Murray Rothbard lieferte die Theorie, Javier Milei ist politische Realität. Nun liegt ein Vorschlag für eine von Hayek inspirierte liberale Utopie vor.
Der Begriff «Sozialismus» wird im Folgenden so gebraucht, dass damit die institutionalisierte Politik der Aggression gegen das Eigentum gemeint ist, auf die der Staat das Monopol hat.
Der Sozialismus basiert im Wesentlichen auf dem kommunistischen Manifest von 1848. Karl Marx und Friedrich Engels prophezeien darin eine Revolution und die Diktatur des Proletariats und schliesslich ein sozialistisches Paradies, wenn auch in vagen Bildern.
Die liberale Antwort auf das kommunistische Manifest liess 125 Jahre auf sich warten. Murray Rothbard lieferte 1973 mit dem ebenso radikalen libertären Manifest «Für eine neue Freiheit» den Befreiungsschlag. Rothbard beschreibt eine anarchokapitalistische Privatrechtsgesellschaft ohne Staaten. Was bei Rothbard noch fehlte, war ein Gegenbild zu den sozialistischen Zukunftsträumen.
1917 wurde der Marxismus mit der russischen Revolution eine politische Realität. Auf den Revolutionsführer Vladimir Lenin folgten zahlreiche sozialistische Ikonen, welche den Geist des Sozialismus bis heute verkörpern und verkünden.
2023 wählten die Argentiner Javier Milei zum Staatspräsidenten. Milei bezeichnet sich als Anarchokapitalist im Geiste von Rothbard. Er gibt dem Anarchokapitalismus eine politische Realität und katapultiert den Begriff auf die politische Weltbühne.
Was sind die Chancen, dass Milei der Lenin der Freiheit wird und was ist die Rolle der im Folgenden präsentierten libertären Utopie, des sog. OboxPlaneten?
Die USA illustrieren das praktische Problem eines Minimalstaates
Die einleitenden Bemerkungen können so verstanden werden, dass ich einen historischen Paradigmenwechsel postuliere und das ist auch tatsächlich der Fall. Damit dies nachvollziehbar wird, erlaube ich mir einen kurzen geschichtlichen Diskurs.
Politische Diskussionen handeln heutzutage hauptsächlich von der Grösse und der Rolle des Staates. Diese Diskussion ist jung, aus einem einfachen Grund.
Vor 1750, vor der industriellen Revolution, lebten die Menschen weltweit «eine Fehlernte entfernt vom Verhungern», wie es Tom Woods einmal formulierte und wie es Thomas Malthus in dem nach ihm genannten Gesetz eindrücklich beschrieb. Wenn die Obrigkeit versuchte, mehr als «einen Zehntel» an Steuern zu erheben, provozierten sie oft eine Rebellionen. Und dieser Zehntel wurde nota bene erhoben auf die Nettoernte im Herbst.
Mit dem langsam wachsenden Wohlstand wurde das Steuerthema aktueller. Die erste Runde ging dabei an die Liberalen, genau genommen an die amerikanischen Gründerväter. Die Unabhängigkeitserklärung von 1776 ist im Grunde eine Kampfschrift gegen «Steuern ohne Repräsentation» und getragen wurde sie durch charismatische Persönlichkeiten wie Jefferson, Paine, Washington und Franklin. Die Amerikaner besiegten England und der Geist der Freiheit verbreitete sich um die ganze Welt. In der Wirtschaft galt «laissez-faire» und die Sklaverei wurde weltweit abgeschafft.
