«Die wahren Bande zwischen den Vereinigten Staaten und Europa sind die Werte, die wir teilen: Demokratie, persönliche Freiheit, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit. Diese Werte überquerten den Atlantik mit jenen Menschen, die von Europa aufbrachen, um beim Aufbau der USA zu helfen. Heute sind sie bedroht wie nie zuvor. Die Angriffe vom 11. September zeigen, wie sehr Terroristen — die Feinde unserer gemeinsamen Werte — bereit sind, diese Werte zu zerstören. Dieses Verbrechen war ein Angriff auf uns alle. Regierungen und Völker in den Vereinigten Staaten und Europa haben diese Prinzipien mit aller Entschlossenheit verteidigt und somit die Kraft ihrer Überzeugungen bewiesen. Die transatlantischen Bande sind Garant unserer Freiheit. Das gilt heute mehr als jemals zuvor.
Die Angriffe vom 11. September zeigen, wie sehr Terroristen — die Feinde unserer gemeinsamen Werte — bereit sind, diese Werte zu zerstören. Dieses Verbrechen war ein Angriff auf uns alle. Regierungen und Völker in den Vereinigten Staaten und Europa haben diese Prinzipien mit aller Entschlossenheit verteidigt und somit die Kraft ihrer Überzeugungen bewiesen. Die transatlantischen Bande sind Garant unserer Freiheit. Das gilt heute mehr als jemals zuvor.
Die Beziehung zwischen uns Europäern und den Vereinigten Staaten hat so manche Bewährungsprobe überstanden. Zum grossen Teil dank dem Mut, der Grosszügigkeit und der Weitsicht der Amerikaner wurde Europa im 20. Jahrhundert gleich zwei Mal von Tyrannei befreit: von Nazi-Herrschaft und Kommunismus. Auch dank der dauerhaften Zusammenarbeit zwischen Europa und den Vereinigten Staaten haben wir Frieden und Freiheit auf unserem Kontinent bewahren können. Das transatlantische Verhältnis darf der anhaltenden Bedrohung der Weltsicherheit durch das irakische Regime nicht zum Opfer fallen.»
Oben zitiert sind die ersten drei Absätze der am 30. Januar 2003 in 12 europäischen Zeitungen publizierten Erklärung der acht Staats- und Regierungschefs, die sich von der französisch-deutschen Irak-Rhetorik distanzieren wollten. Diese Sätze enthalten das Wesentliche bezüglich des transatlantischen Verhältnisses und könnten von den meisten Schweizern auch unterzeichnet werden.
Es ist heute kaum möglich, irgend etwas zu Amerika zu sagen, ohne mit der Aktualität zu beginnen. Seit den grauenhaften Ereignissen vom 11. September 2001 beobachten wir eine Entwicklung der amerikanischen Weltpolitik in zwei Hauptrichtungen: Erstens soll der internationale Terrorismus bekämpft und letztlich ausgeschaltet werden, eine Bestrebung, welche die wirklich zivilisierten Staaten dieser Welt und gewiss fast alle Menschen im höchst eigenen Interesse voll unterstützen. Zweitens hat die amerikanische Führung der sogenannten Achse des Bösen den Kampf angesagt. In dieser Hinsicht gibt es bekanntlich auf der internationalen Ebene grosse Meinungsverschiedenheiten. Wenn beachtliche Sympathie für das Unschädlichmachen der «Schurkenstaaten» besteht, so gehen die Auffassungen über die Verfahrensweise und die einzusetzenden Mittel weit auseinander. Was sich seit einigen Wochen abspielt, gibt zu grösster Sorge Anlass. Im Vordergrund steht dabei einerseits die Angst vor einem Krieg und vor einer nicht absehbaren humanitären Katastrophe mit tödlichen Folgen für viele Menschen. Anderseits droht infolge der Differenzen zwischen den USA und Europa die Gefahr einer nicht nur vorübergehenden Störung des nordatlantischen Verhältnisses und im Zusammenhang damit