipiell gegen die Ausdehnung des Staats gestellt hatte, wurde gemeinsam vom Liberalen Institut und dem Carnot-Cournot-Netzwerk organisiert.
Einführend gedachten CCN-Vorstandsvertreter Markus O. Häring und LI-Direktor Olivier Kessler dem am 7. Dezember 2020 verstorbenen Freund und Mitstreiter, Silvio Borner. Silvio Borner war nicht nur Gründungsmitglied und Namensgeber des Carnot-Cournot Netzwerks, sondern seit 2014 auch Mitglied im akademischen Beirat des Liberalen Instituts. Hier wurden seine Kolumnen in einem ersten, schnell ausverkauften Buch veröffentlicht, das den Titel «Schweizer Politik im ökonomischen Praxistest» trägt. Ein weiteres Buch mit dem Titel «Warum die Politik versagt», das ebenfalls beim Liberalen Institut erschien, ist weiterhin verfügbar. Zudem steuerte Silvio Borner zu mehreren LI-Sammelbänden pointierte Beiträge bei, so etwa zum Buch «Mutter Natur und Vater Staat: Freiheitliche Wege aus der Beziehungskrise», das einige Wochen vor seinem Tod erschienen ist. Auch wenn Silvio Borner sich in vielen Themen sehr gut auskannte, so zog sich doch ein roter Faden durch seine Analysen: nämlich die Ordnungspolitik und die Rolle des Staates. Aus diesem Grund stand an der Veranstaltung die Frage im Zentrum, wie man dem wuchernden Staat Grenzen setzen könne.
Sehen Sie sich hier die Einführung von Markus O. Häring an:
Sehen Sie sich hier die Einführung von Olivier Kessler an:
In seinem Referat betonte Gerhard Schwarz, Wirtschaftspublizist, dass die Staats- und Fiskalquote, die in der Schweiz 36 Prozent betrage, zwar am leichtesten messbar sei und deshalb auch oft in Studien vorkomme. Doch um das tatsächliche Ausmass des staatlichen Einflusses messen zu können, müsse man diverse weitere Faktoren miteinbeziehen. Berücksichtigt werden müssten beispielsweise auch die Zwangsabgaben an nicht-staatliche Akteure wie etwa die obligatorischen Krankenkassenprämien, Pensionskassenbeiträge oder die Medien-Zwangsgebühr. Auch die zu leistende Zwangsarbeit in Form des Militär- und Zivildienstes werde nicht vollumfänglich bei der Staatsquote berücksichtigt. Regulierungen und Verbote schnürten die Freiheit ausserdem oft noch stärker ein als die reine Staatsquote selbst. Es sei klar, dass der heutige Staatsumfang eindeutig zu gross sei. Der Staat sollte lediglich einen Rahmen setzen und die Spielregeln definieren. Als Schiedsrichter sollte er hingegen nicht selbst dem Ball nachjagen oder dem Spiel im Wege stehen. Der Staat sei ein notwendiges Übel, das man so schlank wie möglich halten solle.
Sehen Sie sich hier das Referat von Gerhard Schwarz als Video an:
Beat Kappeler, Wirtschaftspublizist, wies darauf hin, dass die Aufblähung des Staates ein von vielen anerkanntes Problem darstelle. Die Apelle an die Adresse der Politik («Die Parlamentarier sollten doch mal dies oder jenes tun…») und die Behörden (z.B. Errichtung neuer Bürokratien zum Abbau der Bürokratie) wirkten jedoch hilflos. Denn längst sei aus der «Public Choice»-Lehre klar, dass die Akteure im Staat Eigeninteressen verfolgten und selbstbezogen handelten. Doch Kappeler führte auch eine Reihe von Beispielen in der Geschichte auf, in denen sich die Akteure — Wähler, Parlamentarier, Verwaltung und Verbände — selbst gebunden haben. Dies sei jeweils dann der Fall gewesen, wenn erstens ihr längerfristiges Eigeninteresse auf dem Spiel stand, oder wenn zweitens die allseitigen Raubzüge zu Lasten der Staatskasse und anderer Dritter nur noch durch weitere eigene, aber mit der Zeit unpopuläre Steigerungen zu kontern wären, oder wenn drittens der einzelne Akteur bei einem Weiterwursteln den Staatsbankrott selbst ausbaden müsste.
Sehen Sie sich hier das Referat von Beat Kappeler als Video an:
In der darauffolgenden Diskussion wurde infrage gestellt, ob der Staat tatsächlich ein notwendiges Übel darstelle und es ohne ihn zu einer chaotischen Anarchie-Hölle käme, in welcher nur noch das Recht des Stärkeren gelte. Dies sei vielleicht gerade der grosse Irrtum vieler Liberaler, die auf einen Minimalstaat pochten, der aber in der bisherigen Praxis überall zu einem wuchernden Leviathan ausartete. Viele Argumente, weshalb es einen Staat brauche — z.B. zur Korrektur von Marktversagen — seien Scheinargumente und zielten in Wahrheit lediglich auf die Durchsetzung von Sonderinteressen unter dem Deckmantel der angeblichen Förderung des Allgemeinwohls. Eine staatenlose Gesellschaft, so wurde wiederum entgegnet, sei eine politisch unrealistische Utopie. Das Anstreben eines Minimalstaates sei in politischen Diskussionen gerade im aktuell stark sozialdemokratisierten Meinungsklima besser verkaufbar.