So grossartig die Unabhängigkeitserklärung war: Sie enthielt den Virus für ihre Unterwanderung. Die Gründerväter schrieben die Erklärung mit dem Ziel, den Staat auf den Schutz von „Leben, Freiheit und des Strebens nach Glück» zu beschränken. Doch das ist naives Wunschdenken – und, ganz nebenbei, inspiriert es auch keine freiheitliche Utopie. Selbst ein solcher Minimalstaat ist ein Gewaltmonopol und das wiederum bedeutet: Die Staatslenker geben sich selbst die Gesetze und überwachen ihre Einhaltung mit Richtern, welche von denselben Staatslenkern ernannt wurden. Macht verdirbt, absolute Macht verdirbt absolut und der Begriff Gewaltmonopol enthält die Möglichkeit, absolute Macht auszuüben. Anders formuliert: wie sollte man die Anordnungen des Gewaltmonopols ignorieren?
Der Logik des wachsenden Staates gehorchend fiel der amerikanische Bundesstaat zunehmend in staatsgläubige Hände und siehe da, es fanden sich auch immer mehr Intellektuelle, welches das Staatswachstum rechtfertigten und schönredeten – steuerfinanzierte Intellektuelle, versteht sich.
Das Zeitalter des Sozialismus
Ein erster Höhepunkt des Sozialismus war das kommunistische Manifest aus dem Jahr 1848, präsentiert von Karl Marx und Friedrich Engels. Es ist eine Kampfschrift gegen die Freiheit und forderte eine Revolution, gefolgt von einer Diktatur des Proletariats und einem sozialistischen Paradies.
Das Kommunistische Manifest war der Startschuss für den überwältigenden Erfolg des Sozialismus, denn der Marsch in Richtung mehr Staat dauert bis heute an. Oder besser, der Tanz in Richtung Staat, zwei Schritte vor, einer zurück, mit wechselnden Farben der Kostüme. Die ersten Sozialisten waren rot, bald in Begleitung von Nationalsozialisten in braun, gefolgt von Neomarxisten in grün und ein paar Chaoten in schwarz und heute haben wir die Regenbogenfarben, da können sich alle irgendwo finden. So blüht der Sozialismus in vielen Varianten und nirgends gibt es eine namhafte Partei, welche die Schlachtung auch nur einer heiligen staatstragenden Kuh fordert, weder den Sozialstaat, die staatliche Altersvorsorge, das staatliche Gesundheitswesen, ja nicht einmal die staatliche Post oder den öffentlichen Verkehr.
Welche Rolle spielten die sozialistischen Ikonen und wo blieben ihre liberalen Gegenspieler?
Wir können argumentieren, dass schon die Persönlichkeiten von Karl Marx und Friedrich Engels grössere Wellen schlugen als ihre liberalen Gegner, doch der eigentliche Startschuss fiel wohl 1917 mit Lenin und mit der russischen Revolution. Lenins kompromisslose Rhetorik und rücksichtslose Politik faszinierte die Intellektuellen und die rebellische Jugend weltweit. Lenin beanspruchte die moralische Oberhoheit und diente vielen Generationen ambitionierter Politiker als Leitstern und als Vorbild.
Lenin inspirierte eine endlose Parade von sozialistischen, nationalsozialistischen und neomarxistischen Ikonen, von Juan und Evita Peron über Fidel Castro bis zu Greta Thunberg. Selbst Stalin, Hitler und Mao hatten weltweit Verehrer und Bewunderer. Manch einer dachte, ihre Methoden seien brutal, aber die gut gemeinten Absichten und die edlen moralischen Ziele überwogen für viele Beobachter.
Auf der liberalen Seite finden wir keine gleichwertigen politischen Leitfiguren. Ein Grund dafür ist, dass die Sozialisten wichtige Sprachbegriffe besetzten. Sie beanspruchten «progressiv» für sich und dadurch den Geist von dynamisch, fortschrittlich, zukunftsorientiert und mutig. Den Liberalen blieb das Wort «konservativ» mit dem Beigeschmack von erhalten, behindern, verhindern, wenn nicht sogar Feigheit. Die Sozialisten wollen mehr Staat, die Liberalen weniger, die Sozialisten geben sich angriffig und stark, die Liberalen erscheinen defensiv und entschuldigend, mit dem Rücken zur Wand. Selbst die radikalsten Liberalen waren, vor Rothbards libertärem Manifest, lediglich Minarchisten, was im Grunde bedeutet «ich finde den Staat ja auch gut, aber bitte nicht zu viel davon», in anderen Worten «nicht zu viel des Guten…». Das treibt niemanden auf die Barrikaden, das produziert keine Lenins. Selbst Reagan und Thatcher konnten nur temporäre Flämmchen der Freiheit entzünden, bevor die nächste Regierung sie wieder erstickte.
