Um Einsicht in den Zustand einer Volkswirtschaft zu erhalten, stützen sich die meisten Fachleute und Berichterstatter auf eine Messgrösse, welche Bruttoinlandsprodukt (BIP) genannt wird. Das BIP betrachtet den schlussendlichen Wert von Gütern und Dienstleistungen, welche in einem bestimmten Zeitraum, üblicherweise eines Quartals, hergestellt wurden.
Diese Betrachtung folgt der Sicht, dass eine Wirtschaft nicht durch die Schaffung von Wohlstand, sondern dessen Verzehr angetrieben ist; also der Nachfrage nach Gütern und Leistungen. Da die Verbraucherausgaben den grössten Teil der Nachfrage darstellen, herrscht gemeinhin die Ansicht, dass die Konsumnachfrage der entscheidende Antrieb wirtschaftlichen Wachstums ist.
Das Einzige, was in dieser Sicht zählt, ist die Güternachfrage, welche ihrerseits umgehend ein entsprechendes Angebot schafft. Diese Betrachtung vernachlässigt jedoch die unterschiedlichen Produktionsstufen, welche der Erstellung des Endproduktes vorausgehen.
Es genügt nicht, nur eine Nachfrage nach Gütern zu haben, es erfordert vielmehr auch die Mittel, diese Nachfrage zu befriedigen. Diese Mittel sind verschiedenerlei Endverbrauchsgüter, die benötigt werden, um verschiedene Personen in den unterschiedlichen Produktionsstufen zu ernähren.
Wohlstand kommt aus Ersparnissen, nicht aus dem Konsum
Der Schlüssel des Lebensunterhaltes sind die tatsächlichen Ersparnisse jedes Einzelnen. Beispielsweise backt Hans der Bäcker zehn Brotlaibe, von welchen er zwei selbst verbraucht. Die nicht verbrauchten acht Brotlaibe stellen seine tatsächlichen Ersparnisse dar. Hans der Bäcker könnte die gesparten acht Brotlaibe gegen die Dienste eines Technikers tauschen, um seinen Ofen (d.h. seine Infrastruktur) zu verbessern. Dank der verbesserten Infrastruktur könnte Hans seine Brotproduktion und damit das Wirtschaftswachstum steigern. Die acht gesparten Brotlaibe stellen nun das Leben und Wohlbefinden des Technikers sicher, solange er an der Verbesserung des Ofens arbeitet.
Die tatsächlichen Ersparnisse sind also hinsichtlich des künftigen Wirtschaftswachstums der entscheidende Faktor. Wenn stärkeres Wirtschaftswachstum eine bestimmte Infrastruktur benötigt, es aber nicht ausreichend Ersparnisse gibt, um diese Infrastruktur herzustellen, wird das erwünschte Wachstum ausbleiben.
Der BIP-Ansatz steht dem Sparen feindselig gegenüber, da das Sparen in dieser Konzeption die Nachfrage schwächt, und damit auch den sogenannten keynesianischen Multiplikator. Der BIP-Ansatz vermittelt den Eindruck, dass es nicht die Handlungen von Individuen sind, welche Güter und Leistungen hervorbringen, sondern etwas anderes ausserhalb solcher wirtschaftlichen Aktivitäten. Allerdings hat die sogenannte Wirtschaft kein von Personen unabhängiges Einzelleben, sie ist eine Metapher, sie existiert nicht.
Durch das Aggregieren der Werte von Endverbrauchsgütern und Leistungen schaffen Regierungsstatistiker mittels der BIP-Statistik die Fiktion einer Wirtschaft. Der BIP-Ansatz kann uns jedoch nicht erklären, ob Endverbrauchsgüter und Leistungen, welche in einer bestimmten Zeitperiode hergestellt wurden, das Ergebnis von Wohlstandsvermehrung oder Kapitalverzehr sind.
Wenn der Staat beispielsweise den Bau einer Pyramide angeht, welche nichts zum Wohlbefinden der Menschen beiträgt, wird der BIP-Ansatz dies als einen Faktor ansehen, welcher zum Wirtschaftswachstum beiträgt. In Wirklichkeit wird der Bau der Pyramide jedoch tatsächliche Ersparnisse von wohlstandsschaffenden Aktivitäten umlenken und somit die Wohlstandssteigerung drosseln.
