Die Energiestrategie wird als «Mogelpackung» bemängelt
Wissenschaftler und Wirtschaftsvertreter kritisieren die bundesrätlichen Pläne für den subventionierten Umbau des Stromsektors. Im Parlament hat die Energiestrategie 2050 des Bundesrats Ende der Vorwoche eine weitere Hürde genommen — die ständerätliche Energiekommission ist mit grosser Mehrheit auf die Vorlage zum ersten Massnahmenpaket eingetreten. Geplant sind der Atomausstieg, ein subventionsgestützter Ausbau vor allem von Solar- und Windkraft, strenge CO2-Reduktionsziele und eine massive Senkung des Stromverbrauchs mit regulatorischen und fiskalischen Eingriffen. Eine Minderheit der Kommission fand allerdings, die Vorlage komme einem «energiepolitischen Blindflug gleich». Zu einem ähnlichen Schluss kommen Wissenschaftler, die die technische, ökonomische und institutionelle Machbarkeit untersucht haben.
Die Energiestrategie verspreche vieles, sagte der Ökonom Bernd Schips, ehemaliger Leiter der Konjunkturforschungsstelle Kof der ETH Zürich. Etwa, dass der massive Umbau des Stromsystems volkswirtschaftlich kaum zu Belastungen führe oder dass sogar mehr neue Jobs mit grünen Technologien geschaffen würden, als im traditionellen Stromsektor wegfielen. «Die Energiestrategie ist aber keine Wundertüte, sondern eine Mogelpackung», hielt er am Montag an einem Seminar des Liberalen Instituts in Zürich fest.
«Irrwitziger Alleingang»
Auch Silvio Borner, emeritierter Professor an der Universität Basel, bemängelte, dass in der Energiepolitik derzeit mehr der Glaube zähle als physikalische Fakten. Der Schweiz stehe global betrachtet ein «irrwitziger Alleingang» bevor, etwa im Umgang mit CO2-Emissionen. Weil Sonne und Wind nicht verlässlich Strom liefern, erwarten die Experten Kosten von über 100 Mrd. Fr. allein für Anpassungen im Elektrizitätssystem, für Speicher, Reserveenergie und Netze. Die Technologien könnten unter den klimatischen Bedingungen in der Schweiz auch langfristig nie marktfähig werden, bemängeln sie. Und je mehr sie ausgebaut würden, desto geringer falle die Eigenwirtschaftlichkeit des Energiesystems aus. Dies führe zu einem steigenden Subventionsbedarf.
Mit der kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) drohe der Stromsektor zu einer zweiten Landwirtschaft zu werden, sagte Schips. Im laufenden Jahr zahlen Stromverbraucher über einen Zuschlag auf den Strompreis bereits 348 Mio. Fr. Im kommenden Jahr werden es 638 Mio. Fr. sein und ab 2017 gemäss den Plänen des Bundesrats gar 1,4 Mrd. Fr. Technisch sei zwar vieles machbar, aber nicht alles sinnvoll, fand Emanuel Höhener, ehemaliger CEO der früheren Axpo-Tochter EGL (heute Axpo Handel & Vertrieb). Die Tatsache, dass der Strom aus Wasserkraft heute teils ungenutzt bleibe, sei eine «technische und kommerzielle Bankrotterklärung der Energiewende».
Die zunehmende Einspeisung subventionierter Solar- und Windenergie drückt auf die Preise im Grosshandel, die Energie per se verliert an Wert. Konventionelle Stromproduktion rentiert je nach Konstellation am Markt kaum oder gar nicht mehr. Im Extremfall kommt es sogar zu Negativpreisen, wenn bei niedrigem Verbrauch ein hohes Angebot von Solar- und Windstrom im System ist.
Weitere Belastung
Kritik kam auch von der Wirtschaft. Die Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie fürchtet eine unsicherere Stromversorgung und zusätzliche finanzielle Belastungen, in einem nach der Aufwertung des Frankens ohnehin schwierigen Umfeld. Als zweite Etappe der Energiestrategie soll ein Lenkungssystem mit Strom- und CO2-Abgaben das Fördersystem ersetzen. Komme es dazu, werde es Unternehmen aus der Schweiz «weglenken», sagte Jean-Philippe Kohl vom Branchenverband Swissmem. Die Wissenschaftler sehen weitere Nachteile, die sie bereits im November in einer Analyse veröffentlicht hatten. Dazu zählt eine Verknappung der Energie durch Rationierung oder Manipulation der Preise sowie Engpässe und Ausfälle im Stromsystem. Dass die Studien im Auftrag des Bundes solche Probleme nicht aufzeigen, liegt nach Einschätzung der Experten daran, dass die Annahmen vorgegeben wurden — von der Entwicklung der Inputpreise bis hin zum Wirtschaftswachstum in den kommenden Jahrzehnten.
Die Energiestrategie wolle den Verfassungsauftrag einer sicheren Stromversorgung ohne politische Legitimation durch das Volk hinter den Atomausstieg und hinter eine Klimapolitik mit planwirtschaftlichen Zügen in eine tiefere Priorität setzen, hiess es. Ein solcher Schritt könne aber nicht durch das Parlament allein vollzogen werden. Es brauche ein Referendum.
18. Februar 2015