Das historische Vermächtnis von Javier Milei
1973 präsentierte Murray Rothbard das libertäre Manifest «For a New Liberty» («Für eine neue Freiheit»). Es ist ebenfalls eine Kampfschrift, mit der gegenteiligen Forderung. Rothbard plädiert für mehr Freiheit und weniger Staat, genau genommen für die Privatisierung sämtlicher Staatsfunktionen und damit für die Abschaffung des Gewaltmonopols, d.h. des Staates.
Das libertäre Manifest setzte den Grundstein für eine anarchokapitalistische Bewegung und nun, genau 50 Jahre später, bekommt die Idee eine politische Realität. Javier Milei wird als erster bekennender Anarchokapitalist zum Präsidenten von Argentinien gewählt und katapultiert den Begriff Anarchokapitalismus auf die politische Weltbühne.
Milei argumentiert ebenso kompromisslos radikal wie Lenin, jedoch für den Marsch in die Gegenrichtung. Er drehte den moralischen Kompass um 180 Grad und beansprucht die moralische Oberhoheit für den Kapitalismus und den freien Markt. Er zitiert immer wieder Rothbard und sagt: mehr Staat ist schlecht, mehr Kapitalismus ist gut. Einer seiner Schlachtrufe heisst «Afuera!», weg mit staatlichen Ämtern, weg mit der Zentralbank, weg mit staatlichen Regulierungen.
Mit dieser Rhetorik gewann er, entgegen allen Erwartungen und gegen erbittertsten Widerstand 56% der Wähler, darunter 70% der Jugendlichen. Er ist der erste namhafte anarchokapitalistische Politiker in der Geschichte der Welt.
Der Erfolg Mileis sind die Qualität und die Tiefe seiner Überzeugungen
Milei ist ein glühender Verfechter seiner Werte. Ein Redeschwall an einer frei gehaltenen Tedx-Rede 2019 gibt dafür ein Gefühl:
«Im Grunde muss man verstehen, dass wir es mit einer Wertediskussion zu tun haben. Auf der einen Seite steht der Sozialismus, der auf Neid, Hass, Missgunst, Ungleichheit vor dem Gesetz, Raub und Diebstahl beruht, und vor allem, auf dem Versuch, die Ungleichheiten zwischen uns gleichzuschalten; es ist darum ein System, das stets mit Gewalt durchgesetzt wurde und über 100 Millionen Menschenleben gekostet hat.
Und auf der anderen Seite haben wir den Liberalismus, den Kapitalismus. Er ist nicht mehr und nicht weniger als die uneingeschränkte Achtung des Lebensentwurfs der anderen, basierend auf Privateigentum, basierend auf freien Märkten, basierend auf wenigen Staatseingriffen, basierend auf der Grundlage der Arbeitsteilung, auf der Grundlage der sozialen Zusammenarbeit, wo Sparen belohnt wird, wo die Anstrengung der Arbeit gewürdigt wird.
Und all dies, indem man andere mit Waren besserer Qualität zu einem besseren Preis bedient. Mit anderen Worten: Der erfolgreiche Kapitalist ist nicht mehr und nicht weniger als ein sozialer Wohltäter.
