Singapur, ein kleiner Stadtstaat in Südostasien mit etwa 5,7 Millionen Einwohnern (Stand 2019), hat seit seiner Unabhängigkeit im Jahr 1965 eine bemerkenswerte wirtschaftliche Transformation erlebt. Von einem Schwellenland entwickelte es sich zu einer der wohlhabendsten Nationen der Welt. Diese beeindruckende Entwicklung wird häufig diskutiert und bewundert, wobei verschiedene Beobachter unterschiedliche Aspekte hervorheben. Ein zentraler Punkt ist jedoch, dass Singapurs Wohlstand nicht durch eine sozialistische Politik erreicht wurde, sondern durch eine einzigartige Mischung aus Meritokratie, Eigenverantwortung und gezielten Investitionsanreizen.
Historischer Hintergrund: Vom Kolonialhafen zur Globalen Metropole
Singapur wurde 1819 als britische Kolonie gegründet und entwickelte sich schnell zu einem wichtigen Handelszentrum in der Region, vor allem dank seiner strategischen Lage und einer Politik des Freihandels und der offenen Grenzen. Diese Prinzipien wurden von britischen Administratoren wie Sir Stamford Raffles eingeführt, der von den Ideen Adam Smiths inspiriert war.
Bereits vor der Unabhängigkeit verfügte Singapur über moderne Institutionen, eine funktionierende Rechtsstaatlichkeit und eine effiziente Verwaltung, die es dem Land ermöglichten, nach 1965 schnell zu wachsen. Die Übernahme des britischen Rechtssystems und der Verwaltung trug wesentlich zur Schaffung eines günstigen Geschäftsklimas bei.
Wirtschaftliche Öffnung und Investitionsfreundlichkeit
Nach der Unabhängigkeit stand Singapur vor der Herausforderung, ohne natürliche Ressourcen eine nachhaltige wirtschaftliche Grundlage zu schaffen. Die Regierung unter Lee Kuan Yew entschied sich für eine Strategie der wirtschaftlichen Öffnung und der Anziehung ausländischer Investitionen.
- Freihandel und Globalisierung: Singapur setzte konsequent auf Freihandel und wurde zu einem der offensten Volkswirtschaften der Welt. Das Handelsvolumen (Exporte plus Importe) entspricht regelmässig einem Vielfachen des BIP. Im Jahr 2020 betrug das Handelsvolumen beeindruckende 320,6 % des BIP.
- Anziehung ausländischer Direktinvestitionen (FDI): Durch attraktive Rahmenbedingungen und niedrige Unternehmenssteuern (mit einem Spitzensteuersatz von 17 %) zog Singapur erhebliche ausländische Investitionen an. Im Jahr 2019 beliefen sich die ausländischen Direktinvestitionen auf 1.912.272 Millionen Singapur-Dollar, was 374 % des BIP entspricht.
- Einfache Unternehmensgründung: Singapur rangiert regelmässig auf den vorderen Plätzen im „Ease of Doing Business Index“ der Weltbank. Die Bürokratie ist minimal, und die Registrierung eines Unternehmens kann innerhalb weniger Tage abgeschlossen werden.
Meritokratie und Bildung
Ein zentrales Element des singapurischen Modells ist die Betonung der Meritokratie. Unter Meritokratie versteht man, dass die gesellschaftliche Position – also Bildungsabschlüsse, Einkommen, Prestige usw. – von der persönlichen Leistung abhängen soll. Bildung wird daher als Schlüssel zum individuellen und nationalen Erfolg gesehen.
- Hochwertiges Bildungssystem: Singapurs Schüler erzielen regelmässig Spitzenplätze in internationalen Vergleichsstudien wie PISA und TIMSS. Das Bildungssystem legt Wert auf Mathematik, Naturwissenschaften und sprachliche Fähigkeiten, kombiniert mit kritischem Denken.
- Förderung von Talenten: Der Staat steckt Gelder in die Förderung begabter Schüler und bietet Stipendien für Studium und Weiterbildung, sowohl im Inland als auch im Ausland.
- Lebenslanges Lernen: Mit Initiativen wie dem „SkillsFuture“-Programm werden Erwachsene ermutigt, sich kontinuierlich weiterzubilden, um den sich wandelnden Anforderungen des Arbeitsmarktes gerecht zu werden.
Eigenverantwortung und Soziales Sicherungssystem
Anstelle eines umfassenden Wohlfahrtsstaates setzt Singapur auf individuelle Eigenverantwortung und Ersparnisse.
- Zentraler Pensionsfonds (Central Provident Fund, CPF): Der CPF ist ein verpflichtendes Sparsystem, in das Arbeitnehmer und Arbeitgeber einzahlen. Die Beiträge werden auf drei Konten aufgeteilt:
- Ordinary Account (OA): Für Wohneigentum, Bildung und Investitionen
- Special Account (SA): Für die Altersvorsorge
- MediSave Account (MA): Für Gesundheitskosten
- Flexibilität und Nutzung: Die Mittel aus dem CPF können für den Kauf von Wohneigentum verwendet werden, was zu einer hohen Wohneigentumsquote von über 90 % geführt hat. Darüber hinaus können die Mittel für Bildungsausgaben und Gesundheitskosten genutzt werden.
