Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa – einst ein überzeugter Anhänger des Kommunismus, der die kubanische Revolution durch Fidel Castro und Che Guevara euphorisch bejubelte – reiste eines Tages in die damalige Sowjetunion. Er wollte sich vor Ort ein eigenes Bild machen über den dort angeblich stattfindenden Fortschritt und die ideale Gesellschaft, die sich die Linke weltweit zum Vorbild genommen hatte.
Was er da zu Gesicht bekam, schockierte ihn: Er traf auf grosse Armut, Alkoholismus und Ungleichheit. Dort ansässige Bürger fragte er desillusioniert, wer von ihnen denn in diesem „sozialistischen Paradies“ am meisten Privilegien geniesse. Zur Antwort bekam er: die unterwürfigen Schriftsteller. Im Gegensatz zu den regierungskritischen Künstlern, die oftmals zur Umerziehung in Gulags gesteckt wurden, stünden regierungstreue Schriftsteller über dem gemeinen Volk. Diese bekämen Sonderprivilegien ohne Ende, wie etwa eine Datscha und ein Visum für Auslandsreisen.
Vargas Llosa dämmerte es in diesem Moment. Er verstand, weshalb die im Ausland bekannten Künstler der Sowjetunion ihr unmenschliches System anhimmelten: Sie taten dies aus feigen, egoistischen Motiven. Denn eine solche Huldigung der verbrecherischen Staatsmacht half ihnen dabei, ihren eigenen Status zu erhöhen.
Kulturschaffende in Sippenhaft
Nein, die Industrieländer sind nicht die Sowjetunion. Und trotzdem hat sich mittlerweile hier ein System breitgemacht, in dem sich der Staat zunehmend in Kulturangelegenheiten einmischt. Man hat die Künstler sozusagen in Sippenhaft genommen und sie finanziell zu einem nicht unbedeutenden Teil von der Politik abhängig gemacht. Viele Künstler beziehen heute Kultursubventionen des Staates, was es unwahrscheinlicher macht, dass sie gegenüber der Staatsmacht eine kritische Einstellung äussern.
Natürlich geht es nicht bei jeder Art von Kunst um politische Botschaften. Doch dort, wo politische Äusserungen kunstvoll verpackt werden, fallen sie oftmals auffällig einseitig und zuungunsten einer liberalen, marktwirtschaftlichen Politik aus.
Unterschätzte private Kulturausgaben
Die Behauptung, es gäbe ohne staatliche Finanzierung keine Kultur, ist realitätsfremd. Die Motivation für kulturelles Engagement ist seit jeher die menschliche Kreativität und Schaffenskraft und ist Ausdruck privaten Handelns. Sie entstammt der Eigeninitiative und der Leidenschaft verschiedenster Individuen mit unterschiedlichsten Hintergründen und Interessen.
In den Jahren 2000 bis 2017 sind die öffentlichen Kulturausgaben von Bund, Kantonen und Gemeinden von 2,1 Milliarden Franken auf 2,9 Milliarden Franken um fast 40 Prozent gewachsen, während es die politischen Verantwortlichen gleichzeitig versäumt haben, rechtzeitig ausreichend Schutzmaterialien und Testkapazitäten für Krisensituationen wie Epidemien anzuschaffen. Dies wirft Fragen zur Prioritätensetzung der Politik und zum Umgang mit Steuergeldern auf.
Ein Vergleich zwischen öffentlichen und privaten Kulturausgaben zeigt zudem, dass die privaten Kulturausgaben ein wesentlich grösseres Gewicht haben als weitum angenommen. Eine offizielle Statistik des Bundesamts für Statistik zur Kulturfinanzierung weist alle Kulturausgaben aus, die vom Bund, von den Kantonen und den Gemeinden getätigt werden. Es vergleicht diese Staatsausgaben anschliessend mit den Kulturausgaben eines durchschnittlichen privaten Haushalts.
