Menschlichkeit in einer Energiekrise

Olivier Kessler

Je besser sich jeder Einzelne auf eine Energiemangellage vorbereitet, desto humaner dürfte deren Bewältigung ausfallen.

Wenn sogar Politiker und grössere Medienhäuser im Fall der anstehenden Energiemangellage zur individuellen Krisenvorsorge mahnen, hat das nichts Gutes zu bedeuten. Es ist wohl selbst den für die aktuelle Misere verantwortlichen Politikern und von ihnen subventionierten Medien etwas mulmig zumute, wenn sie die Bevölkerung nun mental auf eine Energiekrise vorzubereiten versuchen. Denn sie wissen, was eine solche Krise für sie bedeutet, wenn es die Leute unvorbereitet trifft: nichts Gutes.

Wenn den Menschen und Unternehmen nämlich der Strom und das Gas ausgeht, wenn die Bürger zuhause frieren und ihre Kinder und Grosseltern evt. an Kälte sterben; wenn sie nicht mehr Lebensmittel einkaufen gehen können, weil sie kein Geld mehr am Bancomat abheben und nicht mehr mit elektronischen Zahlungsmitteln bezahlen können; wenn Züge, Busse, Trams und Elektroautos plötzlich stillstehen; wenn in Spitälern das Equipment nicht mehr funktioniert und Patienten in Scharen davonsterben; und wenn die Industrie und Nahrungsmittelproduktion zusammenbrechen, dann sind Chaos und Tumulte vorprogrammiert.

Viele Leidtragende werden sich vermutlich dann jene vorknöpfen wollen, die das Chaos und den Tod ihrer Liebsten zu verantworten haben: Unsere Politiker, die sich grünsozialistischen «Energiewende»-Träumerei hingegeben haben und sich für eine selbstmörderische Sanktionspolitik einspannen liessen. Aber auch die von ihnen subventionierten Journalisten, die diese Gefährdung unserer Energieversorgung breitwillig propagiert und jeden in Grund und Boden geschrieben haben, der an dieser Politik Zweifel geäussert hatte.

Eigenverantwortung ist König

Was dürfte konkret in einer anhaltenden Energiekrise passieren, die länger dauern könnte, als unsere Politiker es aktuell versprechen (mit angeblich lediglich regionalen vierstündigen Stromlockdowns)? Ganz besonders gravierend dürfte sein, dass jeder plötzlich für seine eigene Sicherheit zuständig würde. Denn die Sicherheitsorgane des Staates wie Polizei und Militär dürften in einer solchen Situation zu einem Grossteil handlungsunfähig werden: Das Personal schafft es aufgrund ausfallender Verkehrsmittel unter Umständen nicht einmal zu ihrem Einsatzort. Diverse Einsatzkräfte hätten in einer derartigen Situation persönlich zudem ganz andere Probleme und würden wohl eher zuhause bleiben, um sich selbst und ihre Familien vor plündernden Horden zu schützen, als auszurücken, um andere zu retten.

Wie gut wir als Gesellschaft eine solche Krise meistern, hängt einerseits von unseren ethischen Standards ab: Auch in einer Krise, wo es uns am Nötigsten wie Nahrungsmittel, Sicherheit und medizinischer Versorgung fehlen könnte, gilt es, die Menschlichkeit hochzuhalten. Liberale Werte wie der Schutz der menschlichen Würde, des Lebens und Eigentums sind gerade auch in einer solchen Ausnahmesituation entscheidend, um die Grundlagen des Zusammenlebens nicht dauerhaft zu ruinieren. Es ist auch in einer Krise sinnvoll, andere als mögliche Kooperationspartner statt ausschliesslich als Feinde zu betrachten. So könnte der eine z.B. Brennholz zum Heizen und Kochen beschaffen, der andere bereitet Nahrungsmittel zu, nochmals ein anderer ist um die Sicherheit im Quartier besorgt, jemand betreut die schwächeren Gemeinschaftsmitglieder etc.).