Aber als ob all dies noch nicht genügte, sind wir auch noch ästhetisch überlegen. Schauen Sie sich doch bloss nach New York und schauen Sie nach Kuba! Ich kenne niemanden, der von New York nach Kuba zieht. Nein, Sie wollen alle in den «verdammten Kapitalismus» ziehen…»
Bezüglich seiner intellektuellen Referenz und seinem Verständnis von Theorie und Praxis lässt Milei keinen Zweifel, so beispielsweise im April in einem Interview mit Bloomberg:
«Innerhalb des Libertarismus gibt es verschiedene Typen, die klassischen (Liberalen), die Minarchisten und die Anarchisten. Was die Frage betrifft, wie man im wirklichen Leben vorgehen sollte, hat Murray Rothbard korrekte Richtlinien für das politische Handeln eines Libertären gegeben. Daher sollte man sich zunächst an dieser Richtlinie messen und nicht an derer anderer Ökonomen…Ich mag wohl Milton Friedman sehr bewundern, aber meine primäre Referenz ist Rothbard….Man kann Politik nicht im luftleeren Raum bewerten…. Es gibt Anarchokapitalisten, die machen wirtschaftspolitische Empfehlungen, welche, wenn man sie unter den Bedingungen der realen Welt betrachtet, in einem Kostüm ohne Karneval enden.»
Selbst in der Höhle des Löwen, am WEF in Davos, nimmt Milei kein Blatt vor den Mund und sagt beispielsweise
«Die Neomarxisten haben es geschafft, den gesunden Menschenverstand des Westens zu vereinnahmen. Sie haben dies durch die Aneignung der Medien, der Kultur, der Universitäten und ja, auch der internationalen Organisationen erreicht. Letzteres ist vielleicht am schwerwiegendsten, da es sich um Institutionen handelt, die enormen Einfluss auf die politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen der Länder haben, die diese internationalen Organisationen bilden.»
Und weiter:
«Ob sie sich nun offen als kommunistisch, sozialistisch, sozialdemokratisch, christdemokratisch, neokeynesianisch, progressiv, populistisch, nationalistisch oder globalistisch bezeichnen: In der Sache gibt es keine wirklichen Unterschiede. Sie alle sind der Meinung, dass der Staat alle Aspekte des Lebens des Einzelnen lenken sollte. Sie alle verteidigen ein Modell, das im Gegensatz zu dem steht, welches die Menschheit zu den spektakulärsten Fortschritten ihrer Geschichte geführt hat.»
Es gibt nun Puristen, die bemängeln, auch Milei sei kein astreiner Anarchokapitalist, insbesondere in der Aussenpolitik. Doch selbst dafür hat Rothbard eine Antwort: jedermann hat das Recht auf eine intellektuelle Schwäche, auf eine Inkonsequenz. Abgesehen davon, wen interessiert wirklich Argentiniens Aussenpolitik und wie nützlich wäre eine provokativ libertäre Aussenpolitik für den innenpolitischen Erfolg Mileis?
Was wir schon haben: Rothbards Theorie und Mileis Persönlichkeit
Rothbard hat die sozialistische Theorie entthront und ein für alle Mal bewiesen: Sozialismus heisst immer und überall Zwang, Gewalt, Planungschaos und Armut. Kapitalismus heisst freiwillige Kooperation, Respekt vor der Lebensplanung des anderen und führt stets zu Freiheit, Kreativität, Friede und Wohlstand.
Milei hat Rothbard verinnerlicht und zeigt nun, dass Rothbards Argumente in der Praxis funktionieren. Er hat bewiesen, dass Rothbards Ideen, wenn sie konsequent und begeistert kommuniziert werden, Wahlen gewinnen, die Jugend begeistern und eine gesellschaftliche Bewegung für Freiheit entfachen können. Egal, was noch geschieht, das ist Mileis erstes historisches Vermächtnis.
Milei selbst führt seinen Erfolg auch auf externe Umstände zurück. Es liege im Wesen der Jugend, dass sie gerne rebelliere, und rebelliert werde stets gegen den Status Quo. In einem Argentinien, in dem der Sozialismus seit hundert Jahren zur Verarmung führt, sei die natürliche Rebellion für die Jugend der Liberalismus.