eine Gefährdung der Stabilität und der soliden weiteren Entwicklung der EU. Die Welt ist besorgt über diese Entwicklung; die Schweiz bildet keine Ausnahme. Man kann sogar sagen, die Schweiz sollte sich ganz besonders Gedanken machen über die Situation und über die eigene politische Ausrichtung, da wir in einem höheren Mass als viele andere Länder auf EU und USA ausgerichtet sind und von der Handlungsweise dieser beiden wichtigen Akteure beeinflusst werden. Man hat immer erklärt, die Schweiz habe ein Interesse an einer starken Gemeinschaft und heute Europäischen Union, weil eine schwache EU ein unstabiler und damit unsicherer Partner wäre, was vor allem wirtschaftlich unliebsame Folgen haben könnte. Wenn wir an unsere Sicherheit denken, dann kommen wir nicht darum herum, die Haltung und die Ausrichtung Amerikas in Rechnung zu stellen. Wir pochen zwar zu Recht auf unsere Souveränität und sollten auch alles tun, diese in einer heute veränderten Welt möglichst zu bewahren. Wir müssen dies aber mit Realismus tun und einsehen, dass de facto in der Schweiz eben bereits vieles fremdbestimmt wird. Daraus den Schluss zu ziehen, man müsse sich voll und ganz anpassen und ausserhalb der Schweiz liegenden Strukturen unterstellen, wäre wohl ebenso falsch wie eine an den Realitäten stur vorbeisehende Haltung einzunehmen und damit gewissermassen den «Sonderfall» unvernünftig zelebrieren zu wollen.
Wir Schweizer erklären unseren Zusammenhalt damit, dass wir eine Willensnation sind, die trotz der Mehrsprachigkeit einzig auf den von der ganzen Bevölkerung geteilten politischen Überzeugungen gründet. Unser Land unterscheidet sich dadurch ganz wesentlich von den Nachbarstaaten, die — auch wenn sie sprachliche Minderheiten haben — auf der sprachlichen und damit kulturellen Gemeinsamkeit basieren. Von den USA kann man sagen, dass sie in ihrer Vorgeschichte ein mehrsprachiges Gebilde waren, das aber durch die Gründung des Bundesstaates mit Englisch als einziger Sprache die Form eines sprachlich einheitlichen Staates annahm. Dies ist vielleicht eine etwas grobe Darstellung, wenn man sich vor Augen hält, wie viele Kulturen und Sprachen durch die Einwanderung nach Amerika gelangt und bis heute erhalten geblieben sind. Ferner darf man selbstverständlich das durch die Sklaverei eingebrachte Element nicht vergessen, und schliesslich — eigentlich vor allem — ist der indianischen Kulturen und Sprachen zu gedenken, die im wörtlichen Sinne massakriert wurden und heute leider in Amerika fast nur noch als Kuriositäten ein wenig respektiertes Dasein führen. Die demographische Entwicklung hat den schon so vielfältigen USA in den letzten Jahrzehnten eine neue Entwicklung beschert, die nun tatsächlich zu einem Vielsprachenstaat führen und das Gesicht Amerikas immer mehr verändern könnte. Zunächst einmal mit der Anerkennung des Spanischen in einigen Staaten der Union dürfte diese auf dem Weg sein zu einem offiziell mehrsprachigen Staat, der schliesslich vielleicht nur noch wegen des politischen Willens zusammenhalten wird. Aus einem durch Einwanderung, Eroberung und Kolonialismus entstandenen bunten Gemisch, das durch die einzige Amtssprache der Union diszipliniert wurde, dürfte also — sofern nicht Untergangsszenarien eintreten — möglicherweise eine mehrsprachige Willensnation werden. Das ist zugegebenermassen spekulativ. Doch ganz unrealistisch ist das Szenario nicht. Ist dies ein Grund zu glauben, dass der Begriff der «Schwesterrepubliken» wiederbelebt wird?