- Vermeidung von Verschuldung: Durch das Zwangssparen wird sichergestellt, dass die Bürger für grössere Ausgaben vorbereitet sind und nicht in übermässige Verschuldung geraten.
Effizientes Gesundheitswesen
Das Gesundheitswesen in Singapur kombiniert private und öffentliche Finanzierung, wobei der Schwerpunkt auf Kosteneffizienz und Qualität liegt.
- MediSave, MediShield und MediFund: Neben dem MediSave-Konto gibt es MediShield, eine kostengünstige Krankenversicherung, und MediFund, einen staatlichen Unterstützungsfonds für Bedürftige.
- Kostentransparenz: Patienten erhalten klare Informationen über die Kosten von Behandlungen und werden ermutigt, preisbewusste Entscheidungen zu treffen.
- Hohe Qualität bei niedrigen Kosten: Singapur gibt etwa 4,9 % seines BIP für das Gesundheitswesen aus, deutlich weniger als viele westliche Länder, erreicht aber dennoch vergleichbare oder bessere Gesundheitsindikatoren.
Förderung von Unternehmertum und Innovation
Während multinationale Unternehmen eine wichtige Rolle spielen, fördert Singapur auch das lokale Unternehmertum.
- Start-up-Förderung: Mit Programmen wie „Startup SG“ bietet die Regierung Finanzierung, Mentoring und Infrastruktur für Jungunternehmer.
- Fokus auf Technologie und Innovation: Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie die Schaffung von Technologie-Hubs haben Singapur zu einem Zentrum für Innovation in Asien gemacht.
Steuerpolitik und Finanzielle Stabilität
Singapurs Steuerpolitik ist darauf ausgerichtet, wirtschaftliches Wachstum zu fördern und gleichzeitig soziale Ziele zu erreichen.
- Niedrige Steuern: Die Einkommenssteuersätze sind progressiv, aber insgesamt niedriger als in vielen westlichen Ländern. Der Spitzensteuersatz für Privatpersonen liegt bei 22 %.
- Keine Kapitalertrags- oder Erbschaftssteuern: Dies fördert Investitionen und erleichtert die Vermögensübertragung zwischen Generationen.
- Fiskalische Disziplin: Die Regierung legt grossen Wert auf ausgeglichene Haushalte und geringe Verschuldung. Staatliche Ausgaben werden effizient eingesetzt, wobei die Gesamtausgaben bei etwa 17 % des BIP liegen, verglichen mit über 40 % in vielen OECD-Ländern.
Gesellschaftliche Stabilität und soziale Kohäsion
Singapur ist ein multikulturelles Land mit verschiedenen ethnischen Gruppen. Die Regierung hat Massnahmen ergriffen, um soziale Harmonie zu fördern.
- Ethnische Integration: Wohnungsbaupolitik stellt sicher, dass in öffentlichen Wohnsiedlungen ein ethnischer Mix vorhanden ist, um Ghettobildung zu vermeiden.
- Gemeinschaftliche Programme: Initiativen fördern den interkulturellen Dialog und das Verständnis zwischen den verschiedenen Gemeinschaften.
Kritik und Herausforderungen
Trotz des Erfolgsmodells gibt es auch Kritikpunkte und Herausforderungen.
- Eingeschränkte politische Freiheiten: Singapur wird häufig für seinen Mangel an politischer Opposition und Einschränkungen der Meinungsfreiheit kritisiert.
- Abhängigkeit von ausländischen Arbeitskräften: Die Wirtschaft ist auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen, was zu Spannungen führen kann.
- Wachsende soziale Ungleichheit: Trotz hoher durchschnittlicher Einkommen gibt es Einkommensunterschiede, die angegangen werden müssen.
Fazit: Wachstum durch Freiheit und Verantwortung
Singapurs Erfolg basiert auf einer einzigartigen Mischung aus wirtschaftlicher Freiheit, staatlicher Effizienz und einer Kultur der Eigenverantwortung. Der Staat schafft Rahmenbedingungen, in denen Individuen und Unternehmen gedeihen können, ohne durch übermässige Bürokratie oder hohe Steuern belastet zu werden.
Andere Länder können von Singapurs Erfahrungen lernen, indem sie:
- Die Bedeutung von Bildung und Meritokratie anerkennen und in die Entwicklung von Humankapital investieren.
- Wirtschaftliche Offenheit fördern und Barrieren für Handel und Investitionen abbauen.
- Eigenverantwortung stärken, anstatt auf umfangreiche staatliche Wohlfahrtssysteme zu setzen, die finanzielle Anreize verzerren können.
- Fiskalische Disziplin wahren und staatliche Ausgaben effizient einsetzen.
- Innovationsfreundliche Umgebungen schaffen, in denen Unternehmertum und technologische Fortschritte gedeihen können.
Für weitergehende Informationen zu diesem Thema empfehlen wir Ihnen den Download der vollständigen Publikation oder ein Besuch der Website Realitiesofsocialism.com.