Milei erbte wahrscheinlich eine der schwierigsten politischen und ökonomischen Voraussetzungen für Erfolg und überrascht seit über hundert Tage im Amt immer noch als politisch erfolgreich und libertär linientreu. Sollte er Erfolg haben, könnte Milei einen Dominoeffekt auslösen und andere lateinamerikanischen Staaten in wirtschaftliche Tiger verwandeln.
Was wir noch brauchen: Hayeks liberale Utopie
In den meisten westlichen Industriestaaten sind die Voraussetzungen anders. Wir haben keine allgemeine Verarmung. Die Menschen glauben, wir könnten uns einen stets wachsenden Staat leisten und das ist innerhalb gewisser Limiten sogar richtig. Sie sehen auch keine Veranlassung dafür, den sozialistischen Geist, ja die sozialistische Utopie zu hinterfragen, welche wir alle in den staatlichen Schulen lernen und welche die staatstreuen Medien- und Kulturinstitute in der ganzen westlichen Welt noch immer durchdringen und durchtränken.
Für westliche Industrienationen hat Friedrich von Hayek die Herausforderung wie folgt formuliert:
«Wir müssen den Aufbau einer freien Gesellschaft wieder zu einem intellektuellen Abenteuer machen, zu einer Tat des Mutes. Was uns fehlt, ist eine liberale Utopie, …einen wahrhaft liberalen Radikalismus… Die Hauptlektion, die der wahre Liberale aus dem Erfolg der Sozialisten lernen muss, ist, dass es ihr Mut zur Utopie war, der ihnen die Unterstützung der Intellektuellen und damit einen Einfluss auf die öffentliche Meinung verschaffte, die täglich das möglich macht, was erst kürzlich noch völlig unerreichbar schien.» (The Intellectuals and Socialism, 1949)
Nun könnten wir sagen, mit Rothbards libertärem Manifest haben wir die radikale Theorie, was könnte Hayek also sonst noch meinen?
Ich behaupte, wir brauchen nicht nur die anarchokapitalistische Theorie, sondern ebenso Bilder und Geschichten. Ich behaupte, die sozialistische Utopie ist in unseren Gesellschaften in Gefühlen und Bildern so tief verwurzelt, dass wir uns ihrer kaum bewusst sind. Sie wirkt wie die religiöse Erziehung, welche wir als Kinder gelernt und danach nie mehr hinterfragt haben.
Unser Hauptgegner: die sozialistische Utopie
Wer gewinnen will, muss seinen Gegner kennen.
Die sozialistische Utopie gründet letztlich auf einer schwammigen, unscharfen Idee von einem sozialistischen Paradies von Wohlstand, Gleichheit, Gerechtigkeit und Friede für alle, erschaffen durch den selbstlosen Einsatz unserer «Diener am Volk», d.h. durch Politiker, Bürokraten, Beamte und Staatsangestellte – und natürlich durch die Revolutionäre und ihre Handlanger.
In den Worten der Pioniere Karl Marx und Friedrich Engels:
«In einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft, … nachdem … alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen… kann…die Gesellschaft auf ihre Fahne schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!»
Oder andernorts:
«in der kommunistischen Gesellschaft, wo jeder nicht einen ausschließlichen Kreis der Tätigkeit hat, sondern sich in jedem beliebigen Zweig ausbilden kann, die Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt und mir eben dadurch möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden.»
Den Kampfgeist beschreibt Lenins Weggefährte Trotzki wie folgt:
«Ja, unsere Partei ergreift jeden von uns ganz. Aber umgekehrt gibt sie jedem von uns grösstes Glück: das Bewusstsein…dass wir einen Teil des menschlichen Schicksals auf unseren Schultern tragen und dass unser Leben nicht umsonst gelebt sein wird. .. Getrennt von (der kommunistische Partei) ist jeder von uns nichts; mit ihr in der Hand sind wir alles.»