Wenn ich von einer allfälligen Wiederbelebung spreche, so habe ich eigentlich die Antwort auf die im Titel gestellte Frage schon vorweggenommen. Als ich im Frühling 1993 meinen Posten in Washington antrat, war ich noch etwas anderer Meinung. Natürlich hatte sich die Situation seit dem 19. Jahrhundert, als die zeitweise einzigen republikanischen Demokratien der Welt von Enthusiasten als «Sister Republics» bezeichnet wurden, schon lange und zusehends von Grund auf verändert. Mit der vollständigen Erschliessung des Territoriums bis zum Pazifik, mit der Industrialisierung, mit der demographischen Entwicklung, mit dem Entstehen einer Grossmacht- und später Supermachtposition hatte sich Amerika grössenmässig so entwickelt, dass man höchstens noch von einer sehr grossen «Schwesterrepublik» sprechen konnte. Abgesehen von der gegen Ende des Zweiten Weltkrieges und unmittelbar danach herrschenden Verstimmung zwischen den USA und der Schweiz war das Verhältnis im letzten Jahrhundert recht gut und wickelte sich unter einem fast wolkenlosen Himmel ab. So sah ich es Anfang 1993. Bald musste der Eindruck nuanciert werden, weil die an Europa — mit Ausnahme von Russland — zunächst völlig uninteressierte Administration Clinton natürlich auch die Schweiz übersah. Im Verlauf des Jahres 1994 erweiterte die Administration ihren Horizont, und die transatlantischen Beziehungen wurden immer mehr gepflegt, was auch für die Beziehungen mit der Schweiz wieder bessere Voraussetzungen schaffte. 1994 war denn auch das letzte harmonische Jahr im schweizerisch-amerikanischen Verhältnis. Im Sommer 1995 zogen Wolken auf, und ab Ende 1995 zeichnete sich das Gewitter ab, das die Beziehungen schwer belastete, und die Sturmschäden sind trotz behördlich verordneter positiver Betrachtungsweise noch keineswegs alle behoben. Wer dies nicht glauben will, beachte die Reaktionen auf das Buch von Herrn Eizenstat.
Anlässlich des Jubiläumsjahrs 1991 erschien die Publikation «The Sister Republics, Switzerland and the United States from 1776 to the Present». Verfasser ist James H. Hutson von der Library of Congress in Washington. Er ist ein feiner Kenner der Schweiz und hat unter anderem auch eine höchst interessante Arbeit über die von der US—Air Force während des Zweiten Weltkrieges über Schweizer Städte ausgelösten Bombardemente verfasst. Für den Kulturdienst der Botschaft in Washington und für mich selbst war er stets ein spannender und hilfreicher Gesprächspartner. Sie können bei Hutson nachlesen, wie man sich in der Eidgenossenschaft für die amerikanische Revolution von 1776 interessierte und für das Verhältnis mit den 13 republikanischen Staaten Nordamerikas in jener Zeit den Ausdruck «Sister Republics» prägte. Die Interaktion zwischen schweizerischem und amerikanischem Gedankengut im Zusammenhang mit der Revolution von 1776 und der amerikanischen Verfassung von 1787 einerseits und der bestimmende Einfluss der amerikanischen Staatsstruktur und der Verfassung auf die Schaffung unseres Bundesstates von 1848 anderseits sind eindrücklich dargestellt. Wenn man die Weltkarte von damals betrachtet, so findet man im 19. Jahrhundert tatsächlich nur zwei dauerhafte Staatsgebilde, die als republikanische Demokratien gelten konnten. In dieser Beziehung dürfen Amerikaner und Schweizer stolz sein, diese politische Wertordnung geschaffen und weiter entwickelt zu haben zu einer Zeit, als die übrigen Staaten dieser Welt zu monarchistischen und imperialen Kategorien gehörten.
