Schlacht um Erbschaftssteuer hat begonnen

Gegner und Befürworter des Volksbegehrens bringen sich in Stellung. Professor Reiner Eichenberger spricht von der Schweiz als egalitärer Steuerhölle, Initiant Hans Kissling von einer Feudalisierung des Landes.

Steuerfragen dominieren die Politik, auch in der Schweiz. Die Abstimmung über die Initiative «Millionen-Erbschaften besteuern für unsere AHV» wird zu einer emotionalen Angelegenheit werden. Deshalb gehen die Befürworter und Gegner in Stellung, obwohl noch nicht einmal ein Abstimmungsdatum bekannt ist. Sie sprechen dabei von der Schweiz als zwei völlig verschiedenen (Steuer-)Planeten.

Das Liberale Institut — eine Denkfabrik im Geiste der Ökonomen Ludwig von Mises und Friedrich von Hayek — hat diese Woche eine Kampfschrift unter dem Titel «Nachteil Erbschaftssteuer» vorgestellt. Reiner Eichenberger, Ökonomieprofessor an der Universität Freiburg, stellt darin eine gleichzeitig gewagte, aber auch originelle These auf. Im Gegensatz zur gängigen Vorstellung sei die Schweiz keineswegs ein Steuerparadies, so Eichenberger, sondern eine «egalitäre Steuerhölle für Reiche».

Zug, Schwyz und Nidwalden verzerren das Bild

Eichenberger bestreitet gleich zwei Dinge, die gewissermassen zum Alltagswissen gehören: erstens sei die Einkommensverteilung in der Schweiz keineswegs ungleich und zweitens würden die Reichen punkto Steuern sehr wohl zur Kasse gebeten. «Die Einkommensverteilung vor Steuern ist in der Schweiz ausgeglichener als in Dänemark und viel egalitärer als in den EU-15-Staaten und allen OECD-Staaten mit Ausnahme Koreas», stellt Eichenberger fest. Und was ist mit der oft als Steuerparadies kritisierten Schweiz? Gemäss Eichenberger ist das völliger Unsinn. «Die Schweiz hat das progressivste Steuersystem Europas», schreibt er. «Während die Steuersätze für Durchschnittsverdiener deutlich tiefer als in den meisten EU-Ländern sind, sind die Spitzensteuersätze in vielen Kantonen praktisch europäischer Durchschnitt oder sogar höher.»

Wie kommt es dann zur weit verbreiteten Vorstellung des Steuerparadieses Schweiz? Nebst den Journalisten sind gemäss Eichenberger daran einerseits die wenigen Kleinkantone wie Zug, Schwyz und Nidwalden schuld, wo tatsächlich paradiesische Zustände herrschen. Andererseits sind es die superreichen Immigranten aus dem Ausland. «Mehr als die Hälfte der reichsten Einwohner des Landes sind zugewandert, als sie schon Milliardäre waren, wie etwa die Liste der 300 reichsten Einwohner der Schweiz der Zeitschrift «Bilanz» regelmässig zeigt.» Das Fazit des Freiburger Professors lautet daher: Die Schweizer Steuerhölle braucht nicht noch mehr Steuern, und die Erbschaftssteuer ist die dümmste aller Steuern.

Hans Kissling ist ebenfalls Ökonom, zudem FDP-Mitglied und Mitglied des Initiativkomitees für eine nationale Erbschaftssteuer. Als ehemaliger Chef des Statistischen Amtes des Kantons Zürich kennt er auch die Zahlen. Kissling hat 2008 mit «Reichtum ohne Leistung» ebenfalls eine Schrift veröffentlicht, die für Aufsehen sorgte. Darin postuliert er so ziemlich das Gegenteil von Eichenberger. Gerade im Kanton Zürich — gemäss Eichenberger eine Steuerhölle — drohe eine Feudalisierung. Es entstehe eine kleine, superreiche Elite, die ihren Kindern ein riesiges Vermögen hinterlasse und damit die bereits bestehende Ungleichheit nochmals massiv verstärke. Schweizweit befürchtet Kissling folgende Entwicklung: «Die rund 13'000 Personen mit Erbschaften von mehr als zehn Millionen Franken, insbesondere aber jene rund 900 Personen mit einer Erbschaft von mehr als 100 Millionen Franken, werden den künftigen Geldadel der Schweiz bilden. Sie kommen, ohne eine Marktleistung dafür erbringen zu müssen, zu einem Vermögen, das sowohl ein immenses Einkommen generiert als auch erheblichen Einfluss in der Politik ermöglicht.»

Der gefühlte Einfluss

Wer hat recht? Anders als die Lufttemperatur lässt sich die Steuerbelastung nicht eindeutig berechnen. Aber wie bei der Lufttemperatur kommt ein gefühlter Einfluss dazu. Gerade bei Steuern ist dieser Chill-Faktor enorm. Im Vorfeld der Abstimmung über eine nationale Erbschaftssteuer werden Sie noch tonnenweise mit solchen Zahlen bombardiert werden.

Philipp Löpfe, Tages Anzeiger

25. April 2013