Bereits zum neunten Mal führte das Liberale Institut die Freiheitsfeier durch. An der diesjährigen Veranstaltung im Kaufleuten Festsaal in Zürich befassten sich die Referenten mit dem zeitlosen Wert des Westens. Der Westen steht für eine einmalige zivilisatorische und ökonomische Erfolgsgeschichte. Und dennoch muss er sich auch aktuell wieder zahlreicher Angriffe erwehren: Religiös motivierte Terroristen führen Krieg gegen westliche Werte und Lebensstile. Despotische Regierungen des nahen und fernen Ostens führen einen Propagandafeldzug gegen westliche «Dekadenz», und besonders gegen den liberalen Wert der Gleichberechtigung. In ganz Europa bedienen sich politische Bewegungen und Parteien antiwestlicher Ressentiments, die bewährte Ordnungen in Frage stellen. Warum zieht der Westen so viel Feindseligkeit auf sich? Was ist das Besondere westlicher Werte und des darin gründenden Lebensstils? Muss sich der Westen heute hinterfragen — oder vor allem seine unverhandelbaren Werte verteidigen?
In seiner Einführungsrede erinnerte LI-Direktor Pierre Bessard daran, dass an der Quelle des westlichen Lebensstils vor allem die gleichwertige Würde jedes Einzelnen steht, die mit der materialistischen Gleichheit der Sozialdemokraten nichts gemeinsam hat. Es gelte, aktuelle Relativierungen der Freiheit und der bürgerlichen Kultur abzuwehren. Der Wert des Westens werde mit der sogenannten Abstimmung mit den Füssen, mit der eigenverantwortlichen Aus- und Einwanderungsfreiheit, besonders offensichtlich. Niemand riskiere heute sein Leben, um nach Kuba, Syrien, Angola oder Nordkorea auszuwandern. In der Zwischenzeit wurden umgekehrt westliche Ideen in fernen Gebieten wie Japan, Taiwan oder Südkorea weitgehend und erfolgreich aufgenommen. Dies zeige eindrücklich, dass der Westen kein Produkt der Ethnie oder der Geographie sei. Vielmehr sei die westliche Zivilisation ein Corpus von Wissen und Werten, die offen für alle sind. Die Anerkennung der Überlegenheit freiheitlicher Werte und in jeder Hinsicht — ethisch, rechtlich, gesellschaftlich, wirtschaftlich — der westlichen Zivilisation erfordere kein persönliches Überlegenheitsgefühl, sondern eine vernünftige, engagierte Auseinandersetzung mit grundlegenden Prinzipien und Erkenntnissen.
Der Wert des freiheitlichen Lebensstils im Westen steht heute von unterschiedlichen Seiten und aus unterschiedlichen Gründen unter Beschuss, wie Prof. Ulrike Ackermann, Leiterin des John Stuart Mill-Instituts in Heidelberg, in ihrem Referat darlegte. Sie thematisierte einerseits die Angriffe auf Freiheitsrechte durch Islamisten, welche unter anderem durch ihren Hass auf den westlichen Individualismus, den materiellen Wohlstand und die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau getrieben sind. Andererseits zeigte sie auf, dass auch ausländische Diktaturen einen Kampf gegen die Zivilisation des Westens führen, indem antifreiheitliche Propaganda in der westlichen Welt verbreiten. Doch auch von Innen stehen die liberalen Errungenschaften unter Beschuss: Parteien am linken und rechten Rand kritisieren den Kapitalismus und beklagen eine «Entfremdung». All diesen Feinden der Freiheit sei eines gemeinsam: «Das Individuum gilt ihnen nichts, das Kollektiv alles». Trotz aller Kritik hat der Westen kaum etwas von seiner Anziehungskraft verloren. Die enormen Flüchtlingsströme der letzten Jahre stellen in dieser Hinsicht auch eine Herausforderung dar: Wie können Menschen, die aus einer völlig andern Kultur stammen, in der westlichen Welt friedlich assimiliert werden? Der Westen müsse klare Grenzen ziehen, um seine hart erkämpften Individualrechte zu bewahren. Dafür brauche es offene Diskussionen. Tabuisierungen und Diskussionsverbote, die in der Absicht errichtet werden, Minderheiten zu schützen, führen zum gegenteiligen Ergebnis: Misstrauen in die Medien und in die etablierten Parteien.
Anschliessend knüpfte Yaron Brook, Direktor des Ayn Rand Institute (USA), in seinem Referat mit dem Titel «Free Speech and the Battle for Western Culture» an diese Ausführungen an. Er beklagte den zunehmenden Verlust der Meinungsäusserungsfreiheit — auch in der westlichen Welt. Brook schilderte den Trend, dass Redner an Universitäten ruhiggestellt würden, wenn diese die Gefühle der Studenten «beleidigten». Es liege aber gerade in der Natur der Meinungsäusserungsfreiheit, dass man mit seiner Meinung immer jemanden beleidige, da es immer jemanden gebe, dem eine Meinung nicht passe. Opfern wir die Meinungsäusserungsfreiheit aus Rücksicht vor Gefühlen, opfern wir auch unsere westliche Zivilisation. Galileo Galilei hätte keine Durchbrüche in der Naturwissenschaft gemacht, wenn er auf die Gefühle der katholischen Kirche Rücksicht genommen hätte. Dies gilt für sämtliche Durchbrüche und Fortschritte: Die Erfindung des Computers «beleidigt» die Schreibmaschinenhersteller, die Erfindung von Uber die Taxifahrer. Brook rief dazu auf, auf keinen Fall eine Autorität zu akzeptieren — auch nicht der Staat —, die bestimmen will, was wahr und was falsch ist, was wir sagen dürfen und was nicht. Der Westen beruhe auf zwei Pfeilern: der Anerkennung der Vernunftgabe der Menschen und der Unantastbarkeit der individuellen Freiheitsrechte. Das bedinge, dass Menschen weiterhin frei Fehler machen und korrigieren dürfen. Es sei die oberste Priorität von Liberalen, für die freie Meinungsäusserung einzustehen. Denn wenn dieser Kampf verloren geht, wären alle anderen Kämpfe um andere Freiheiten auch nicht mehr zu gewinnen.
