Die Schweiz bleibt auch 2012 das Land mit der europaweit höchsten und weltweit vierthöchsten wirtschaftlichen Freiheit. Das zeigt der Jahresbericht 2012 des Index für wirtschaftliche Freiheit, der in der Schweiz vom Liberalen Institut herausgegeben wird. Weltweit erholte sich der Index leicht auf 6,83 Punkte von 6,79 im Vorjahr (auf einer Skala von 1 bis 10). Dies stellt eine moderate Trendumkehr dar, nachdem der Index seit 2007 einen erheblichen Rückgang verzeichnet hatte. Erst im vergangenen Jahr war der Index auf das tiefste Niveau seit 30 Jahren gesunken. Dieser Abbau wirtschaftlicher Freiheit seit Ausbruch der Finanzkrise konterkariert einen globalen Aufwärtstrend, der sich in den 1980er und 1990er Jahren etabliert hatte.
Hong Kong erweist sich erneut als das Land mit der weltweit höchsten ökonomischen Freiheit, gefolgt von Singapur und Neuseeland. Erstmals finden sich dieses Jahr Vertreter aller fünf Kontinente unter den 10 freiesten Ländern der Welt. Das Schlusslicht des diesjährigen Rankings bilden Venezuela, Myanmar und Simbabwe.
Der Index wirtschaftlicher Freiheit wird durch das kanadische Fraser Insitute in Kooperation mit weltweit 90 unabhängigen Institutionen (darunter dem Liberalen Institut in der Schweiz) erstellt. Er beurteilt die politischen Rahmenbedingungen eines Landes anhand von 42 Indikatoren und kalkuliert so eine Rangordnung der untersuchten Länder. Die wirtschaftliche Freiheit eines Landes wird in fünf Bereichen gemessen: (1) Umfang der Staatstätigkeit, (2) Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit privaten Eigentums, (3) Stabilität der Währung, (4) internationale Handelsfreiheit und (5) Regulierungsdichte.
Erneut bestätigt der Bericht den engen Zusammenhang von wirtschaftlicher Freiheit und Wohlfahrtsentwicklung. Die freiesten 25% aller Nationen weisen ein Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf von 37.691 US-Dollar auf, die unfreiesten 25% erreichen dagegen nur 5.188 US-Dollar. Die ärmsten 10% der Bevölkerung in den freiesten Ländern erwirtschafteten ein Pro-Kopf-Einkommen von 11.382 US-Dollar, in den unfreiesten Ländern jedoch nur 1.209 US-Dollar. Das Durchschnittseinkommen der ärmsten 10% der Bürger in den freiesten Ländern ist mehr als doppelt so hoch wie das Gesamtdurchschnittseinkommen der unfreiesten Länder.
«Wirtschaftliche Freiheit macht die Menschen wohlhabender. Sie ist das beste Rezept gegen Armut. Freiheit lässt sich aber nicht auf Reichtum reduzieren. Die Bewohner wirtschaftlich freier Länder sind auch gesünder, sie leben länger, geniessen eine bessere Ausbildung, mehr Gleichberechtigung und sehr viel mehr politische Freiheiten, als die Bewohner wirtschaftlich unfreier Länder», kommentiert Prof. Christian Hoffmann, Forschungsleiter des Liberalen Instituts.
Wirtschaftliche Freiheit als Rezept gegen Krisen
Der aktuelle Jahresbericht des Index wirtschaftlicher Freiheit untersucht erstmals den Zusammenhang von Wirtschaftsfreiheit und Bankenkrisen. Die empirischen Ergebnisse der Analyse widersprechen zahlreichen populären Reaktionen auf die jüngste Finanzkrise, welche vor allem die Deregulierung der Finanzmärkte für die Krise verantwortlich machten: Einerseits erhöht eine höhere Regulierungsdichte, insbesondere eine starke staatliche Einlagensicherung, die Wahrscheinlichkeit einer Bankenkrise. Andererseits verzögert eine hohe Regulierungsdichte sowie eine hohe Steuerbelastung die Überwindung einer Bankenkrise. Eine historische Analyse kommt zu dem Schluss: ein Zugewinn an wirtschaftlicher Freiheit in Höhe eines Indexpunktes reduziert die Wahrscheinlichkeit einer Bankenkrise um drei Prozentpunkte.