Nachholbedarf bei der Krisenvorsorge

Andererseits ist eine eigenverantwortliche und möglichst umfangreiche Krisenvorsorge das A und O. Und hierzu ist Handeln im Hier und Jetzt gefragt. Doch genau hier haben wir grossen Nachholbedarf, wenn wir aktuellen Meldungen Glauben schenken: Nach einer Umfrage vom August 2022 auf dem Portal von 20 Minuten, an der über 30'000 Personen teilgenommen haben, hat mehr als ein Drittel der Abstimmenden überhaupt keinen Notvorrat, während 32 Prozent angaben, nur Nahrungsmittel für ein paar Tage zu besitzen. Lediglich 7 Prozent gaben an, gut vorbereitet zu sein. 24 Prozent enthielten sich einer Antwort.

Nach einer weiteren Umfrage von 20 Minuten mit über 25'000 Teilnehmenden, wie man sich auf eine Strommangellage vorbereite, meinten 29 Prozent, dass sie dann halt einfach etwas Strom sparen würden, 21 Prozent schieben das Thema sorgenvoll vor sich her ohne zu handeln, und 36 Prozent meinten, dass sie zuversichtlich seien, dass die Mangellage nicht eintreten werde. Nur 14 Prozent gaben sich als ausreichend gewappnet aus.

Nach ein paar Tagen Ausnahmezustand hätten wir es also mit einer grossen Mehrheit der Bevölkerung zu tun, die — getrieben von ihrem Überlebensinstinkt — zu allem bereit sein dürfte, um an die benötigten Güter zu gelangen, weil sie es verschlafen hat, rechtzeitig vorzukehren.

Überzeugungsarbeit ist gefordert

Dürfen wir mit solchen nachlässigen Personen in einer Krise Mitleid haben, obwohl sie es besser hätten Wissen müssen? Ja, denn ihre psychologischen Barrieren hielten sie vermutlich davon ab, sich solche Horrorszenarios vor ihrem geistigen Auge durchzuspielen und sich entsprechend vorzubereiten. Noch besser ist es aber, wenn die aufmerksame Minderheit es nach dem Prinzip «better save than sorry» schafft, möglichst viele Personen davon zu überzeugen, entsprechend doch noch vorzukehren. Hier ist nun Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit gefragt.

Die Ausrede, dass man sich einen Notvorrat nicht leisten und man deshalb nicht vorsorge könne, kann man zumindest in der Schweiz nur in Ausnahmefällen gelten lassen, denn was gibt es Wichtigeres, als das Überleben von sich und seinen Liebsten sicherzustellen, ohne andere Menschen dafür überfallen zu müssen? Wer solche Ausreden von sich gibt, sollte sich ernsthaft fragen, ob er seine Prioritäten richtig gesetzt hat.

Mittelfristig ist unsere Hausaufgabe auch, uns von Luftschlössern zu lösen und Politikern und Vorlagen die Gefolgschaft zu verweigern, die die möglicherweise kommende Notlage zu verantworten haben. Es gilt aus liberaler Sicht, das erhebliche Staatsversagen im Energiesektor zu beheben, indem man der unfähigen Politik diese Geschäfte weitestgehend entzieht und die Energieversorgung wieder auf ein tragfähiges Fundament stellt. Es ist zu prüfen, ob man die Energieversorgung nicht in die Hände von privaten Organisationen legen sollte, die für ihr Tun auch zur Verantwortung gezogen werden können, weil sie haftbar sind (anstatt sich hinter einer Politiker-Immunität zu verstecken).

Ich möchte mit diesem Beitrag nicht den Teufel an die Wand malen und will oben geschilderte «worst case» Szenarien nicht als Prophezeiung verstanden wissen. Wie schlimm es tatsächlich kommt, hängt von diversen Faktoren ab, die aktuell noch unklar sind: Eben auch von einer seriösen Krisenvorsorge. Es geht vielmehr um das Schaffen eines Bewusstseins für die Möglichkeit, dass sich die Situation drastisch verschlimmern könnte — und darum aufzuzeigen, dass die Menschlichkeit auch in solchen Notlagen aufrechterhalten werden kann, wenn wir nur wollen.


Olivier Kessler ist Direktor des Liberalen Instituts in Zürich.

September 2022

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