Viele haben es noch nicht realisiert; es geht heute nicht mehr um links gegen rechts, oben gegen unten oder reich gegen arm. Heute geht es um Tyrannei oder Freiheit. Am Ende dieser Bewusstseinsentwicklung, werden sich nur noch zwei Lager der Tyrannei entgegenstellen; die klassisch Liberalen und die Libertären.
Deshalb ist es wichtig, dass die Auseinandersetzung zwischen klassisch Liberalen und Libertären stattfindet, deren Vertreter durchaus gegenseitige Sympathien empfinden, sich aber nicht ganz koscher sind. Während viele klassisch Liberale die Libertären gerne als überdrehte Freiheits-Rowdies sehen, geben sich die Anarchisten gern intellektuell fortgeschritten: Der Unterschied zwischen einem klassisch Liberalen und einem Libertären bestehe in zwanzig Minuten angestrengtem Nachdenken, lautet ein geflügeltes Wort jener, die öffentliches Recht als illegitim erkennen.
Ordo gegen Anarcho — geschüttelt oder gerührt?
Beide Lager dürfen sich auf grosse Denker berufen, deren Spektrum sich ungefähr vom ordoliberalen Friedrich August von Hayek zum anarchokapitalistischen Murray Rothbard erstreckt, mit vielen Denkern, die sich entlang dieser Skala finden, wie Ludwig von Mises oder Ayn Rand.
Aktuell liefert Christian Hugo Hoffmann mit einem LI-Paper mit dem Titel «Der Weg zu mehr Pragmatismus» einen Beitrag zu dieser wichtigen Debatte. Es ist ein Plädoyer gegen die «reine Form des Liberalismus», namentlich gegen die Privatrechtsgesellschaft. Diese kämpfe mit theoretischen und praktischen Schwierigkeiten und tauge deshalb nicht als «makelloses Ideal».
Als Anarchist habe ich gegen diese Schlussfolgerung gar nichts einzuwenden. Ich kenne persönlich keinen Libertären, der behaupten würde, dass der Verzicht auf initiierende Gewalt — und nichts anderes bedeutet für mich «Anarchie» —, alle Probleme aus der Welt schaffen würde. Wohl unbewusst führt Hoffmann weitere Strohmann-Argumente ins Feld wie jene, wonach sich Fragen nach der Haftung mit dem Konstrukt der «kombinierten Wirkung» lösen liessen. Solche Ideen werden nicht von Anarchisten, sondern aus Kreisen der Globalisierungsgegner propagiert, die mit diesem Argument die Konzernverantwortungsinitiative an die Urne brachten. Denn nicht die Komplexität der gesellschaftlichen Vorgänge lehnen Libertäre ab, sondern den Glauben daran, dass Zwang — die Androhung und Anwendung von Gewalt — gegen friedliche Menschen zur Auflösung dieser Komplexität taugt.
Der Himmel muss warten
Hoffmanns Plädoyer krankt aber vor allem an einer anderen Schwäche: Es ist sein Vorwurf an die Adresse des Libertarismus, dass dieser nicht alle Probleme dieser Welt lösen könne. Es ist auch dies ein Strohmann-Argument, da mir kaum ein Anarchist bekannt ist, der eine solche unhaltbare Behauptung aufstellen würde. Im Gegenteil: Anarchisten betonen immer wieder, dass die Anarchie keineswegs den Himmel auf Erden verspricht, sondern lediglich bessere Voraussetzungen bietet für ein friedliches Miteinander von Menschen, die bedauerlicherweise zu grosser Gefährlichkeit gegen ihresgleichen und andere Lebewesen fähig sind.
Es gereicht Hoffmann zur Ehre, dass er Tierrechte prominent als Rechtsproblem in seinem Paper aufführt. Auch unter Libertären wird kontrovers diskutiert, ob das Nichtaggressionsprinzip (NAP) auch auf Tiere angewandt werden muss. So veranstaltete vor einigen Wochen die Libertäre Partei eine Diskussion zu diesem Thema. Für die Nichtaggression gegen Tiere sprach sich der Libertäre Marco Schläpfer aus. Dagegen sprach Sandro Frei — ein Jungfreisinniger.
Für eine natürliche Ordnung
Auch Hoffmanns weitere Argumente wie die Schwierigkeiten bei der Durchsetzung von Eigentumsrechten in einer Privatrechtsgesellschaft blenden aus, dass diese Probleme auch in den verschiedenen Staatsformen nicht gelöst werden können, ja sie sich dort sogar noch verschärfen. Im Gegensatz zum klassischen Liberalismus schafft die Privatrechtsgesellschaft aber keine zusätzlichen Probleme. Der klassische Liberale erkennt das Problem der Staatsausweitung und erklärt die Demokratie zur Lösung dieses Problems. Doch das Scheitern dieser Lösung wird uns seit Jahrhunderten aufs Neue vor Augen geführt, auch bei uns in der Schweiz und selbstverständlich nicht erst seit rund drei Jahren. Die unsäglichen und vorhersehbar untauglichen Pandemiemassnahmen finden ihre umverteilende und unfreiheitliche Fortsetzung in Klimapolitik und LGBTQ-Unfug. Die Demokratie scheitert auch bei uns gerade krachend an der ihr von klassisch liberaler Seite zugedachten Wächterfunktion gegen die Ausweitung des Staates.
Libertarismus ist keine Ideologie, sondern das exakte Gegenteil dessen; er ist die natürliche Auseinandersetzung im gesellschaftlichen Leben. Der Irrweg, der sich seit der Gründung der ersten Staaten leider global durchgesetzt hat und von den «Sozialisten aller Parteien» täglich zementiert wird, lässt sich mit klassisch liberalen Ansätzen nicht korrigieren, weil auch diese auf derselben Ideologie basieren. Leider werden wir den Irrweg wohl noch viele Jahre weiter gehen müssen und die unzähligen Verbrechen der vergangenen Jahrtausende — die allesamt auf der Missachtung des Naturrechts basierten — wiederholen müssen, bevor sich die Menschen vom Götzen «Staat» lösen können. Die letzte Auseinandersetzung auf dem Weg dorthin, ist jene zwischen den klassisch Liberalen und den Libertären.
Michael Bubendorf ist Unternehmer, Aktivist und Redaktor bei der Zeitschrift «Die Freien».