Die öffentliche Kulturfinanzierung betrug wie erwähnt im Jahr 2017 rund 2,9 Milliarden Franken. Auf den Bund entfielen rund 0,3 Milliarden Franken, auf die Kantone rund 1,1 Milliarden Franken und auf die Gemeinden rund 1,5 Milliarden Franken. In Prozent der gesamten Staatsausgaben (inklusive Sozialversicherungen) machte dies einen Anteil von 1,4 Prozent aus.
Im Gegensatz dazu betrugen die jährlichen Kulturausgaben aller privaten Haushalte im selben Jahr geschätzt rund 15,8 Milliarden Franken. Rund 13,5 Milliarden Franken davon entfielen auf Inhalte und Dienstleistungen wie beispielsweise audiovisuelle oder gedruckte Inhalte, Museen, Bibliotheken, Theater und Konzerte. Rund 2,2 Milliarden Franken davon wurden aufgewendet zur Anschaffung von Geräten und Gütern, wie etwa Abspiel- und Empfangsgeräte sowie Güter zur kreativen Betätigung.
Insgesamt tragen private Haushalte also über fünfmal mehr zur Kulturförderung bei, als es alle Staatsebenen zusammen tun.
Kultur ist Sache der Kultur
Je mehr Kulturförderung es gibt, desto mehr wird echte – freie und aus innerem Antrieb stammende – Kultur verdrängt. Eine Ausweitung der Kulturförderung bedingt, dass den Bürgern noch mehr Steuern aus der Tasche gezogen werden müssen. Dabei handelt es sich um Gelder, die den Menschen anschliessend nicht mehr zur Verfügung stehen, um frei gewählte Kultur und Kunst ihres Geschmacks zu unterstützen. Staatsnahe Kultur wächst damit unnatürlich auf Kosten der privaten Kultur und nährt dadurch das Klischee, dass es keine privatfinanzierte Kultur geben könne.
Kulturproduktion zu finanzieren, ist keine Staatsaufgabe, denn Kultur ist Geschmackssache. Sie sollte deshalb den Präferenzen der Individuen und nicht der Politik überlassen werden. Der freiheitliche Staat hat die Aufgabe, kulturelle Vielfalt zu ermöglichen, indem er die Meinungsäusserungsfreiheit schützt, den Wettbewerb zwischen Kulturschaffenden nicht gemäss dem persönlichen Geschmack der Staatsakteure verzerrt und indem er nicht direkt einzelne Projekte fördert – und dadurch andere benachteiligt. Er hat sich schlicht und einfach neutral zu verhalten.
Kultur kann denn auch problemlos ohne staatliche Fördergelder funktionieren. Kulturschaffende können sich – wie alle anderen Gewerbetreibenden auch, die Geld verdienen wollen – nach den Präferenzen der Bürger richten. Es darf keine zwangsweise erbeuteten Einkommen ohne wertgeschätzte Gegenleistungen geben. Auch das Mäzenatentum kann hier eine wesentliche Rolle spielen.
Der abwertende Hinweis auf die angeblich fehlende Kultiviertheit der Masse mag je nach Blickpunkt vielleicht zutreffen, ist jedoch keine ethische Rechtfertigung dafür, allen unter Verletzung elementarer Eigentumsrechte ihr hart verdientes Geld wegzunehmen, um Kultur zu finanzieren, die nur einer kleinen Minderheit gefällt. Damit würde der Staat Sonderinteressen zudienen und gleichzeitig jene bestrafen, welche die vom Staat geförderte Kunst nicht gutheissen oder geniessen. Ein solcher Staat würde also den hart erkämpften Errungenschaften der Aufklärung diametral widersprechen – nämlich, dass vor dem Gesetz alle gleich zu behandeln sind. Kultur ist Sache der Kulturschaffenden, der privaten Mäzenen und der Kulturkonsumenten.
Olivier Kessler
Dieser Beitrag ist im Buch 64 Klischees der Politik und auch in den Freiheitsfunken erschienen.