Diesem Geist entsprangen dann Bilder von verklärt glücklichen Bauern, Arbeitern und Familien auf den Plakaten der Kommunisten, der Faschisten und auch anderer politischen Parteien. Junge Frauen in Uniform und das Portrait von Che Guevara zeigen die Bereitschaft, sich für höhere Ideale zu opfern und derselbe Geist zieht sich hin bis zu den BLM-Chaoten und den Klimaklebern heute. Die Kapitalisten dagegen werden als fette, rücksichtslose Zigarrenraucher karikiert, welche ihr Vermögen verdienen auf dem Rücken von Kinderarbeit und mit umweltverpestenden Grossfabriken. So und ähnlich tönt es noch immer im Geschichtsunterricht unserer Volksschulen.
Das sind mächtige Bilder und lassen wir uns nicht täuschen: Solche Bilder werden, in aktualisierter Form, in unseren staatlichen Bildungsinstituten, in Kultur, Kunst und Staatsmedien weiterhin gepflegt, sie indoktrinieren unsere Kinder und wirken im Unterbewusstsein der ganzen Bevölkerung.
Auch in Mileis Argentinien sind diese Bilder übrigens bekannt, sie verschwinden jedoch im Hintergrund, wenn die Leute um ihr Überleben kämpfen. Milei lässt keinen Zweifel daran, dass genau diese sozialistischen Ideen der Grund für die Misere sind, und darum stören die sozialistischen Sirenenklänge den Reformwillen nicht – im Moment noch nicht.
Der OboxPlanet, mein Vorschlag für Hayeks liberale Utopie
Was sollen wir diesen Bildern entgegnen, wie können wir eine libertäre Utopie erschaffen?
Die Idee ist einfach. Wir nehmen unsere Welt, die Erde, mit all ihren Ideologien und politischen Spannungen, stecken sie in eine Kiste und stellen sie beiseite. Dann, ausserhalb der Box, stellen wir uns einen zweiten Planeten vor, einen «Planeten außerhalb der Box», oder einfach den «OboxPlanet».
Der OboxPlanet ist er ist eine «Copy-Paste»-Version der Erde, mit denselben Landschaften, Ozeanen, Kontinenten, Lebewesen und Menschen, doch mit einem Unterschied: Er hat keine Staaten. Er hat keine Grenzen, keine Gesetzgeber, keine Steuern, keine Bürokratie und schon gar keine Armeen.
Sie haben zweifellos erkannt, der OboxPlanet ist eine anarchokapitalistische Kopie der Erde. Und nun werden Sie sich fragen: Wer baut die Strassen ohne Staat? Wer kümmert sich um die Armen? Wer sorgt für Sicherheit und Ordnung? Und was passiert mit Herausforderungen wie Covid und dem Klimawandel?
Antworten auf diese und viele weitere Fragen finden wir auf einer imaginären Reise zum staatenlosen Planeten. Dafür haben wir zwei Möglichkeiten. Entweder wir nutzen unsere eigene Phantasie und erkunden die schnell wachsende anarchokapitalistische Literatur; oder wir besuchen das virtuelle «Tourist Information Center» unter www.oboxplanet.com.
Auf oboxplanet.com werden insgesamt dreissig Themen präsentiert – sozusagen die wichtigsten Sehenswürdigkeiten. Da sich die Website besonders an jüngere Menschen richtet, werden nicht nur grundlegende Themen, sondern auch spezifischere wie «Diskriminierung», «Sex und Drogen», «Tierschutz und Vegetarismus» sowie aktuelle politische Themen wie Klimawandel behandelt.
Das war’s. Das ist die einfache, spielerische und unterhaltsame Art, eine anarcho-kapitalistische Gesellschaft zu veranschaulichen und den Prototypen einer liberalen Utopie zu präsentieren.
Ihr persönlicher Nutzen: ein entspannteres, besseres Leben
Der erste, ganz persönliche Nutzen durch die Beschäftigung mit der Idee einer staatenlosen Gesellschaft ist das Versprechen, dass sie dadurch ein entspannteres, gesünderes und besseres Leben haben werden.
