Tendenziöse Armutsmessung
Eine neue Studie des Liberalen Instituts zeigt auf, wie mit Armutsdefinitionen eine Politik der Gleichmacherei und der Umverteilung propagiert wird. Der Weg aus der Armut führt aber nicht über mehr Staat, sondern über freie Märkte. Mit einer freimarktwirtschaftlichen Politik ist gerade den Bedürftigen am meisten gedient.
Laut Bundesamt für Statistik leben heute acht Prozent der schweizerischen Bevölkerung in Armut. Als arm gelten Alleinstehende mit unter 2200 Franken Monatseinkommen oder Paare mit zwei Kindern mit monatlich unter 4050 Franken. Nach einer anderen offiziellen Armutsdefinition, die sich an der materiellen Entbehrung bemisst, liegt die Armutsquote in der Schweiz jedoch nur bei 0,8 Prozent (EU-Durchschnitt: 9,9%). Das Beispiel zeigt, wie die Armutsquote je nach Definition schwanken kann.
Es gibt Lebensumstände, unter denen Armut leichter oder schwerer zu ertragen ist. So kommen Studenten gewöhnlich mit wenig materiellem Reichtum aus. Unter ihresgleichen ist dies die Norm, und sie eignen sich gerade Fähigkeiten an, die ihnen einen guten Berufsstart und Entwicklungschancen ermöglichen. Umgekehrt verlieren bei einer Scheidung beide Teile häufig Vermögen und weiteren Lebenskomfort.
Neben objektiven und subjektiven Definitionen gibt es ferner eine relative Armutsdefinition, welche die Abweichung eines Einkommens vom landesweiten Durchschnitt misst. Genau genommen wird damit jedoch nicht Armut, sondern Einkommensungleichheit gemessen, was ein anderes Paar Stiefel ist.
Einschätzung gängiger Armutsdefinitionen
Objektive Armut
- Armutsschwelle: Erschwinglichkeit eines Lebensmittelkorbes
- Stärken: Armut ist bildlich erfassbar; Erhöhung der Einkommen verringert „Armutsquote“
- Schwäche: Zusammensetzung des Korbes ist umstritten
Relative Armut
- Armutsschwelle: 60% (z.B.) des durchschnittlichen Einkommens
- Stärke: keine
- Schwäche: Etikettenschwindel (nicht Armut, sondern Ungleichheit der Einkommensverteilung wird gemessen); Armutsstatus ist grundsätzlich vom Einkommen unabhängig; Erhöhung der unteren Einkommen verringert nicht unbedingt „Armutsquote“
„Absolute“ Armut
- Relative Armutsschwelle eines zurückliegenden Jahres wird in den folgenden Jahren festgehalten
- Stärke: Erhöhung der unteren Einkommen kann „Armutsquote“ verringern
- Schwäche: Etikettenschwindel (nicht Armut, sondern Ungleichheit der Einkommensverteilung wird gemessen)
Subjektive Armut
- Armutsschwelle: Persönliches Gefühl von Armut
- Stärke: keine
- Schwäche: Armutsstatus ist grundsätzlich vom Einkommen unabhängig; Erhöhung des Einkommens verringert nicht unbedingt „Armutsquote“
In der Studie des Liberalen Instituts zeichnet der Ökonom Kristian Niemietz die Geschichte der Armutsmessung nach. Diese beginnt im späten 19. Jahrhundert. Mit dem „Budget Standard Approach“ legten die Briten Charles Booth und Benjamin Rowntree Lebensmittelkörbe fest, die so zusammengesetzt waren, dass sie ein Überleben mit ausreichender und gesunder Ernährung gewährleisteten. Als arm galt, wer sich den Korb nicht leisten konnte.
Es fällt auf, dass die Armutsmessung mit der industriellen Revolution, der Zurückdrängung des Staates aus der Güterproduktion und der Einführung freier Märkte eingesetzt hat. Heute ist uns dieser Zeitabschnitt als einer von besonderer Armut in Erinnerung — denken wir etwa an Charles Dickens' Romane. Das Besondere an jener Zeit war aber, dass die massenhafte Beseitigung von Armut öffentlich ins Blickfeld gerückt war. Erst der Rückzug eines Staates, der vor allem Privilegien für Interessengruppen sicherte, und freier Handel in offenen Märkten ermöglichten überhaupt die reichliche Versorgung eines ganzen Volkes mit Gütern.
Lösungen gegen Armut
Entgegen verbreiteter Meinung stellt sozialstaatliche Umverteilung keine wirksame Armutsbekämpfung dar. Da Armut nur durch individuelles Gedeihen dauerhaft beseitigt werden kann, soll der Ansporn zum Arbeiten und Sparen nicht geschwächt werden. Fehlanreize für die Empfänger staatlicher Hilfe und die Steuerzahler bewirkt aber gerade Umverteilung.
Aufgrund historischer Erfahrung mit der Beseitigung von Massenarmut lautet die Empfehlung des Autors vielmehr Liberalisierung, sei es in der Landwirtschaft, der Energiepolitik oder der Raumplanung. In diesen Bereichen beobachten wir heute verzerrende politische Interventionen und Anstrengungen zu einer stärkeren Regulierung. Die Folge daraus sind massiv überhöhte und steigende Preise für Grundbedürfnisse wie Nahrungsmittel, Energie und Wohnen, unter denen gerade die am wenigsten Wohlhabenden leiden.
Zur Publikation: Kristian Niemietz (Autor) und Beat Kappeler (Nachwort), Die Mär von der Armut, 28 Seiten, September 2015.
3. September 2015