Zur Zeit steht in unserem Land eine grundlegende Reform der Aufgabenteilung und des Finanz- und Lastenausgleichs zur Debatte. Für den finanzpolitischen Laien ist es ausserordentlich schwierig, sich eine Meinung zu bilden, ob die Vor- oder die Nachteile der hoch komplexen Vorlage überwiegen. Unbestritten ist, dass das heutige System «versumpft» ist und ein Flickwerk von Improvisationen und interessenpolitischen Zufälligkeiten widerspiegelt. Eine Reform, welche die Übersichtlichkeit verbessert und das System — sofern es denn eines ist — «verwesentlicht», ist daher zu begrüssen. Ob man darin gleich schon eine Revitalisierung des Föderalismus sehen will, bleibt sehr fraglich. Auffallend ist, wie selbst überzeugte Föderalisten und überzeugte Liberale in der Umverteilung öffentlicher Mittel via Finanzausgleich grundsätzlich etwas Positives sehen, wie wenn die unter Individuen verpönte Gleichmacherei (nach dem Prinzip: «Dem einen zwangsweise etwas wegnehmen, um es dem andern geben zu können») unter Gebietskörperschaften plötzlich zu etwas Positivem würde. Zwangsweise Gleichmacherei ist unter allen Umständen ein Übel. Man kann die schwachen Individuen nie nachhaltig stärken indem man die starken Individuen schwächt. Aber schwächt es die Starken, wenn man sie zwecks Umverteilung massiv besteuert? Ich meine, sie «verkraften» es, wenn die Belastung nicht exzessiv wird, recht gut. Problematischer ist die Umverteilung, was die wenigsten sehen wollen, auf der Empfängerseite, wo sie den Leistungswillen lähmt und die Selbstverantwortung in Frage stellt, letztlich die Mündigkeit in Frage stellt und den Bezug zur ökonomischen Realität (there ain’t no such thing as a free lunch) verschleiert. Hilfe via staatliche und zwangsweise Umverteilung als Überbrückung einer Notlage mag noch angehen, aber Hilfe als Dauerzustand schafft letztlich schwer erträgliche Abhängigkeiten und korrumpiert alle Beteiligten und Betroffenen. Als Dauerzustand mutiert Umverteilung vom Guten, zum Gut-Gemeinten, bis zum unausrottbaren Übel. Soviel zur interpersonellen Umverteilung, in der viele, auch viele Liberale, das Geheimnis des sozialen Friedens und eines funktionierenden Gemeinwesens sehen. Ich sehe darin eher die Wurzel einer zunehmenden Staatsverdrossenheit und der allgemeinen Frustration. Die einen sind überzeugt, sie müssten zu viel geben, die andern sind überzeugt, sie bekämen zu wenig, und das Mehrheitsprinzip läuft erbarmungslos zu Ungunsten der besonders Fleissigen, Produktiven, die stets eine Minderheit bilden.
Zwangsweise Umverteilung verschärft das Problem
Doch nun zur intergebietskörperschaftlichen Umverteilung, zum sogenannten Finanz- und Lastenausgleich, wie die Bezeichnung der etatistisch-egalitaristischen Intervention in euphemistischer und populärer Schönfärberei lautet. Es ist mir unvergesslich, wie mir nach einem meiner Vorträge über Umverteilung — ausgerechnet an einem Seminar in Peking — (eine libertäre Philippika gegen die interpersonelle Umverteilung im oben kurz skizzierten Stil), Michael Walker, der Leiter des Fraser Instituts (ein kanadischer Free-Market-Think-tank) klar machte, dass die viel gescholtene interpersonelle Umverteilung von reichen zu armen Steuerzahlern letztlich für das Gesamtsystem viel unschädlicher sei als die Umverteilung unter verschiedenen Trägern der Steuerhoheit. Deren Schädlichkeit verhalte sich indirekt proportional zur politischen Popularität, die sie bei allen Parteien geniesse. Dadurch werde nämlich nicht primär die persönliche Leistungsbereitschaft beeinträchtigt, sondern die Transparenz und die Gesundheit der Staatsfinanzen. Ein korrumpiertes System wiege doch viel schwerer als ein paar Individuen, auf die materielle Güter von Staates wegen «ungerecht» verteilt bzw. umverteilt würden. Wer das unvernünftige Ausgabenverhalten bzw.. das Ungleichgewicht zwischen Einnahmen und Ausgaben von Gemeinden, Gliedstaaten und Staaten durch zwangsweise Umverteilung «heilen» möchte, fördere eben die eigentliche Krankheit. Ein vernünftiger Lastenausgleich müsse nicht durch die Umverteilung von Einnahmen erfolgen, sondern durch ein ökonomisch rationaleres System öffentlicher Einrichtungen, durch Privatisierung und durch eine konsequente Anwendung des Benutzer- und Verursacherprinzips. Wenn beispielsweise die Benutzer von teuren Verkehrsinfrastrukturen kostendeckend belastet würden, brauche es keine «Abgeltung» entsprechender «Sonderaufwendungen» mehr. Dieser Ausgleich für Sonderbeanspruchungen stand aber ursprünglich an der Wiege des eidgenössischen Finanz- und Lastenausgleichs.
Der Finanzausgleich setzt falsche An- und Abreize
Die liberale Warnung vor der interkommunalen, interkantonalen und internationalen gebietskörperschaftlichen Umverteilung hat mich seither nie mehr losgelassen. Das Setzen falscher An- und Abreize hat in der Finanzpolitik noch verheerendere Folgen als gegenüber Privathaushalten.
Der Erfolg des politischen Systems der Schweiz beruht nicht in erster Linie auf dem Prinzip der direkten Demokratie, sondern auf der Kombination von direkter Demokratie mit non-zentralen konkurrierenden Entscheidungs- und Besteuerungseinheiten, einem Prinzip, das allerdings hinter allen Verfälschungen nur noch schwer erkennbar ist. Die Kleinräumigkeit fördert an sich die Transparenz zwischen Staatsaufgaben und Staatsausgaben und Steuern, welche im lokalen Bereich durch die Identität von Infrastruktur-Benutzern, Steuerzahlern und Wählern immer wieder provoziert wird. Die politisch Verantwortlichen müssen sich der direkten Kontrolle durch ihre Bürgerschaft immer wieder stellen. Die direkte Demokratie kann zwar, kombiniert mit konkurrierenden Steuerhoheiten, die kontinuierliche Erhöhung der Staatsquote über längere Zeit bremsen, sie hat aber diesen Bremseffekt auch gegenüber Liberalisierungs- und Deregulierungsprogrammen und grundlegenden Finanzreformen, wenn die Fehler einmal gemacht worden sind. Die Kantonalisierung von Kosten und die Kommunalisierung von Nutzen (und analoge Prozesse auf höherer Ebene) sind zum beliebtesten politökonomischen Demokratiespiel geworden. Radikale wirtschaftsliberale Reformen beim Finanz- und Lastenausgleich sind im non-zentraldirektdemokratischen System des «Schwarz-Peter-Spielens» in der Schweiz sehr schwierig. Sie werden von der Koalition der Gegner aus verschiedensten Lagern und mit unterschiedlichsten Motiven gebremst und verhindert.