Umgekehrt zeigen die historischen Daten, dass auf eine Bankenkrise regelmässig ein signifikanter Rückgang wirtschaftlicher Freiheit folgt. Dies weist auf eine systematische Fehlinterpretation von Bankenkrisen in der Öffentlichkeit hin, welche kontraproduktive politische Entscheidungen zur Folge hat. Ein Abbau wirtschaftlicher Freiheit im Nachgang einer Bankenkrise erhöht die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Bankenkrise. «Die aktuellen Analysen des Index wirtschaftlicher Freiheit zeichnen ein bedrohliches Bild. Der weltweite Ausbau der Regulierung und Besteuerung seit 2007 hat die Welt nicht sicherer, sondern unsicherer gemacht. Nötig wäre vielmehr eine Stärkung der Wirtschaftsfreiheit, auch um die Krise so schnell wie möglich zu überwinden», so Pierre Bessard, Direktor des Liberalen Instituts.
Analysen basierend auf den aktuellen Daten des Index dokumentieren einen signifikant positiven Einfluss wirtschaftlicher Freiheit auf wirtschaftliche Selbständigkeit. Länder mit geringer Regulierung und Steuerbelastung weisen einen höheren Grad unternehmerischer Initiative in der Bevölkerung auf. Ein höherer Grad an Unternehmertum steigert wiederum die Faktorproduktivität einer Volkswirtschaft und befördert so den Wohlstand. Wirtschaftliche Freiheit erweist sich somit als wirksames Instrument auch der Krisenüberwindung.
Ranking der Schweiz und internationaler Vergleich
Die Schweiz erhielt im diesjährigen Bericht die folgenden Wertungen (jeweils auf einer Skala von 1 bis 10, wobei 10 den höchsten Wert wirtschaftlicher Freiheit darstellt):
- Umfang der Staatstätigkeit: leichte Abnahme auf 6.79 von 6.80 im Vorjahr
- Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit privaten Eigentums: geringe Verbesserung auf 8,76 von 8,72
- Stabilität der Währung: Anstieg auf 9,39 nach 9,29 im Vorjahr
- Internationale Handelsfreiheit: starker Rückgang auf 7,06 (Vorjahr: 7,27)
- Regulierungsdichte: gestiegen auf 8,31 nach 8,08 im Vorjahr.
Unter den 10 wirtschaftlich freiesten Ländern der Welt finden sich neben Hong Kong (8,90 von 10 möglichen Punkten), Singapur (8,69), Neuseeland (8,36) und der Schweiz (8,24) auch Australien und Kanada (beide 7,97), Bahrain (7,94), Mauritius (7,90), Finnland (7,88) und Chile (7,84).
Unter den weiteren grossen Volkswirtschaften belegte Deutschland Platz 31 (7,52), Japan Platz 20 (7,64), Frankreich Platz 47 (7,32) und Italien Platz 83 (6,77). Die aufstrebende Volkswirtschaft Indien belegt nur Platz 111 (6,26), China liegt kurz davor auf Platz 107 (6,35). Brasilien belegt Rang 105 (6,37), Russland Rang 95 (6,56). Dies zeigt das erhebliche Aufholpotential, dass in den so genannten BRIC Staaten noch immer brachliegt.
Einige afrikanische Staaten konnten ihre Rahmenbedingungen seit 2000 erheblich verbessern. So steigerte sich Ruanda in dieser Zeit von Rang 106 auf Rang 44, Malawi von 114 auf 84 und Ghana von 101 auf 53. Auch einige europäische, vormals kommunistische Staaten konnten ihre wirtschaftliche Freiheit deutlich ausbauen. Seit 2000 stieg Rumänien von Rang 110 auf Rang 42 auf, Bulgarien verbesserte sich von 108 auf Platz 47 und Albanien stieg von Rang 77 auf 32.
Ein markantes Defizit an wirtschaftlicher Freiheit weisen auch im Jahr 2012 einige der ärmsten Länder auf. Venezuela ist 2012 das am wenigsten wirtschaftlich freie Land des Globus, gefolgt von Myanmar, Simbabwe, der Republik Kongo und Angola. Unter den Ländern mit dem drastischsten Verlust wirtschaftlicher Freiheit seit 2000 finden sich jedoch auch westliche Staaten. Angeführt wird die Liste hier von Venezuela (von Rang 123 auf 94), gefolgt von Argentinien (110 von 34), Island (59 von 11) und den USA (19 von 2).
Download Bericht:
Economic Freedom of the World (322 Seiten, PDF)