Innerhalb der europäischen politischen Kultur des 19. Jahrhunderts nimmt Frédéric Bastiat eine Sonderstellung ein. In einer vom Nationalismus gekennzeichneten Epoche, die immer mehr den Verlockungen der sozialistischen Mystik des Staates erlag und Gefallen fand an der gesetzlich auferlegten Solidarität, war dieser katholische, von der Sozialökonomie und den Sozialwissenschaften begeisterte französische Intellektuelle einer der kohärentesten und intelligentesten Gegner der Staatsidee des 19. Jahrhunderts in all ihren Formen.
Er war einer der grössten Liberalen seines Jahrhunderts, wenn man unter Liberalismus — wie er auch aus meiner Sicht ausgelegt werden soll — jene Gedankenströmung versteht, die seit Anbeginn den Widerstand der Zivilgesellschaft gegenüber dem modernen Staat und den — tendenziell unbeschränkten — Forderungen der «souveränen» politischen Schicht ausgedrückt hat.
Wenn auch viele seiner Schriften ökonomischen Fragen gewidmet sind, so bietet Bastiat eine noch immer hochaktuelle Lektion für diejenigen, die sich mit Rechtsphilosophie befassen, aber auch für alle, denen das Schicksal der freien Gesellschaft am Herzen liegt. In einigen seiner Texte finden sich originelle Überlegungen zum Verhältnis zwischen Eigentum und Gesetz sowie zwischen gesetzlicher Ordnung und individueller Freiheit.
Dieser französische Intellektuelle der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stimmte nicht mit seiner Zeit überein und vielleicht noch weniger mit der heutigen. Er war und bleibt ein «Unzeitgemässer», weil er sich gegen die Gemeinplätze der herrschenden Rechtsphilosophie auflehnte und sich der zunehmenden Unterwerfung der Gesellschaft unter die öffentliche Gewalt widersetzte.
Wenn man sich allgemein auf das Gesetz und das Recht bezieht — heute wie in den 1840er Jahren, in denen Bastiat seine eigenen intellektuellen Kämpfe führte — überwiegt die Tendenz jener, die sich auf das beziehen, was der Staat in die Verfassung und die Gesetzesbücher eingefügt hat. Wären die Dinge so, wäre das Gesetz nichts anderes als der Wille des Souveräns oder des Gesetzgebers. Doch Bastiat ist damit nicht einverstanden, und für ihn ist das Gesetz etwas anderes — oder sollte es wenigstens sein. Er weiss sehr wohl, wie die moderne Geschichte einen Prozess der Verstaatlichung des Rechts erlebte und wie vor allem nach der Französischen Revolution eine solche Entwicklung eine beachtliche Beschleunigung erfahren hat. Gleichzeitig ist er sich jedoch bewusst, wie gefährlich das alles für die Freiheit und die Würde des Menschen ist. Als Liberaler, als Katholik und als Naturrechtler ist Bastiat überzeugt, dass die Rechte der Einzelmenschen über jeder Macht und Verordnung stehen und dass diese Rechte durch keine Autorität verletzt werden können. Sein Kampf zur Verteidigung der Zivilgesellschaft gegen die Utopisten und die Planer wird sich dabei auf sein eigenes Grunderlebnis stützen, das ohne Berücksichtigung seines christlichen Glaubens und seines Vertrauens in den Menschen schwer zu verstehen wäre.
Bastiat und die Grundlagen des Naturrechts
Während die moderne Rechtskultur das positive als das einzige Recht anerkennt, verteidigt Bastiat die alte Tradition des Naturrechts und meint, nur auf diesem liesse sich eine vernünftige Verteidigung der Individuen und ihrer Freiheit aufbauen.
Nachdem das Naturrecht von der Bildfläche verschwunden war und die Menschen endgültig auf sein Vorhandensein verzichten mussten, muss man sich fragen, was denn von den rechtlichen Beziehungen übrigbleiben würde. Es würden einzig die — nicht immer und nicht unbedingt schätzenswerten — Gebräuche übrigbleiben, und vor allem die öffentlichen Institutionen, welche das Gesetz zu definieren und zu verwalten haben. Mit dem Untergang des Naturrechts entsteht die Gefahr, dass der legalistischen Perspektive des rechtlichen Positivismus und den verschiedenen historizistischen Strömungen Tür und Tor geöffnet wird, welche sich mehrmals bemüht haben, jedes Rechtskriterium auf den einfachen Ausdruck der geltenden Meinung zu reduzieren. Der Niedergang der Idee der Wahrheit und parallel dazu der Verzicht auf die individuellen Rechte bereitet vor allem dem Triumph der Souveränität den Weg und insbesondere deren letzten und mächtigsten Inkarnation: der demokratischen Souveränität.
