Gutachten der Universität Zürich zeigt: Das «Too big to fail»-Problem ist noch nicht gelöst

Aktuelle Reformen des Bankinsolvenzrechts sollen die staatliche Rettung insolventer Banken überflüssig machen. Ein aktuelles Gutachten der Universität Zürich im Auftrag des Liberalen Instituts zeigt jedoch: die heutige Lösung räumt zwar dem Staat grossen Handlungsspielraum ein und schwächt die Eigentumsrechte der Beteiligten. Bailouts können trotzdem nicht ausgeschlossen werden.

Die aktuelle Gesetzgebung in Folge der jüngsten Finanzkrise beabsichtigt eine Stabilisierung der Finanzindustrie. Bankenzusammenbrüche sollen verhindert werden. Im Falle einer Insolvenz soll eine Sanierung oder Liquidation ermöglicht werden, ohne dass eine Haftungsübernahme durch den Staat (Bailout) notwendig wird. Damit wurde erkannt: Faktische Staatsgarantien führen zu einer erhöhten Risikoneigung der Marktteilnehmer. Ein effizientes Insolvenzrecht erhöht dagegen die Marktdisziplin und schafft transparente Verantwortlichkeit.

Das Bankinsolvenzrecht der Schweiz wurde 2003 und 2011 revidiert. Ziel war es, die Sanierung einer Bank bei laufendem Betrieb zu ermöglichen, und Konkursverfahren zu beschleunigen. In einem zweiten Schritt wurde der Einlegerschutz ausgebaut, die Rolle der FINMA als Konkursbehörde wurde gestärkt.

Eine Analyse des aktuellen Bankinsolvenzrechts durch Prof. Dr. Urs W. Birchler, Institut für Banking und Finance, Universität Zürich, im Auftrag des Liberalen Instituts zeigt, dass auch das heutige Insolvenzrecht die Notwendigkeit staatlicher Rettungsmassnahmen nicht befriedigend ausschliessen kann. Folgende Schwachstellen im geltenden Insolvenzrecht konnten identifiziert werden:

  1. Versteckte Bailouts: Die aktuelle Rechtslage stützt sich auf eine mögliche Trennung "guter" und "schlechter" Aktiven im Konkursfall, um die Fortführung systemrelevanter Bankteile zu ermöglichen. Damit ist jedoch implizit die staatliche Übernahme der schlechten Risiken verbunden - die Gläubiger der verbleibenden "good bank" erhalten einen marktwidrigen Vorteil.
  2. Unklare Aufgabe des Regulierers: Jüngste Reformen haben die Befugnisse der Finanzmarktaufsicht FINMA im Insolvenzfall stark ausgebaut. Zugleich wurden die Zielsetzungen der Regulierung aufgeweicht, so dass heute unklar ist, welchen Interessengruppen die Aufsicht prioritär verpflichtet ist. Die bisherige Verpflichtung zur Wahrung der Vermögen der Berechtigten wurde gestrichen. Geraten nun die Interessen von Gläubigern, Anlegern und systemische Interessen in Konflikt, geniesst die Behörde einen erheblichen Entscheidungsspielraum. Die Rechtssicherheit nimmt dadurch ab, Verfahren werden ungebührlich in die Länge gezogen.
  3. Grosse Ermessensspielräume des Staates: Mangels expliziter Zielsetzung verfügt die FINMA heute über eine weitgehende Ermessensfreiheit bei der Wahl zwischen Sanierung und Liquidation sowie der Wahl verschiedener Sanierungsverfahren. Eine Einbindung der Gläubiger sowie ein expliziter Auftrag zur Wahrung von Eigentumsrechten könnten hier Rechtssicherheit schaffen.
  4. Politische Interessenskonflikte: Der grosse Ermessensspielraum des Regulierers im Konkursfall setzt die Verantwortlichen politischen Interessenskonflikten aus. Statt die Anspruchsberechtigten zu schützen, könnte politischen Anliegen nachgegeben werden. Um öffentliche Kritik zu vermeiden, könnten Verfahren so verschleppt und Eigentumsrechte beeinträchtig werden.
  5. Irreführender und übertriebener Einlegerschutz: Die Politik verspricht den Bürgern heute einen umfassenden Einlegerschutz. Im Konkursfall einer Grossbank kann das System jedoch keine ausreichende Liquidität für eine privilegierte Auszahlung gewähren. Letztlich könnte die notwendige Liquidität nur durch die Nationalbank geschöpft werden. Eine privatrechtliche Lösung müsste einen nicht zu leistenden Einlegerschutz jedoch vermeiden.

«Eine Marktwirtschaft muss auch Scheitern zulassen. Staatliche Rettungen zerstören Anreize zu Mass und Verantwortung», so Pierre Bessard, Direktor des Liberalen Instituts. «Das heutige Bankeninsolvenzrecht der Schweiz hat das Risiko einer staatlichen Bankenrettung noch nicht befriedigend gelöst. Aktuelle Fälle wie die erneute Rettung der Dexia Bank in Europa und die zähe Abwicklung der Lehman Brothers Finance (LBF) in der Schweiz dokumentieren die Aktualität der beschriebenen Herausforderungen.»

Das Liberale Institut plädiert für ein Bankinsolvenzrecht, welches einen effizienten und gangbaren Weg der Sanierung oder Liquidation aufzeigt, ohne die staatliche Übernahme schlechter Risiken auszulösen. Dies erfordert vor allem eine frühe Einbindung und Vermittlung der Eigner- und Gläubigerinteressen. In diesem Sinne sollte der Auftrag der FINMA im Konkursfall präzisiert werden. So können politische Interessenskonflikte und langwierige Verfahren vermieden werden. Eine politische Überfrachtung des FINMA-Auftrages ist dagegen ebenso schädlich, wie ein politisierter Einlegerschutz. Das Liberale Institut befürwortet daher auch eine Stärkung der Verantwortlichkeit privater Akteure durch eine transparente Begrenzung des Einlegerschutzes auf ein privatwirtschaftlich tragbares Mass.

Download Gutachten (17 Seiten, PDF)

16. Januar 2012