Ein spannendes Kapitel in Hutsons Schilderung ist den Schweizern im amerikanischen Sezessionskrieg von 1862 bis 1865 gewidmet. Während offenbar mehrere tausend gebürtige Schweizer auf Seiten der Union kämpften, waren es wesentlich weniger bei den Confederates. Auf beiden Seiten waren Schweizer im Einsatz und kämpften gegeneinander, wie sie dies schon früher in der Geschichte der Eidgenossenschaft getan hatten. Man kann eine Parallele zum Sonderbundskrieg von 1847 beobachten. Allerdings sieht man einen Grund für den Amerikanischen Bürgerkrieg im Problem der Sklaverei, während man in der Schweiz aus konfessionellen Gründen gegeneinander antrat. Was mitunter zu wenig beachtet wird, ist der gemeinsame Aspekt der beiden Bürgerkriege, in denen es eben auch um die «devolution» ging, nämlich um die Kompetenzverteilung im föderalistischen System.
Eine höchst interessante Kuriosität ist in der ursprünglichen Publikation von Hutson nicht enthalten, wurde von ihm aber später in der zweiten Auflage in einem Addendum dargestellt. Die vier ersten Präsidenten der Vereinigten Staaten hielten wegen des Calvinismus und der Universität grosse Stücke auf Genf und schickten sogar ihre Nachkommen zum Studium dorthin, was fast unglaublich klingt und zeigt, dass der Besuch hervorragender Hochschulen auf dem andern Kontinent — heute wohl mehr in umgekehrter Richtung — eine alte Tradition darstellt. Viele aus unserem Lande stammende Menschen haben in den Vereinigten Staaten erfolgreich und auf hohen Posten gewirkt. Der Beitrag der Schweiz in verschiedenen Sektoren der amerikanischen Entwicklung ist im Verhältnis zu den menschlichen Ressourcen unseres Landes beachtlich.
Das auf gleichen Grundwerten basierende gute Verhältnis spielte auch bei der Etablierung des Völkerbundes in Genf eine bestimmende Rolle, und wenn man so will, ist die Stadt Calvins und Dunants dank des besonderen amerikanischen Interesses zu einem Zentrum internationaler Zusammenarbeit und zu einem ganz bedeutenden Instrument in der schweizerischen Politik der guten Dienste geworden.
Nach den für die schweizerisch-amerikanischen Beziehungen schwierigen 40er Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelte sich das Verhältnis in erfreulicher Weise. Die strikt neutrale, dem westlichen Gedankengut verpflichtete, wehrhafte Schweiz wurde zum respektierten zuverlässigen Partner, der in der Konfrontation der Blöcke manch nützlichen Dienst erweisen konnte, so auch in der KSZE und späteren OSZE. Seit den ab 1989 eingetretenen fundamentalen Veränderungen der geopolitischen Lage hat auch der Stellenwert der Schweiz für die Vereinigten Staaten geändert. Wie Mitte der 40er Jahre war Neutralität nicht mehr gefragt und nicht mehr geachtet. Für die amerikanische Politik bestand kein Bedarf und kein Interesse mehr an den während der Ost-West-Konfrontation nützlichen «neutral and non alined countries», und damit schwand auch das Verständnis für die schweizerische Neutralität. Schon lange und in den letzten Jahrzehnten erst recht ging die Originalität des republikanisch—demokratischen Systems verloren, da immer mehr Staaten zu — wenn auch nicht unbedingt immer exemplarischen — Demokratien wurden. Die Krönung dieser Entwicklung war die neu errungene Freiheit und Unabhängigkeit der früheren Vasallen der Sowjetunion und damit die fast vollständige «Demokratisierung» Europas, eine von der Schweiz aus betrachtet hoch erfreuliche Entwicklung. Damit brach für den republikanisch-demokratischen Sonderfall vom Europa des 19. Jahrhunderts eine neue Epoche des Zusammenlebens mit demokratisch gleichgesinnten Europäern an. Einen besonderen Grund, sich mit den alten und neuen Demokratien Europas schwesterlich verbunden zu fühlen, gibt es aber kaum, und die Verbreitung des demokratischen Systems hat die frühere besondere ideelle Bindung an die Vereinigten Staaten noch stärker relativiert.