Über den Zusammenhang zwischen den Interessen der politischen Klassen und der fortschreitenden Auflösung des Naturrechtsgedankens hat ein italienischer Autor des 19. Jahrhunderts, Alessandro Passerin d’Entrèves, geschrieben: «Im Bemühen, die eigene absolute Souveränität herzustellen und sich loszulösen von jeder höheren rechtlichen, politischen und anderweitigen Ordnung, richteten der Staat und seine Theoretiker ihre Waffen vor allem gegen jene universelle Ordnung, die gegenüber den einzelnen politischen Gemeinschaften überlegen war, nämlich das Naturrecht.» Die These, wonach das Naturrecht — auch, jedoch bestimmt nicht nur — ein Instrument des Selbstschutzes der Zivilgesellschaft und der Einzelnen gegenüber den wachsenden Ansprüchen der Regierenden war, findet eine kuriose Bestätigung sogar bei Norberto Bobbio, gemäss welchem «die hervorragenden Kritiken an den Naturrechten bei Bentham bis Hegel, bei Marx bis Croce so hervorragend waren, dass zu bezweifeln ist, dass diese Doktrin heute zu mehr dienen könne als dazu, den interessierten Verteidigern der Unantastbarkeit des privaten Eigentums Argumente zu liefern». Bobbio bekämpft entschieden die eigentlich liberale Tradition, ist jedoch sicher nicht in Unkenntnis des Zusammenhangs zwischen Naturrecht, individuellen Rechten und Privateigentum.
Sehr luzid und sozusagen «prophetisch» warnt Bastiat vor alledem. Er versteht schliesslich, dass die Auflösung des Naturrechts den Weg bereitet für die Ausweitung der öffentlichen Gewalt. Mehr noch: Er verwirft ebenso die Hypothese, gemäss welcher das positive Recht das einzige Recht wäre. Für ihn besteht über den von den Königen oder den Volksvertretern erlassenen Normen weiterhin ein höheres Recht. Über den Gesetzen der Souveräne und der Parlamente steht sicher einmal die lex aeterna, jedoch auch die lex naturalis. Gesetze, die jeder Mensch guten Willens zumindest teilweise, wenn auch nicht gesamthaft, aus Gründen der Vernunft anerkennen kann. Wenn der juristische Positivismus de facto von nihilistischem Skeptizismus durchdrungen ist und jenem «alles ist möglich» — gemäss einem berühmt gewordenen Ausspruch Dostojewskis —, so glaubt Bastiat im Gegensatz dazu an die Möglichkeit, Forschung und intellektuelle Auseinandersetzungen zu betreiben, die in der Lage sind, uns zu helfen, die Welt, die Gesellschaft und den Menschen besser zu kennen.
Wenn das Recht nicht nur positiv ist, so bedeutet dies jedoch, dass es ein Recht gibt, das über den Gesetzen und in einer ständig gespannten Beziehung zu diesen steht. So kann man sagen, dass eine immerwährende «Nicht-Übereinstimmung» zwischen der Legalität (das geltende System der juristischen und politischen Institutionen) und der Legitimität (jene unbewaffnete Ordnung, die jedoch dauernd an unsere moralischen Skrupel und an unsere dialogische Rationalität appellieren kann). Und gerade diese Spannung ermöglicht uns, wenn nötig, die Normen zu umgehen, denn ungerechte Gesetze verdienen keinerlei Beachtung.
