Der Markt ist nicht frei
Der Neoliberalismus sei ein Irrweg gewesen, sagt Christian Hoffmann, Forschungsleiter am Liberalen Institut. Er habe dem Staat ein zu grosses Gewicht gegeben. Der Staat neige zu Monopolen, von denen nur wenige profitierten. Das zeige sich jetzt an der Staatsschuldenkrise.
Der Neoliberalismus ist heute diskreditiert. War das vor den 2007 ausgelösten Finanzkrisen absehbar gewesen?
Christian Hoffmann: Wahrscheinlich schon. Als Liberaler bin ich auch nicht sehr traurig darüber, dass sich der Neoliberalismus diskreditiert hat. Der Neoliberalismus war eine spezifische Antwort auf das zentralplanerische kriegswirtschaftliche System des Zweiten Weltkriegs. Er legte daher sehr viel Wert auf staatliche Rahmenbedingungen und Lenkungen, die einen Markt erst wieder möglich machen sollten. Das ist verständlich, widerspricht aber dem klassischen Liberalismus. Der neoliberale Versuch, Staat mit Markt zu verbinden, funktioniert auf Dauer nicht. Diese Mischwirtschaft produziert immer fragwürdige Ergebnisse.
Haben nicht neoliberale Politiker in den letzten beiden Jahrzehnten immer wieder gesagt, der Staat solle sich ganz aus der Wirtschaft heraushalten und den Markt allein alles regeln lassen?
Ich kenne solche marktradikalen Politiker nicht, die das vertreten haben sollen. Auch Margaret Thatcher und Ronald Reagan waren keine Marktradikalen. Sie wollten etwas Steuern senken und Privatisierungen durchführen, aber keine radikal andere Wirtschaftsordnung. Wenn man sich die USA und Grossbritannien anschaut, kann man keine wirkliche Verringerung der Staatsquote feststellen. Der Ausbau des Staates wurde nur etwas gebremst. Das Erbe von Reagan und Thatcher ist bescheiden.
Die Finanzwirtschaft hat seit der Einführung des freien Kapitalverkehrs in den 70er Jahren einen massiven Aufschwung erlebt. Ist die Finanzwirtschaft damit der Wirtschaftszweig, wo der Neoliberalismus am stärksten gewirkt hat?
Ich glaube nicht, dass die Finanzwirtschaft einen solchen Aufschwung erlebt hat, weil dort plötzlich der Markt entfesselt wurde. Sie ist wegen politischer Rahmenbedingungen so stark gewachsen. Die Finanzwirtschaft ist extrem eng verzahnt mit der Geldpolitik der staatlichen Zentralbanken. Die Geldmengen wurden zuletzt in den USA und teilweise in Europa massiv ausgedehnt. Das ist quasi eine garantierte Gewinnmaschine für die Banken.
Hat die Wall Street die US-Notenbank als Geisel genommen?
So einseitig würde ich das nicht sehen. Die Politik braucht die Geschäftsbanken, um die eigenen Schuldscheine an den Mann zu bringen. Daher hat die Politik auch kein Interesse daran, die Banken wirklich zu zügeln. Auch in der Eurokrise ist die Politik nur damit beschäftigt, die Banken zu retten, weil sie auf sie angewiesen ist.
Also ein flotter Dreier zwischen den Geschäftsbanken, die hohe Gewinne machen wollen, dem Staat, der seine Schulden finanzieren muss, und den Zentralbanken, welche das Geld drucken?
Das trifft es sehr gut. Die Finanzwirtschaft ist für mich kein Vorbild für freie Marktwirtschaft. Im Gegenteil, sie ist unglaublich verzerrt durch Staatseingriffe und durch ein planwirtschaftliches Geldsystem. Markt und Staat müssten hier entflochten werden.
Wie soll das gehen?
Die Wurzel des Übels liegt im Geldsystem. Wenn wir nachhaltig aus der Schuldenwirtschaft heraus wollen, brauchen wir eine marktwirtschaftliche Geldordnung.
Was heisst das?
Das heisst einen freien Wettbewerb zwischen verschiedenen Währungsanbietern. Es braucht keine staatliche Monopolbank, welche alleine Geld herausgibt.
Soll die Schweizerische Nationalbank die Franken auch im Rest Europas anbieten, so wie die Swatch-Gruppe ihre Uhren in ganz Europa anbietet?
Genau. Auch die Swatch-Gruppe könnte in ganz Europa Geld anbieten. Das nationalstaatliche Währungskonzept bringt uns doch nur noch Probleme. Natürlich ist es für den Staat attraktiv, der einzige Geldanbieter im Land zu sein. Dann kann er es permanent entwerten. Die Inflation ist ja neben Steuern und Schulden die dritte Finanzierungssäule des Staates. Aber genau deshalb sollte man dem Staat die Schaffung des Geldes aus der Hand nehmen. Wenn das Staatsmonopol im Geldwesen fällt, haben sich auch die Diskussionen um exzessive Bankenboni ganz schnell erledigen. Dann wäre der Bankensektor endlich nur einer unter vielen.
Haben die Verwerfungen in der Finanzwirtschaft den ganzen Markt diskreditiert?
Das kann man so sehen. Aus meiner Sicht ist es eine gravierende Fehlwahrnehmung, dass die Finanzwirtschaft ein freier Markt sei. Dort haben sich in einem staatlich geschützten Bereich ein paar Leute eine goldene Nase verdient.
Wie lässt sich ein fairer Markt sichern?
Der freie Markt entsteht dann, wenn man das Grundprogramm des Liberalismus umsetzt. Das heisst: gleiche Rechte für alle. Dazu gehört vor allem das Recht auf Privateigentum, das nur eingeschränkt wird, wenn es anderen schadet. Eine Marktwirtschaft muss also nicht künstlich hergestellt werden, sondern entsteht, wenn wir ein vernünftiges Rechtssystem haben.
Ist das in der Schweiz gegeben?
Nein, das gibt es heute in keinem Land der Welt. Überall gibt es staatliche Eingriffe in den Markt und Protektionismus.
Liegt es nicht in der Struktur der demokratischen Gesellschaft, dass der Staat immer mehr Regeln setzt?
Es gibt ein interessantes Spannungsverhältnis zwischen dem Liberalismus und der Demokratie. Der Liberalismus war die Voraussetzung dafür, dass die Demokratie überhaupt erst möglich wurde. Aber beides ist nicht identisch.
Der Liberalismus will, dass jeder über sein eigenes Eigentum entscheidet. In einer Demokratie wird auch über das Eigentum anderer entschieden. Die Politiker als Berufsgruppe haben ein Interesse daran, in Eigentumsrechte einzugreifen. Umgekehrt haben wir ein Volk, das sich daran gewöhnt hat, jedem Problem ein Gesetz hinterherzuwerfen.
Wie wollen Sie aus diesem Spannungsverhältnis herauskommen?
Es gibt zwei Lösungsansätze: Entweder wird die kritische Diskussion geführt darüber, was der Staat überhaupt entscheiden darf und wie die individuelle Freiheit wieder höher gewichtet wird.
Oder wir stärken den Wettbewerb zwischen den staatlichen Hoheitsgebieten. Da hat die föderalistische Schweiz einen Vorteil.
20. Februar 2013