BIP und die Realwirtschaft — wie hängen sie zusammen?
Bei der Berechnung des BIP gibt es ernsthafte Schwierigkeiten. Um eine Gesamtheit zu berechnen, müssen mehrere Dinge addiert werden, was eine Gemeinsamkeit voraussetzt. Es ist jedoch unmöglich, Kühlschränke, Autos und Hemden zu addieren, um die Gesamtheit der Endprodukte zu erhalten. Da die Gesamtproduktion nicht sinnvoll definiert werden kann, kann sie auch nicht quantifiziert werden. Um dieses Problem zu überwinden bemühen Ökonomen die Gesamtgeldausgaben von Gütern, welche sie durch den Durchschnittspreis dieser Güter teilen, woraus jedoch ein ernsthaftes Problem erwächst.
Nehmen wir an, dass zwei Transaktionen durchgeführt werden; in der Ersten wird ein Fernseher gegen 1’000 CHF, in der Zweiten ein Hemd gegen 40 CHF getauscht. Der Preis oder das Verhältnis der ersten Transaktion ist also 1’000 CHF/ 1 Fernseher; der Preis der zweiten Transaktion ist 40 CHF/ 1 Hemd.
Um den Durchschnittspreis zu berechnen, addieren wir diese beiden Verhältnisse und dividieren sie durch zwei. Allerdings kann ein 1’000 CHF/ 1 Fernseher nicht zu einem 40 CHF/ 1 Hemd addiert werden, folglich kann kein Durchschnittspreis ermittelt werden. Dazu schrieb Murray N. Rothbard in Man, Economy and State:
«Jedes Konzept des Durchschnittspreisniveaus beinhaltet die Addition oder Multiplikation von Mengen völlig unterschiedlicher Wareneinheiten wie Butter, Hüte, Zucker usw. und ist folglich bedeutungslos und illegitim.»
Der Einsatz verschiedener ausgeklügelter Methoden zur Berechnung des durchschnittlichen Preisniveaus kann die Tatsache, dass es unmöglich ist, einen Durchschnittspreis für verschiedene Waren und Leistungen zu ermitteln, nicht umgehen. Dementsprechend sind Preisindizes, welche staatliche Statistiker berechnen, lediglich willkürliche Zahlen. Sie sind bedeutungslos und damit auch die reale BIP-Statistik.
Selbst Regierungsstatistiker geben zu, dass die ganze Sache nicht real ist. J. Steven Landefeld und Robert P. Parker vom Bureau of Economic Analysis schreiben:
«Es ist insbesondere wichtig zu verstehen, dass das reale BIP ein analytisches Konzept darstellt. Trotz des Namens ist das reale BIP nicht <real> im Sinne, dass es grundsätzlich direkt beobachtet oder erhoben werden könnte, gleich wie das derzeitige BIP in USD prinzipiell nicht beobachtet oder als die Summe der tatsächlichen Ausgaben von Endverbrauchsgütern und Dienstleistungen in der Wirtschaft erhoben werden könnte. Mengen von Äpfeln und Orangen können zwar gesammelt werden, aber sie können nicht addiert werden, um die Gesamtmenge an Obstproduktion einer Wirtschaft zu erhalten.»
Da es unmöglich ist, den Zustand der Gesamtheit realer Güter und Leistungen quantitativ zu bestimmen, sollten Daten wie das reale BIP, welches Regierungsstatistiker erschaffen, nicht zu ernst genommen werden.
Die Illusion einer nationalen Produktion
Das BIP schafft den Eindruck, dass es so etwas wie eine nationale Produktion gibt. In einer Marktwirtschaft wird Wohlstand allerdings von Individuen geschaffen, welcher diesen unabhängig voneinander gehört. Güter und Leistungen werden nicht als Gesamtheit hergestellt und von einem obersten Führer überwacht. Dies bedeutet, dass das ganze Konzept des BIP — zumindest was die Marktwirtschaft betrifft — frei von jeglicher realen Grundlage ist. Gemäss Ludwig von Mises in Human Action ist die Vorstellung, dass jemand den Wert der nationalen Produktion nachweisen kann, weit hergeholt:
«Die Versuche, den Wohlstand einer Nation oder der ganzen Menschheit in Geld zu bestimmen, sind ebenso kindisch wie die geheimnisvollen Bemühungen, die Rätsel des Universums anhand der Ausmasse der Cheopspyramide lösen zu wollen.»