Wenn heute diese Bindung an Bedeutung verloren hat oder — man kann dies durchaus vertreten — nicht mehr vorhanden ist, darf nicht vergessen werden, dass auf andern Lebensgebieten neue Verbindungen erstellt und Bande geknüpft worden sind. Gerade die in der Krise ab 1996 besonders gut erkennbar gewordene Verwundbarkeit der Schweiz hinsichtlich Investitionen und Dienstleistungen auf dem Gebiet der Finanzen und der Versicherungen zeugte von der Intensität der wirtschaftlichen Beziehungen. Wenn auch in den Proportionen in keiner Weise mit dem Warenverkehr mit der EU vergleichbar, ist doch auch die Bedeutung des Handels mit den USA nicht zu unterschätzen. Wissenschaft und Forschung sind in den Beziehungen ebenfalls sehr präsent; die in den USA forschenden Schweizer erbringen eine anerkannte Leistung und profitieren anderseits in ihrer Weiterbildung. In kultureller Hinsicht stehen wir unter dem Eindruck der Allgegenwart amerikanischer Einflüsse, dürfen aber anerkennen, dass schweizerische Kulturleistungen in den USA Anklang finden. Trotz Rückschlägen — besonders in Zeiten wirtschaftlicher Schwierigkeiten — entwickeln sich alle diese Beziehungen weiter und erlauben es, die bei der nostalgischen Rückschau auf fast romantische schwesterliche Verhältnisse zu erkennenden Verlustgefühle zu kompensieren.
Kehren wir zurück zur Aktualität. Amerika ist der supermächtige Hegemon. Wäre die Europäische Union eine Einheit, wäre sie die erste Wirtschaftsmacht der Welt. Politisch ist die Europäische Union allerdings noch nicht geeint, weshalb die zum Beispiel in chiracschen und andern Köpfen gehegten Wunschträume eines europäischen Gegengewichtes zu Amerika in absehbarer Zeit wohl kaum in Erfüllung gehen dürften. Auch wenn wir von den zur Zeit mitunter häufig hochgespielten Emotionen absehen, erscheint das transatlantische Verhältnis heute als stark gestört. Vorläufig ist nicht abzuschätzen, wie nachhaltig sich die Polemik auswirken wird. Sollten sich die USA zum militärischen Alleingang gegen den Irak entscheiden, würde sich der Atlantikgraben noch weiter vertiefen.
Nach Ansicht vieler Kommentatoren könnte eine kriegerische Auseinandersetzung im Mittleren Osten die UNO in eine Krise stürzen. Nachdem sich die Weltorganisation und insbesondere deren Sicherheitsrat derart intensiv mit dem Irak befasst haben, sind die Erwartungen an die Organisation und deren Möglichkeiten zur Erhaltung des Friedens höher denn je. Gelingt es, einen Krieg zu vermeiden, die Iraker zur gewünschten Abrüstung zu veranlassen, die Weltsicherheit zu erhöhen und den USA zu gestatten, das Gesicht nicht zu verlieren, so wird dies einen wahren Triumph für die internationale Zusammenarbeit und für die Organisation darstellen. Ein Krieg ohne ermächtigende UNO-Resolution wäre ein Disaster, aber auch ein auf einer Resolution gründender Krieg könnte den allgemeinen Erwartungen in die Rolle des Friedensbewahrers nicht entsprechen. Die Herausforderung ist gross und die Risiken sind nicht zu verkennen, doch gehen die Leute, die bereits eine Parallele zum Ende des Völkerbundes sehen wollen, gewiss zu weit und unterschätzen den durch die Einsicht in die heutige Interdependenz unterstrichenen Willen zu friedlichen Lösungen.
