Es ist ein unheiliges Erbe, das wir über Generationen „treu und dumm“ verwalten: die Verflechtung von Staat und Wirtschaft. Auf der institutionellen Ebene spricht man von „Korporatismus“, auf der persönlichen Ebene von „Filz“ und für die schädlichste Form auf der materiellen Ebene der Finanzströme wie Steuern, Subventionen und andere Interventionen, ist die Verflechtung so selbstverständlich, dass es dafür nicht einmal einen Namen gibt.
Es könnte durchaus Sinn machen, zwei Handlungsebenen zu verflechten, nämlich dann, wenn sie im Endzustand zu einer einzigen verschmelzen sollen. Im Falle von Wirtschaft und Staat darf dies aber nicht das Ziel sein. Es geht hier um autonome Handlungsfelder, die unterschiedlichen Prinzipien folgen und nur in ihrer Eigenständigkeit und jeweiligen Funktionstüchtigkeit positiv aufeinander wirken können.
Der Staat basiert im wesentlichen und zu Recht auf dem Gewaltmonopol, die Wirtschaft auf dem Prinzip des Wettbewerbs. Die Verflechtung dieser nicht kompatiblen Prinzipien kontaminiert beide. Einerseits können sich beispielsweise Unternehmen Monopolrenten sichern, die ihren Untergang hinauszögern, anderseits kann der Staat dank den Steuererträgen aus einer erfolgreichen Wirtschaft Aufgaben übernehmen, die nicht zu seinen Pflichtmonopolen gehören und ihn daher gar nichts angehen.
Der durch die unheilige Verflechtung von Staat und Wirtschaft entstehende Schaden äussert sich in markanten Freiheits- und Wohlstandsverlusten. Die Wirtschaft verursacht und trägt dabei den kleineren Teil: Die Kraft des Wettbewerbs zwingt die nicht erfolgreichen Akteure zu Restrukturierungen und lässt sie bei andauerndem Misserfolg vom Handlungsfeld verschwinden. Mit Monopolrenten „gesegnete“ Akteure bekommen in der Regel früher oder später die Rechnung für den Teufelskreis ihres korporatistischen Lobbyierens präsentiert und müssen sie selbst bezahlen.
Der Schaden ist beim Staat am grössten
Beim Staat fehlen diese fundamentalen Korrekturmechanismen. Wenn idealerweise die Bereitschaft für eine Rückbesinnung auf die Kernaufgaben des Staates bei der „classe politique“ vorhanden wäre, könnten stringent liberale Verfassungen mit der ernsten Verpflichtung, die Freiheit des Einzelnen zu schützen, ein wirksames Gegengewicht zu den Versuchungen der Monopolmacht bilden. Davon sind wir aber weit entfernt. Es fehlt schon am Problembewusstsein, dass die „systemischen“ Korrektur- oder Disziplinierungsmechanismen untauglich oder ungenügend seien — die Folgen sind verheerend:
Die Ressourcen der öffentlichen Hand werden immer stärker für die Entwicklung und später vor allem für die Aufrechterhaltung kollektiver Sicherungssysteme eingesetzt. Demographische, ökonomische und technische Veränderungen fordern in immer kürzeren Zyklen immer höhere Anpassungsleistungen. Was als „soziale Errungenschaft“ verkauft wird, ist de facto ein von Existenzängsten oder von politischem Demokratieopportunismus durchsetzter Forderungskatalog. Die Freiheit des Individuums wird der Kultivierung des Misstrauensprinzips geopfert. Die Politik stürzt sich geradezu auf unerfreuliche Vorfälle in der Rubrik „Unfälle und Verbrechen“ und aufgrund der naiven “Nie-mehr-wieder-Haltung“ reagiert sie durch den Erlass von zusätzlichen Gesetzen und Verordnungen. Mit der wachsenden Flut von Regelungen wird nicht nur die Freiheit torpediert, sondern auch die ursprüngliche Kernkompetenz des Staates, die Rechtsstaatlichkeit geschwächt. Die Unübersichtlichkeit und Widersprüchlichkeit des Rechts nimmt zu. Die Wahrscheinlichkeit, dass Einzelpersonen oder Interessengruppen eine Norm finden, die ihnen zumindest die Illusion vermittelt, unter einem Rechtstitel etwas einfordern zu können, steigt, und damit wächst auch die Zahl der zu behandelnden Streitfälle. Die Justiz ist permanent überfordert und kann innert angemessener Frist keine Urteile mehr fällen.
