Mängelrügen für die Schweiz

Empfehlungen von Silvio Borner

Obwohl oder gerade weil es der Schweiz und seinen Einwohnern in vieler Hinsicht gut geht, glaubt kaum jemand, dass es hierzulande auch jede Menge Missstände gibt. Eine der wenigen Personen, die regelmässig auf Fehlentwicklungen hinweisen, ist der mittlerweile emeritierte Basler Professor für Wirtschaft und Politik Silvio Borner. Sein neuestes Buch «Schweizer Politik im ökonomischen Praxistest», das soeben vom Liberalen Institut herausgegeben wurde und die Sammlung von Borners Kolumnen in der «Weltwoche» umfasst, enthält einen Strauss von Mängelrügen zur Schweiz.

Ohne Umschweife

Der Autor nennt die beanstandeten Dinge jeweils beim Namen, ordnet sie aus ökonomischer Perspektive ein und gibt aus seiner liberalen Sicht klare Handlungsempfehlungen. Auch vor dem Begriff Marktversagen, den Politiker oft voreilig benutzen, warnt der Verfasser; er zerlegt die tatsächlichen Gegebenheiten bis ins kleinste Detail und setzt sie anschliessend so zusammen, dass die richtigen Schlüsse gezogen werden können. Borner bringt dabei oft schon allein durch die Wortwahl seine Kritik auf den Punkt, wenn er etwa von «Regulierungs-Tsunamis» spricht, die über die Wirtschaft hereinbrechen und dazu führen, dass sich die Produkte verteuern. Ins Visier nimmt er auch die «Einbahnstrasse der Landwirtschaftspolitik» oder den «Filz im undurchdringlichen Energieklüngel».

Ein besonderes Anliegen ist Borner die Energiepolitik des Landes, weshalb er dem Thema viel Platz einräumt. Ein Atomausstieg, so erklärt er beispielsweise, nähre die Illusion, dass es eine Welt ohne Risiken gebe. Die Schweiz müsse sich überlegen, wo sie sich Sicherheit leisten wolle, und sollte nicht einfach einen Atomausstieg beschliessen. In diesem Zusammenhang ist ihm auch die vermehrte Verquickung der wissenschaftlichen Forschung mit dem Staat ein Dorn im Auge, weil - so zeigt der Verfasser anhand von Beispielen - schon bei der Ausschreibung für öffentliche Forschungsförderung alles getan wird, um politisch nicht gewollte Untersuchungsergebnisse so weit wie möglich auszuschliessen. Das Sprechen von Geldern müsste aber den Kriterien der Wissenschaft und nicht politischen Opportunitäten genügen, erläutert der Autor; offenbar ist dies weniger selbstverständlich, als man meinen könnte.

Aus dem Leben gegriffen

Das Buch ist besonders lesenswert, weil Borner zur Illustration seines Missfallens oft einfache Beispiele aus dem Alltag heranzieht. So meint er etwa, der Entscheid der Politik, aus der Atomenergie auszusteigen, sei, wie wenn er beschliessen würde, künftig keinen Wein mehr zu trinken. Die Ankündigung allein sei wohlfeil, koste nichts, und alle Optionen blieben offen. Weiter weist Borner darauf hin, dass er von den Subventionen für die Bahn - in seiner Lesart kein öffentliches Gut, sondern eine staatlich unterstützte Dienstleistung - während seiner fünfzigjährigen Erwerbstätigkeit kaum profitiert hat, weil er immer zu Fuss arbeiten ging - ohne die Abnutzung der Schuhsohlen steuerlich absetzen zu können.

Das einzige Manko des Buches ist, dass die Beiträge kein Datum der Erstveröffentlichung tragen. Diese hätten es den Lesern ermöglicht, Borners spitze Kommentare zum jeweiligen Tagesgeschehen besser einzuordnen.

Rico Kutscher, Neue Zürcher Zeitung

1. Oktober 2014