Warum? Weil das Entdecken innovativer Lösungen für politische Fragen ähnlich ist wie das Erkunden alternativer Therapien für Gesundheitsprobleme. In beiden Fällen führt die Kenntnis von Alternativen zu mehr Zuversicht und Optimismus. Sie werden die täglichen Nachrichten mit einem entspannteren Gefühl betrachten und die Panikmacherei mit einem Lächeln erwidern.
Kurz gesagt, Sie werden entspannter, glücklicher und gesünder leben.
«Afuera!», weg mit den sozialistischen Utopien
Während fast zweihundert Jahren herrschten die sozialistischen Utopien grossartig, utopisch, subversiv und unbehindert. Nun bekommen sie Konkurrenz. Wir nutzen die Technik der Sozialisten und verwenden sie gegen sie.
Auch eine geistige Reise auf den OboxPlaneten wirkt subversiv. Wer sich mit der Frage beschäftigt, wie politische Themen ohne den Staat gelöst werden können, kann seine Erkenntnisse nicht mehr rückgängig machen. Egal, mit welchem Thema sich jemand befasst, er wird die reale Politik mit anderen Augen betrachten, kritischer und gleichzeitig entspannter.
Der OboxPlanet ist jedoch neuer, origineller, radikaler und konsequenter als die sozialistischen Utopien und unbelastet von der Geschichte mit gescheiterten Regimen und Millionen von Toten. Die Lösungen ohne Staaten sind darüber hinaus einfach vorstellbar, denn die meisten heutigen Staatsaufgaben wurden vor kurzer Zeit noch ohne Staat gelöst.
Zum Schluss stellen wir uns vor, dass sich das Bild des staatenlosen Planeten wie ein Lauffeuer verbreitet. Kinder spielen Videospiele und Hollywood produziert Filme, welche auf diesem Planeten handeln, Schulen haben einen „OboxPlanet-Tag“ im Lehrplan und Universitäten geben Forschungen in Auftrag. Schritt für Schritt verdrängt der staatenlose Planet den sozialistischen Leitstern, und wer weiss, was dann passiert?
Der nächste Berliner Mauerfall
Vorhersagen sind schwierig, ganz besonders, wenn sie die Zukunft betreffen.
Vor gerade einmal 40 Jahren gab es den kommunistischen Osten und den freien Westen und den eisernen Vorhang. Für mich und für viele Zeitgenossen war die Wahrscheinlichkeit, dass diese Machtblöcke während unseres Lebens verschwinden würden, etwa gleich hoch wie die Wahrscheinlichkeit, dass Kühe plötzlich fliegen lernen. Und dann geschah das Unvorstellbare. Die Berliner Mauer fiel praktisch über Nacht, gefolgt vom Zusammenbruch der kommunistischen Regime, mit erstaunlich wenig Blutvergießen.
Im Rückblick wird vieles klarer. Ein Hauptgrund war die einfache Tatsache, dass die Menschen im Osten von einer besseren Welt im Westen Kenntnis hatten. Solange es auch nur einen Hauch von Fortschritt in Ostdeutschland gab, war die Diskrepanz zum Westen erträglich. Als sich die Zukunftsaussichten in der DDR in den 1980er Jahren trübten, kehrte der Wind. Vierzig Jahre penible Staatsindoktrination, ausgeführt mit rücksichtsloser Präzision, möglicherweise der perfekteste Überwachungsstaat in der Menschheitsgeschichte, verpuffte ins Nichts.
Der OboxPlanet, das Bild eines staatenlosen Planeten, ist das Westdeutschland für unsere heutige Welt. Er zeigt in Bildern und Geschichten, wie eine Welt ohne Staat funktionieren könnte, und warum eine solche Gesellschaft friedlicher und wohlhabender wäre. Warum sollten wir nicht auf einen weiteren Mauerfall hoffen, diesmal für die Institution des Staates selbst?
