Warum der moderne Staat zur Überregulierung neigt

Die Zahl neuer Gesetze steigt und steigt. Warum kommt es zu dieser Flut an Regulierungen, und was könnte man dagegen tun? Eine Publikation des Liberalen Instituts liefert anregende Antworten.

Der Staat bemächtigt sich immer mehr solcher Aufgaben, von denen er eigentlich getrost die Finger lassen könnte. Resultat ist eine Flut von Gesetzen, welche die Freiheit des Einzelnen einengen, ohne dass hierzu eine erkennbare Not bestünde. Diesem Phänomen eines oft kafkaesk wirkenden Formalismus hat das Liberale Institut ein schlankes Buch gewidmet. Die Autoren — Ökonomen, Juristen, Philosophen — verbindet nicht nur ihre Kritik an einem «Nanny-State», der seine Bürger behandelt wie Kleinkinder, die einer straffen Erziehung bedürfen. Es eint sie auch die Neugier, wie die Basis solchen Verhaltens, nämlich ein zutiefst antiaufklärerisches Menschenbild, überhaupt entstehen kann.

Der Leser erfährt viel Hintergründiges zur Feinmechanik der Bürokratie. Den theoretischen Rahmen dazu liefern verschiedene liberale Denkschulen, etwa die Neue Politische Ökonomie. Letztere betont die Eigeninteressen der Verwaltungsbeamten und zeigt, warum Behörden und Bürokraten keinerlei Interesse daran haben, ein Problem, zu dessen Lösung sie beauftragt worden sind, auch tatsächlich zu lösen. Lösten sie es nämlich, würden sie überflüssig. Daher gilt: Probleme, nicht Lösungen bilden die Grundlage bürokratischer Macht.

Das flüssig zu lesende Büchlein verliert sich nicht in blossen Ursachenanalysen der Interventionitis. Gezeigt wird auch, wie man diesem Übel zu Leibe rücken könnte. Die Liste der Vorschläge ist lang. Gemeinsam ist den vielen Ideen das Motto «Mut zur Lücke»: Nicht jede technische Neuerung muss in ein regulatorisches Korsett gepresst werden, nicht jeder skandalöse Einzelfall verlangt nach einem Gesetz, um Ähnliches — und noch viel mehr — in Zukunft zu verhindern. Oft fehlt dieser Mut. Offenbar ist der Horror Vacui unter Gesetzgebern weit ausgeprägter als ihr Skrupel gegenüber einer Entmündigung des Bürgers.

Thomas Fuster, Neue Zürcher Zeitung

26. Dezember 2018