Immer mehr Intellektuelle und Politiker hegen grundsätzliches Misstrauen gegenüber internationalen Organisationen und der bestehenden globalen Ordnung. In der Tat hat etwa die WHO in der aktuellen Krise eine schlechte Falle gemacht. Ausserdem haben zahlreiche internationale Organisationen wie der Internationale Währungsfonds (IWF) und die UN-Wirtschaftskommission für Europa (UNECE) hinsichtlich ihrer ursprünglichen Funktionen längst ausgedient.
Liberale sollten sich der Grundsatzkritik gegen internationale Organisationen trotzdem nicht anschliessen, welche bezweckt, bestehende Organisationen, Verträge und Bündnisse abzuschaffen. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass die gegenwärtige internationale Ordnung, die von den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet wurde, mit der friedlichsten, wohlhabendsten und wirtschaftlich offensten Periode der Weltgeschichte zusammenfiel.
Als sich das Lippmann-Kolloquium, eine Gruppe klassischer Liberaler, im August 1938 in Paris versammelte, sahen seine Teilnehmer die Zerstörung durch die uneingeschränkte nationale Souveränität kommen. Ohne gemeinsame, durchsetzbare Regeln hielt die Nationalstaaten nichts davon ab, eine destruktive protektionistische und militaristische Politik zu betreiben. Infolgedessen wurden die Teilnehmer — darunter Friedrich August von Hayek, Ludwig von Mises und Wilhelm Röpke — zu lautstarken Befürwortern des internationalen Föderalismus. Dieser ist ein intellektuelles Projekt, das darauf abzielt, den Nationalstaat durch eine teilweise politische Integration zu zähmen, ohne damit eine Weltregierung zu schaffen. Trotz all ihrer Mängel entspricht die heutige Realität weit mehr der eingeschränkten klassisch-liberalen Vision des internationalen Föderalismus als den grossen Plänen derer, die auf eine Weltregierung gehofft haben.
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