Wie bereits dargelegt, ist gemäss Bastiat das Naturrecht in der menschlichen Natur und im Wesen der sozialen Ordnung verwurzelt. Während die moderne positivistische Kultur der Realität eine recht banalisierte Lesart angedeihen liess (und nicht zufällig im juristischen Rahmen das positive Recht und das Recht tout court koinzidieren liess), ist für Bastiat die menschliche Erfahrung sehr viel reicher und artikulierter. Im Laufe ihres Lebens machen die Menschen ethisch signifikative interpersonale Erfahrungen, und diese sind grundlegend für ihre Möglichkeit, die Gesellschaft zu verstehen, in der sie leben. Dies sagt uns jedoch, dass die Realität sich nicht auf das Physikalische der uns umgebenden Objekte beschränkt, ebenso wie unsere juristische Erfahrung mehr umfasst als nur die Kenntnis der geltenden Gesetze und die Effizienz der mit ihrer Respektierung beauftragten öffentlichen Macht. Schliesslich gibt es ein Universum zwischenmenschlicher Beziehungen und moralischer Erfahrungen, das nicht weniger wahr ist, nur weil es nicht mit den in der physikalischen Welt und in den Naturwissenschaften üblichen Methoden und Instrumenten erforschbar und messbar ist.
In diesem Sinn fordert der Gedanke von Bastiat ein anderes Dogma der modernen zeitgenössischen Kultur heraus: Die Vorstellung, dass jede Erkenntnis gewissermassen wertfrei sein müsse (gemäss der Logik der Weberschen Wertfreiheit). Diesbezüglich ist das Recht ein sehr interessanter Bereich, in welchem sich der Katholik Bastiat weit «realistischer» zeigt als die eigenen Gegner. Die Behauptung, dass die, von den Parlamenten auferlegten Normen gegenüber den kulturellen Konflikten «neutral» seien oder sein könnten und dass eine weltliche Perspektive in senso forte (weit über den Diatriben zwischen Weltlichen und Katholiken) auf irgendeine Art realisierbar sei, scheint ihm völlig unbegründet.
Interessant ist festzustellen, wie sich die Überlegung Bastiats vom Diskurs zwischen Naturrechtlern und Positivrechtlern wegbewegt, um die Konsequenzen hervorzuheben, die vom einen wie vom andern Ansatz abgeleitet werden können. Er zeigt, wie das positive Recht jene äusserst starken Waffen anbietet, welche bestrebt sind, die Gesellschaft zu beherrschen, zu unterwerfen und jegliche Äusserung, jede Form wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwürfe zu unterdrücken.
So wie in der philosophischen Kultur der «mainstream» unfähig zu sein scheint, eine rationale und kognitivistische Perspektive zu akzeptieren, so zeigt er oft einen starken Widerstand gegenüber dem Gedanken einer «begrenzten» Freiheit, die sich insbesondere an den Eigentumsgrenzen definiert.
Eigentum ist Freiheit
Wenn wir uns den Überlegungen Bastiats annähern, müssen wir vor allem daran erinnern, wie dieser grosse französische Liberale die eigenen Argumente gegen den Staatsdirigismus der Sozialisten und den ebenfalls staatlichen Protektionismus der Industrie ausgearbeitet hat, wobei er gerade von einer originellen Überlegung über das Eigentum ausging. Gegenüber Revolutionären und Konservativen hat sich Bastiat tatsächlich zu erinnern bemüht, wie es nicht das Gesetz ist, welches das Eigentum des Einzelnen schafft (es zu definieren, zu verteilen, zu legitimieren), sondern, wie dieses existierte, bevor es Gesetze gab. Die Menschen geben sich ja Gesetze und treffen Abkommen, eben, weil sie sich als Rechtsträger und als Eigentümer anerkennen.
Gemäss Bastiat ist das Eigentum zeitlich dem Gesetz voraus. Diese Präexistenz entsteht, um die individuellen Rechte zu schützen und sicher nicht, um sie zu erfinden. Gegen die Thesen von Robespierre, der Freiheit und Eigentum einander entgegensetzte und daher letzteres der Macht des Gesetzes unterstellte, weist Bastiat nach, wie ungerecht das Gesetz sei, das von der Einhaltung der individuellen Rechte und folglich vom Eigentumsrecht abrückt. Er schreibt: «Nicht, weil es Gesetze gibt, gibt es Eigentum, sondern weil es Eigentum gibt, gibt es Gesetze.»