Grossen Schaden stiftet auch die finanzwirtschaftliche Verflechtung von Wirtschaft und Staat. Die Steuern als staatliche Haupteinnahmequellen werden in erster Linie aufgrund der wirtschaftlichen Kraft des Steuersubjektes erhoben und nicht nach Massgabe des Bedarfs, der in einem, sich selbst beschränkenden Staat tatsächlich vorhandenen wäre. In wirtschaftlichen Boomjahren fallen die Steuereinnahmen besonders üppig aus, was dann prompt als Normalzustand bewertet wird. Noch keinem Staat ist das Kunststück gelungen, eine konjunkturell antizyklische Wirtschafts- und Finanzpolitik zu betreiben. Die Erfolge der Marktwirtschaft haben dem Staat bei guter Konjunktur grosse Steuereinnahmen gebracht, die dann sofort zur Aufblähung des Apparats eingesetzt wurden. In konjunkturell schwächeren Jahren, ist dieses Staatswachstum nicht etwa gedrosselt worden, man hat es durch zusätzliche Verschuldung noch angeheizt. Es bestehen nur schwache systemimmanente Kontrollmechanismen, die die Übernahme neuer Aufgaben durch die öffentliche Hand verhindern können. Nach aussen beklagend, insgeheim aber willig, werden laufend neue Aufgaben übernommen, unter dem Vorwand einer mehrheitlich anonym bleibenden Anspruchshaltung. Ein Ende ist nicht absehbar.
Die Vielzahl der unheiligen Allianzen trübt den Blick auf den tatsächlich unerfreulichen Zustand des Staates, der zum Teil neurotische Züge annimmt. Die Vertreter der öffentlichen Hand sind in der Regel davon überzeugt, dass sie das Gemeinwohl fördern und weisen den Vorwurf einer zunehmenden ökonomischen und psychologischen Schadensstiftung weit von sich. Ohne dass dies den Beteiligten bewusst wird, sind viele staatlichen Freiheitsschützer zu Freiheitsfeinden geworden, die auch vor subtilen Formen der Kriminalisierung der Bürger nicht zurückschrecken.
Der zu grosse Staat, der mittlerweile in nahezu alle Sphären des Lebens eingreift bzw. diese mitbestimmt, ist zum Hauptproblem der Gegenwart geworden. Es gibt kaum Anzeichen, dass diesbezüglich ein Richtungswechsel bevorsteht.
Und die liberalen Reformen?
Liberale Reformer sind mit der Schwierigkeit konfrontiert, dass die Umsetzung ihres Gedankenguts nur erfolgreich sein kann, wenn es mit einer radikalen Konsequenz vertreten wird. Die Notwendigkeit einer konsistenten ordnungspolitischen Haltung steht gerade in der Schweiz in einem markanten Widerspruch zur Kompromisskultur der Politik. Die positiven Auswirkungen liberaler Vorstösse werden im politischen Aushandlungsprozedere derart abgeschwächt, dass die Liste liberaler Reformen, die einen sichtbaren Nutzen für das Gemeinwohl gebracht haben, erstaunlich klein ist.
Aus diesem Grund wäre es an der Zeit, das mehr oder weniger programmlose Konkordanz- und Kollegialprinzip durch eine Regierung mit einem klaren Programm, das nicht immer wieder durch korporatistische Strukturen ausgehebelt wird abzulösen.
Der Korporatismus ist eine tief verwurzelte Komponente der Schweizer Mentalität. Er ist darum so verführerisch, weil er den Akteuren das Gefühl von Macht verleiht. Tatsächlich kommt aber darin ein Mangel an Vertrauen zum Ausdruck, dass sich auch im Wettbewerb der Ideen schliesslich die besten durchsetzen. Da es auch unter Staaten einen Wettbewerb gibt und unsere Konkurrenz in den Nachbarländern den finanz- und wirtschaftspolitischen Schlendrian noch weitertreiben als wir, besteht leider kein unmittelbar wirksamer politischer Wettbewerbsdruck zu Veränderungen und zu einem Abschied vom Korporatismus.
Die Trennung von Wirtschaft und Staat setzt auf der Ebene des Individuums Merkmale wie Persönlichkeit, Bereitschaft zur (vorerst) einseitigen Investition von Vertrauen, Mut, Zivilcourage und kurzfristigen Selbstbeschränkung voraus. Die Reform beginnt bei uns selbst. Jeder für sich kann jenen Wandel praktizieren und verkörpern, den er sich letztlich für die ganze Welt wünscht.
Dr. oec. Daniel Model ist Präsident und Delegierter des Verwaltungsrates der Model Holding AG.