Die Entwicklungen der letzten Wochen bescheren auch der NATO nicht unerhebliche Turbulenzen. Die Paktorganisation hat sich zwar erfolgreich erweitert, durch andere Schritte die meisten Länder Europas unter ihren Einfluss genommen und einen modus vivendi mit Russland gefunden, doch kommt es wiederum im Zusammenhang mit dem Irak zu einer Ausmarchung zwischen denen, die an der ursprünglichen Verteidigungsrolle der Paktorganisation festhalten wollen, und anderen, die der NATO neue Interventionsaufgaben übertragen wollen. Es ist heute kaum zu beurteilen, ob die Auffassungen innerhalb der Organisation wirklich ernsthaft und mit Langzeitwirkung auseinanderdriften oder ob es sich um kurzfristige Differenzen handelt, die von den Regierungen einzelner Mitgliedstaaten vor allem aus innenpolitischen Motiven hochgespielt werden. Ohne in den Pessimismus zu verfallen, demgemäss die NATO ihrer Auflösung nahe kommen könnte, dürfen — wie bei der UNO — die Risiken nicht unterschätzt werden.
Auch wenn man zu Recht die Schwarzmalerei ablehnt, sollten wir uns doch bewusst sein, dass wir mit raschen Umfeldveränderungen und möglicherweise mit fundamentalen Umwälzungen rechnen und unsere internationalen Beziehungen entsprechend gestalten müssen. Der Beitritt zur UNO, der in seiner Bedeutung nicht überbewertet werden darf und der Schweiz ganz gewiss keine grundlegend neue Stellung in der Familie der Nationen verleiht, ist zu einem Zeitpunkt erfolgt, da die Organisation sich in der eben erwähnten heiklen Situation befindet. Die durch die Partnerschaft für den Frieden erfolgte Annäherung an die NATO und die Bestrebungen gewisser Kreise zu einem NATO-Beitritt fallen in eine Epoche von Kontroversen. Das sogenannte strategische Ziel des EU-Beitritts wird anvisiert, während sich eben gerade diese EU in Turbulenzen befindet. Die Schweiz wird daher gut beraten sein, ruhig und für alle verfügbar zu bleiben und durch konstruktives eigenes Wohlverhalten einen Beitrag zu friedlichen Lösungen zu leisten. Wir sollten uns nicht von Entwicklungen, über deren Nachhaltigkeit keine Gewissheit besteht, allzu stark beeinflussen lassen und uns nicht von lange Bewährtem ohne triftige Gründe abwenden. Gleiches gilt für das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten. Es wird nicht einfach sein, auf Distanz zu gehen, wenn es zu einem an sich vielleicht doch vermeidbaren Krieg im Mittleren Osten kommen sollte. Auch hier gilt es, Bewährtes nicht über Bord zu werfen und die Qualität der Beziehungen nicht ohne Not zu beeinträchtigen. Gerade nach der Auseinandersetzung wegen der «Schatten des Zweiten Weltkrieges» und des damit verbundenen gegenseitigen Verlustes an Sympathie und Vertrauen sollte man der Gefahr, von der legitimen Kritik am Säbelrasseln der Bush-Administration in einen destruktiven Antiamerikanismus abzugleiten, entschieden begegnen.
Für Amerika und die Welt darf man nur hoffen, dass die Demokratie in den Vereinigten Staaten nicht verloren geht. Denn die Funktion der vorbildlichen leuchtenden Demokratie ist wesentlich wichtiger als die möglicherweise weniger dauerhafte Rolle des politisch-militärischen Hegemons. Und in der Verpflichtung auf die Wertordnung einer freiheitlichen, pluralistischen, föderalistischen, republikanischen Demokratie bleibt die Schweiz Amerikas Schwesterrepublik.
Leicht gekürzte Fassung des Referats von Dr. Carlo Jagmetti am Liberalen Institut vom 4. März 2003.