Das Szenario ist einfach. Die Menschen wachen eines Morgens auf und überlegen:
- Warum sollte ich zulassen, dass eine Gruppe von Fremden mein Leben diktiert?
- Warum sollte ich dem Staat die Hälfte meines Einkommens geben?
- Wie könnten Parlamentarier und Bürokraten, selbst bei bester Absicht überhaupt wissen, was für mich am besten ist?
- Was gibt ihnen – Menschen, die mich kaum kennen – das Recht dazu?
Sobald eine kritische Masse von Individuen aufhört, den Anweisungen der Regierung zu folgen, werden Staaten verschwinden. Ist das vorstellbar? Absolut. Ist es wahrscheinlich? Ich hoffe es sehr.
Zusammenfassung
Der ungebrochene Siegeszug des Sozialismus begann, grob vereinfacht, 1848 mit dem kommunistischen Manifest und den marxistischen Utopien. Der Siegeszug wurde und wird getragen durch stets wachsende Staaten.
Die liberale Gegenbewegung befand sich lange Zeit in der Defensive. Selbst die Minimalstaatler argumentierten mit dem Rücken zur Wand. Während die Sozialisten den Revolutionär Lenin und danach immer neue Ikonen produzierten, gelang dies den Liberalen nie in ähnlichem Masse.
Die Gegenbewegung formiert sich seit 1973. Rothbard präsentierte mit dem libertären Manifest «For a New Liberty» den Anarchokapitalismus, die Theorie für das Gegenteil vom Sozialismus, 2023 wird Javier Milei zum Präsidenten von Argentinien gewählt. Milei bekennt sich als Anarchokapitalist, beruft sich auf Rothbard, attackiert den Staat als unmoralisch und destruktiv und präsentiert den Kapitalismus als einzige moralische Gesellschaftsform.
Milei nutzte das Elend in Argentinien. Er konnte die Wähler überzeugen, dass der Sozialismus das Problem und der Kapitalismus die Lösung sei und die Argentinier glauben ihm – bis jetzt. Wir beten und hoffen, dass seine pro-Freiheitsrhetorik lange genug wirkt, damit die Früchte der Liberalisierung reifen können. Dann ist es denkbar, dass Milei der Erste in einer Reihe von anarchokapitalistischen Vorbildern wird, ein Lenin der Freiheit.
In den westlichen Industriegesellschaften herrschen andere Voraussetzungen, die Not einer massenhaften Verelendung ist nicht gegeben. Für uns hat Hayek einen anderen Auftrag formuliert: wir müssen den sozialistischen Sirenengesängen eine liberale Utopie entgegensetzen, welche so attraktiv ist, dass die Wähler für mehr Freiheit stimmen, ohne akute Not zu leiden.
Ich habe versucht, eine solche Utopie, den sog. OboxPlanet zu skizzieren. Die Idee ist einfach. Wir stecken unsere Erde in eine grosse Box und stellen diese zur Seite. Nun, «out of the box», kreieren wir einen Zwillingsplaneten, «copy pasten» die Erde, aber ohne Staaten. Heraus kommt der OboxPlanet. Auf der Website finden sich Ideen, wie das Leben in einer solchen Welt ausschauen könnte.
Wie können Sie die Chancen der Freiheit fördern? Unter anderem, indem Sie sich am Aufbau und an der Verbreitung einer libertären Utopie beteiligen. Dann können wir beobachten, wie der Gegenentwurf zu den sozialistischen Utopien seine subversive Wirkung entfaltet.
Zum Schluss und zu Ehren von Milei:
Viva la libertad, carajo!
Thomas Jacob studierte an der Uni Zürich Wirtschaftswissenschaften, war Pilot bei der Swissair und arbeitet heute in der Versicherungsbranche. Jacob wurde 1981 Rand-Minarchist und 1990 Hoppe-Anarchist. Er lebt mit seiner Frau und den jüngeren zwei von vier Kindern in Zürich.