Es ist klar, dass in diesem Licht der Gedanke des Eigentums ganz andere Bedeutungen annimmt, als er es zum Beispiel bei den Physiokraten hatte. Wenn Bastiat an Eigentum denkt, hat er nicht in erster Linie den Boden und den Grundbesitz im Sinn; er denkt vor allem an jenes reiche Potential an Ideen und Initiativen, das jeder unternehmerische Mensch dank seiner eigenen Arbeit entstehen lässt. Jeder Mensch ist rechtmässiger Eigentümer der eigenen Arbeit sowie seiner selbst, und er hat das Recht und die Pflicht, diese Potentiale bestmöglich auszuwerten. In der Logik des Christentums hat jedes Individuum das Recht und die Pflicht, die eigene kreative Fähigkeit zur Geltung zu bringen und ist aufgerufen, sich auf der Welt so zu verhalten, dass diese besser und humaner wird.
In diesem Sinne gilt für Bastiat, dass «der Mensch als Eigentümer auf die Welt kommt, weil er Bedürfnisse mitbringt, deren Befriedigung für das Leben unentbehrlich ist, und mit Organen und Fähigkeiten, deren Gebrauch für die Befriedigung dieser Bedürfnisse unerlässlich ist». Um zu leben, muss sich der Mensch also etwas aneignen. Die Nahrung, die er aufnimmt, bezieht er aus dem Undefinierten und eignet sie sich an. Ohne diese Phase der Aneignung könnte kein Mensch leben; dies bedeutet, dass ein kohärenter Kollektivismus die Menschheit zur Auslöschung verdammen würde. Anderseits muss auch in der kollektiviertesten Gesellschaft ein minimaler Spielraum von Eigentum und Aneignung gewährleistet bleiben, um diesen katastrophalen Ausgang zu verhindern.
Nun beschränken sich die individuellen Bedürfnisse aber sicher nicht auf die Nahrung, und so bietet sich die gleiche Situation auf jeder Ebene an, was uns zu jener Auffassung der Eigentumsordnung führt, die auf der Achtung des Mitmenschen beruht und dessen, was er legitimerweise beansprucht.
Diese «Erfahrungstatsache» zu bestreiten (die Eigentumsrechte jener, die legitimerweise über Ressourcen verfügen, die ihnen gehören, weil sie die Frucht ihrer Arbeit sind, oder aus dem freiwilligen Austausch, aus Schenkungen oder anderen friedlichen und freiwilligen Interaktionen hervorgegangen sind) würden uns zwingen, die Türe zu einer Sozialordnung zu öffnen, die vom Willen der Politiker und der Gewalt der Sozialplanung beherrscht wäre.
Wenn die Gesellschaft jegliche Konsistenz verliert und die Besitztümer einfach das Resultat politischer Entscheidungen werden, wird jeder Wert und jede Erfahrung (wirtschaftlicher, sozialer, kultureller Art) schliesslich den verschiedensten Bedrohungsformen unterworfen.
Kritik am Menschenbild von Rousseau
Sehr interessant ist in diesem Sinn, wie Bastiat die eigene Kritik gegenüber der Idee des Individuums entwickelt, die sich bei Rousseau finden lässt. Er legt dar, wie beim Genfer Denker der Mensch seinem Wesen nach ein asoziales Tier ist, ganz im Gegensatz zu dem, was Aristoteles dachte. Für Rousseau war der Mensch nur in der ursprünglichen Gemeinschaft in Harmonie, einer imaginären mythischen und urtümlichen Welt, und er wird einzig innerhalb der neuen demokratischen Gemeinschaft, die dank dem Gesellschaftsvertrag entstehen wird, zu einem humanen Leben zurückfinden. Das Individuum ist eine in sich geschlossene, von Egoismus und Engstirnigkeit beherrschte Monade, die ihre schlechtesten Eigenschaften erst verliert, wenn sie zur Kollektivität gelangt, wenn sie zur Institution und Gruppe wird. Durch die Auflösung ihrer konkreten Person wird sie zum Molekül des politischen Aggregats und gefügige Vollzieherin des Gesamtwillens, wobei das Individuum eine ganz irdische Erlösung findet, das die Ursünde aufhebt (für Rousseau wesentlich verbunden mit seinem «Wesen als Eigentümer»).