Der diesjährige Röpke-Preis für Zivilgesellschaft des Liberalen Instituts wurde an den ehemaligen NZZ-Journalisten Prof. Andreas Oplatka verliehen, der vor 60 Jahren mit seiner Familie vor der sozialistischen Unterdrückung seines Landes in die Schweiz floh. Damit wurde sein langjähriges journalistisches Engagement gegen die kommunistische Diktatur sowie seinen Einsatz für Freiheit und Unabhängigkeit der osteuropäischen Gesellschaften ausgezeichnet. Nach seinem Studium der Germanistik, Geschichte und Pädagogik in Zürich und in Wien, stiess er 1966 zur NZZ. Als Auslandkorrespondent hatte er sich insbesondere mit dem Osten Europas und mit Russland tiefgründig auseinandergesetzt. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs schilderte Oplatka die Emanzipation osteuropäischer Länder und die Entwicklung hin zu mehr Marktwirtschaft und individueller Freiheit — so wie er es sich all die Jahre gewünscht und herbeigeschrieben hatte. Sein Engagement für eine freiheitliche Ordnung insbesondere in Osteuropa, seine tiefgründigen und kritischen Analysen des Sowjetkommunismus und der inhärent verbrecherischen Ideologie des Sozialismus sowie seinen Mut und seine Ausdauer haben der Idee der Freiheit, der Marktwirtschaft und der Selbstbestimmung Auftrieb verliehen. Dieser Einsatz sei in Anbetracht der in der heutigen Zeit anhaltenden Staatsgläubigkeit und zunehmenden politischen Zentralisierung auf internationaler und nationaler Ebene wichtiger denn je.
In der Laudatio würdigte Prof. Christoph Frei, Vizepräsident des Stiftungsrates des Liberalen Instituts, Oplatkas vielfältiger Verdienste. Er sei nicht nur ein hervorragender Journalist gewesen, der sich durch die sprachliche Präzision des promovierten Germanisten und die sachliche Genauigkeit des Historikers auszeichnete, sondern auch ein grossartiger Übersetzer, Brückenbauer, Literat, Hochschullehrer und Intellektueller. Als Korrespondent der NZZ in Moskau ab 1983 vermochte Oplatka den Eisernen Vorhang mit sorgfältigen Analysen durchdringen. Er redete niemandem nach dem Mund, auch nicht an der Falkenstrasse. Intellektuelle Redlichkeit stand für Oplatka stets im Vordergrund. Dies verdankte er seinem inneren liberalen Kompass, den er bereits seit jungen Jahren mit sich herumtrage.
In seiner Dankesrede mit dem Titel «Freiheit erfahren» schilderte Prof. Andreas Oplatka nach der Preisübergabe unter anderem seine ersten politischen Erkenntnisse. Zu diesen kam er im stalinistischen Ungarn der 1950er Jahre als Primarschüler. Dort wurden ihm und seinen Mitschülern simple marxistische Essenzen eingetrichtert und das Vorbild eines sowjetischen Jungen vermittelt, der seine Eltern bei der Polizei denunziert hatte. Oplatka erinnerte sich: «In der Schule funktionierten wir wie parteigläubige Automaten, die ideologisch gesättigte Texte rezitieren mussten, in den Pausen jedoch verspotteten wir unsere politischen Führer». Oplatka ist überzeugt: «Im Oktober 1956 fand kein Brotaufstand statt, sondern vielmehr ein Volksaufstand gegen die marxistische Indoktrinierung und zugunsten der Selbstbestimmung der Individuen.» Als Oplatka anschliessend in die Schweiz flüchtete und dort die Kantonsschule besuchte, beeindruckte ihn die dort vorherrschende Leichtigkeit. Es lastete hier kein allgegenwärtiger politischer Druck auf dem Einzelnen. Auch bei der NZZ schätzte er die freien und unabhängigen Entfaltungsmöglichkeiten, die allen Journalisten eingeräumt worden seien. Umso mehr beunruhigt es Oplatka, der das Leid in kollektivistischen Diktaturen am eigenen Leib miterlebt hat, dass in seiner Heimat heute die Nation als höchster Wert hochgehalten und der Liberalismus als unpatriotischer Egoismus dargestellt werde. Doch auch im Hinblick auf andere europäische Staaten müsse man sich fragen — insbesondere, wenn man sich die vor rund 50 Jahren verfassten Werke Röpkes zu Gemüte führe —, wie weit es mittlerweile auch der Westen gebracht habe.
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Röpke-Preis für Zivilgesellschaft