Die Zukunft des Liberalismus

Interview mit Robert Nef zur Finanzkrise

Vor bald 20 Jahren ist das Ende der Geschichte mit dem Sieg des liberalen Kapitalismus verkündet worden. Derzeit kollabiert weltweit der Finanzmarkt. Ist das der definitive Beweis, dass die These vom Ende Geschichte falsch war?

Die These von Fukuyama war von Anfang an falsch und hat mit der Geschichte des Liberalismus nichts zu tun. Die Geschichte des Liberalismus ist die Geschichte des Bekenntnisses zum mündigen Menschen und seinem Hunger nach Freiheit und Spontaneität. Sie begann vermutlich mit dem aufrechten Gang des Menschen in vorgeschichtlicher Zeit und sie wird nie abgeschlossen sein. Einen wirklich liberalen Kapitalismus hat es bisher noch nie gegeben. Der Kapitalismus existierte real immer nur in Kombination mit Randbedingungen und Staatsinterventionen. Er war, je nach Gesichtspunkt, gefesselt oder gezähmt. Die einen finden, es gab zu wenig Fesseln, die andern finden es gab zu viele und die dritten finden es sei nicht zu viel, sondern falsch reguliert und in der Folge auch falsch dereguliert worden. Ich gehöre zur dritten Gruppe.

Die Formulierung vom Kollaps der Finanzmärkte ist gleich falsch wie die vom Ende der Geschichte. Die amerikanischen Interventionen sind ja nicht Alternativen zum Markt, sondern Rettungsversuche. Man will heute in den USA den Markt nicht ersetzen, sondern retten.

Liberalismus ist auch das Zurückbinden des Staatseinflusses. Zeigt nicht gerade der Zusammenbruch der Finanzmärkte, dass es staatliche Regeln und Vorschriften braucht?

Ich will das, was jetzt weltweit geschieht keineswegs verniedlichen. Aber die Finanzmärkte sind nicht zusammengebrochen, sie haben eine grosse Blase von falschen Erwartungen und Fehlspekulationen zum Platzen gebracht. Die Folgen sind gravierend, und die Verlierer sind — wenigstens zum Teil - nicht identisch mit den vormaligen Gewinnern. Darum versucht der Staat die Folgen zu mildern. Ob man dabei wirklich den Opfern hilft, oder einfach jene belohnt, die falsche Hoffungen weckten und nährten und insgesamt falsch, ineffizient und hoch riskant wirtschafteten, ist für mich eine offene Frage. Meine Lösung wäre nicht das Nichtstun gewesen, sondern eine gezielte Hilfe an die Opfer und nicht an die Täter.

Vorschriften und Regeln? Liberale sind keine Anarchisten, d.h. sie befürworten Regeln und Vorschriften, aber nicht solche, die letztlich wieder falsche An- und Abreize setzen. Die Staatswirtschaft war nach allen bisherigen Erfahrungen unproduktiver als die Wettbewerbswirtschaft und damit auch unsozialer. Diesen katastrophalen Grossversuch des 20. Jahrhunderts wird man bestimmt nicht wiederholen.

Was jetzt geschieht, ist eine Feuerwehrübung der Wirtschaftspolitik. Aber die Feuerwehr wird kaum die richtige Institution sein, um Neubauten zu errichten.

Wie wollen Sie heute jemanden erklären, dass gewisse Aufgaben - Elektrizitätsversorgung, Kantonalbanken, öffentlicher Verkehr - in der Privatwirtschart besser aufgehoben sind als beim Staat?

Das ist schwierig, vor allem in einem Umfeld, in dem die Medien fast unisono das Gegenteil behaupten. Der Markt ist kein Wundermittel, sondern das, was geschieht, wenn man nicht interveniert. Das ist nicht immer und in jedem Fall und sofort besser und billiger. Aber Märkte sind lernfähiger als Bürokratien, und sie erzeugen meist rechtzeitig und vor allem nicht überall gleichzeitig Krisen. Grossbürokratien erzeugen grosse Krisen in denen schliesslich bei Fehlern alles zusammenbricht.

In Deutschland redet man inzwischen nostalgisch von den schönen Zeiten der sozialen Marktwirtschaft. Das war quasi der dritte Weg zwischen dereguliertem Markt und Staatswirtschaft. Kann dieser dritte Weg auch heute die Lösung sein?

Die Deutschen haben wenig Sinn für langdauernde historische Lernprozesse und für „Versuch und Irrtum“ im Wettbewerb der Systeme. Sie haben die Tendenz, stets dem neuesten Irrtum nachzurennen und ihn zu zentralisieren.

Niemand kennt abschliessend die richtige Mischung von Markt und Staat. Der sogenannte dritte Weg ist eine Kombination der Nachteile, und was in den USA gescheitert ist, ist nicht der Markt, sondern der USA-typische dritte Weg.

Verkennt der Liberalismus nicht zu sehr die dunklen Seiten menschlicher Selbstverwirklichung - nämlich Gier, Machteroberung, Völlerei und Realitätsverlust durch Eitelkeit?

Diese dunkeln Seiten der Menschen zu negieren wäre eine Verdrängung der Realität. Nur: Sie bestimmen auch das Feld der Politik. Dort werden sie institutionalisiert und schwerer fassbar und spürbar. In der Wirtschaft entlarven sie sich früher oder später von selbst bzw. im Wettbewerb und durch die scharf beobachtenden Medien.

Bereits redet man von der Wiederkehr der Sozialdemokratie. Eine Horrorvorstellung für einen Liberalen?

Nein. Ich habe keinen Horror vor Menschen, die etwas anderes glauben als ich. Wir müssen uns als Liberale diesem Dialog immer wieder stellen. Die Sozialdemokratie ist nie verschwunden. Sie wird bei jenen, die mehr an den Staat glauben als an einen friedlichen Wettbewerb mündiger Menschen, immer attraktiv bleiben. Liberale sollten aber immer wieder daran erinnern, dass der Staat ohne Mitgefühl ist, und ohne Mitgefühl kann man auch nicht sozial sein.

Mit welchen Argumenten erklären Sie verunsicherten Staatsbürgern, dass der Liberalismus noch immer die beste mögliche Staatsform ist?

Der Liberalismus ist keine Staatsform, sondern ein Prinzip des friedlichen und produktiven Zusammenlebens. Wir brauchen in Zukunft Menschen, die sich in gegenseitiger Sympathie und möglichst ohne kollektiven Zwang als Tauschende und Lernende, Geniessende und Helfende immer wieder neu zusammenfinden. Das Risiko dabei ist, dass das nie alle tun werden, aber auf die Dauer doch mehr, als wenn wir Solidarität von Staates wegen erzwingen.

DRS 4

30. September 2008