Doch dieser anthropologische Umsturz, der dem Kollektivismus des 19. Jahrhunderts den Weg bereitete, wurde im 19. Jahrhundert von wenigen Kommentatoren begriffen. Unter diesen befindet sich zweifellos Bastiat, der darauf aufmerksam machte, wie der von Rousseau und — nach diesem — von den Sozialisten eingeschlagene Weg jedwelche Macht den Utopisten und den Urhebern der Ausplünderung (den Profiteuren, Ehrgeizigen, Parasiten, denen, die danach streben, den Mitmenschen zu beherrschen, nur schon um ihren «Willen zur Macht» auszudrücken) zugespielt hätten. Auf diese Weise wird die Politik zum Reich des Schmuggels, der Privilegien und der legalisierten Raubtaten, jenes «Kampfes aller gegen alle», von welchem ein grosser italienischer Liberaler der Nachkriegszeit, Bruno Leoni, gesprochen hat. Die Gesellschaft — bedrängt von den Ideologien, die sie erlösen wollen — wird in den Händen der Politiker zur Manövriermasse, während ein jeder dazu gedrängt wird, die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse auf Kosten der Rechte der anderen zu suchen. «Der Staat», so lautet die berühmte Aussage von Bastiat, « ist die grosse Fiktion, nach der sich Jedermann bemüht auf Kosten Jedermanns zu leben.»
Jahrzehnte, bevor der reale Sozialismus das Licht der Welt erblickte, begreift Bastiat, welche moralischen und materiellen Katastrophen aus der Streichung des Eigentumsrechtes und jener ihm zugehörigen natürlichen Ordnung entstehen. Nicht nur dies: Er weist darauf hin, dass, wenn das Eigentum jegliche Konsistenz verliert und ein einfaches gesetzliches Attribut wird, das ganze Wirtschaftssystem schliesslich korrumpiert wird.
Wenn das Eigentum eine «Schöpfung des Gesetzes» wird, ist das Resultat, dass sich die Kapitalien entfernen werden und die Arbeit Motivation und Anreiz verliert. Wer wird jemals noch arbeiten wollen, ohne die vernünftige Sicherheit, über die Frucht des eigenen Bemühens zu verfügen? Wenn das Eigentum in seiner Würde anerkannt wird, hat menschliches Tun nichts mehr von dauernd sich verändernden Regierungsdekreten zu befürchten, von unvorhergesehenen Entschlüssen, Ungewissheiten bei rechtlichen (und fiskalischen) Szenarien. Menschen und Gemeinschaften von Freiwilligen können wieder vorausschauend planen und gemeinsame Hoffnungen hegen, ohne befürchten zu müssen, dass jeder ihrer Pläne durch neue Normen und überraschende Reformen umgestürzt werden könnte.
Wenn es für Marx die Interessen waren, die zum Konflikt führten (Klassenkampf), so ist Bastiat überzeugt, dass unser gemeinsames Weltinteresse — eben unser «Interessiertsein» — ein neues, ausgeglichenes Zusammenleben nur hervorbringen kann, wenn keiner in die Lage versetzt wird, den Nächsten anzugreifen. In der Marktordnung, so erklärt kurz und gut der Gelehrte Bayonne, können jene «wirtschaftlichen Harmonien» verwirklicht werden, welche sich auf die Marktgesetze stützen. Auch Kapital und Arbeit können in einer freien, das Eigentum respektierenden Gesellschaft zusammentreffen und positiv interagieren von dem Zeitpunkt an — wie dies der Ökonom Thomas Di Lorenzo bei der Auslegung des Gedankens von Bastiat erklärte —, in dem «das Kapital immer dazu verwendet wird, um die Bedürfnisse jener zu befriedigen, die es nicht besitzen».
Gegen die Sozialisten, welche die Wirtschaft kollektivieren wollen, und noch mehr gegen die Industriellen, die den «Schutz» der Gesetze verlangen (die Hilfen, Tarife, Erleichterungen u.a.m. fordern), betont Bastiat die Würde jedes menschlichen Wesens und die Notwendigkeit, dem Geheimnis, das sich in jedem Individuum verbirgt, höchste Achtung entgegenzubringen.
Literaturhinweis:
Der Staat — die grosse Fiktion: Ein Claude-Frédéric-Bastiat-Brevier, hrsg. von Marianne und Claus Diem, Ott Verlag Thun, 2001.
Carlo Lottieri ist Professor für Philosophie, Universität Siena.