Und weiter:
«Wenn eine Geschäftsberechnung ein Angebot von Kartoffeln mit 100 CHF bewertet, ist die Vorstellung, dass es möglich wäre, sie für diese Summe zu verkaufen oder zu ersetzen. Wenn eine ganze Unternehmenseinheit zu 1 Mio. CHF bewertet ist, bedeutet dies, dass man erwartet, sie für diesen Betrag zu veräussern. Der Geschäftsmann kann sein Eigentum zu Geld machen, eine Nation kann dies nicht.»
Was fangen wir mit den regelmässigen Verkündigungen an, wonach die Wirtschaft, ausgedrückt in realem BIP, um eine bestimmte Prozentzahl gewachsen ist? Alles was wir sagen können ist, dass diese Prozentzahl nichts mit tatsächlichem Wirtschaftswachstum zu tun hat und sie höchstwahrscheinlich das Tempo der Geldschöpfung widerspiegelt.
Da das BIP in Geldeinheiten ausgedrückt wird, ist offensichtlich, dass dessen Schwankungen von jenen Schwankungen der in die Wirtschaft gepumpten Geldmenge getrieben wird. Daraus können wir ableiten, dass ein starkes reales BIP-Wachstum höchstwahrscheinlich eine Schwächung der tatsächlichen Vermögensanhäufung abbildet.
Sobald erkannt ist, dass das sogenannte (wie vom realen BIP verkörperte) Wirtschaftswachstum Schwankungen des Geldmengenwachstums widerspiegelt, wird offensichtlich, dass ein Wirtschaftsaufschwung nichts mit der realen Wirtschaftsausweitung gemein hat.
Im Gegenteil, bei einem solchen Aufschwung sehen wir eine realwirtschaftliche Schrumpfung, da er den Pool realen Wohlstands untergräbt, also die Wurzel des wirklichen Wirtschaftswachstums. Weil der BIP-Aufschwung durch die Ausweitung des Geldmengenwachstums erzeugt wird, kommt es zu verschiedenen Blasenaktivitäten, welche den Prozess der Vermögensbildung untergraben.
Es verwundert nicht, dass die Zentralbank gemäss BIP-Ansatz reales Wirtschaftswachstum schaffen kann und die meisten Ökonomen, welche diesem sklavisch folgen, das genau so glauben. Es fehlt nicht an ökonomischen Studien, welche dazu bestimmt sind, wissenschaftliche Unterstützung für die beliebte Ansicht zu liefern, dass die Zentralbank durch Geldmengenausweitung der Wirtschaft zu Wachstum verhelfen könne. Dabei wird von all diesen Studien übersehen, dass kaum eine andere Schlussfolgerung gezogen werden kann, weil das BIP ein naher Verwandter der Geldmenge ist.
Schlussfolgerung
Die reale Wachstumsrate des BIP misst nicht die tatsächliche Stärke einer Wirtschaft, sondern reflektiert den Geldumsatz, welcher von einer zweifelhaften Statistik, Preisindex genannt, bereinigt wird. Je mehr Geld geschöpft wird, umso stärker erscheint die Wirtschaft, wenn alle anderen Dinge gleich bleiben.
Diesem Denkansatz folgend, kann man zu keiner anderen Schlussfolgerung kommen, als dass die Zentralbank die Wirtschaft durch Geldschöpfung «antreiben» könne. Dank der realen BIP-Statistik können Zentralbanker und Regierungsoffizielle die Illusion aufrechterhalten, dass sie die Wirtschaft wachsen lassen könnten. Tatsächlich kann die Interventionspolitik von Zentralbank und Regierung die wirtschaftliche Verarmung nur vertiefen, da sie die Vermögensschaffung schwächt.
Frank Shostak ist Ökonom der Österreichischen Schule. Er ist Adjunct Scholar des Mises Institute.
Dieser Beitrag ist zuerst beim Ludwig von Mises Institute in Englisch erschienen und wurde vom Liberalen Institut übersetzt.