Vor dem Hintergrund der restriktiven Anti-Corona-Massnahmen werden die Rufe nach einer Ausweitung staatlicher Hilfsgelder immer lauter. Die gesprochenen Mittel haben Dimensionen angenommen, die es unausweichlich machen, die staatliche Verschuldung zu erhöhen. Oft wird darauf hingewiesen, dass die Schweiz in dieser Hinsicht dank der Schuldenbremse noch einen relativ grossen Handlungsspielraum habe. Das mag richtig sein. Doch sollte sie ihn tatsächlich auch nutzen?
Die beliebteste Argumentation für die Ausweitung der Staatsschulden lautet folgendermassen: Der Staat müsse Schulden aufnehmen, um damit die Wirtschaft anzukurbeln. Wenn der Wirtschaftsmotor wieder brummt, könne der Staat dann seine Schulden aus dem erhöhten Steuereinkommen zurückzahlen. Doch wenn man sich in der Praxis nach Beispielen umschaut, wo dieses angebliche Patentrezept aufgegangen ist, wird man kaum irgendwo fündig: Die wenigsten politischen Herrscher sind gewillt, in wirtschaftlich rosigen Zeiten ihre Schulden abzustottern, weil sie sich so stärker zurücknehmen und weniger Wahlgeschenke verteilen könnten.
Gefährliche Schulden
Bereits Adam Smith warnte seinerzeit schon vor einer Aufblähung der staatlichen Verschuldung: «Haben Staatsschulden eine übermässige Höhe erreicht, so ist […] kaum ein einziges Beispiel vorhanden, dass sie ehrlich und voll bezahlt worden wären». In der Tat ist die Geschichte — auch die neuere — voll von Anschauungsmaterial, das zeigt, dass Volkswirtschaften immer wieder an zu hohen Schulden zugrunde gehen. Allein seit 1980 kam es weltweit zu 90 Insolvenzen von 73 verschiedenen Staaten.
Solche Staatsbankrotte haben meist fatale Folgen: Bei den vom Internationalen Währungsfonds (IWF) untersuchten Staatspleiten zwischen 1998 und 2005 mussten die Gläubiger oftmals einen hohen Teil ihrer Forderungen abschreiben — 2001 in Argentinien beispielsweise 73% und 1998 in Russland 82%. Da es sich bei den Gläubigern zum grossen Teil um Banken und institutionelle Anleger handelt, gerät aufgrund dieser Kreditausfälle die ganze Volkswirtschaft ins Wanken: Bankenkrise, Finanzkrise, Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, taumelnde Altersvorsorge- und Versicherungsinstitute, Kürzung oder Streichung staatlich versprochener Sozialleistungen — das ganze Programm eben.
Am Ende dieser Kaskade steht dann eine «Währungsreform», die im Grunde genommen gar keine Reform ist, wie der Ökonom Roland Baader treffend bemerkte: «Nichts wird reformiert, weder der Ausgabenwahn des Staates noch die Kumpanei der Notenbank mit den Politikern, weder die verantwortungslose polemische Raserei der Gewerkschaften und Interessenverbände noch die unbegrenzte Neid- und Bestechungsmentalität der Bürger. Es wird nur etwas deformiert, nämlich das Vermögen der Bürger.»
Dieser Vorgang läuft — wenn auch in unterschiedlichem Tempo — immer wieder ähnlich ab: Zunächst wird die Bevölkerung auf dem Weg der Besteuerung mehr und mehr ausgepresst, bis der Punkt erreicht ist, wo weitere Steuer- und Abgabenerhöhungen zu einer Verringerung der Steuereinnahmen führen oder auf zu grossen Widerstand der fiskalisch Ausgebeuteten stossen.
Dann kommt immer mehr die Geheimwaffe der Politik zum Zug: Die Ausweitung der Staatsverschuldung und die uneingeschränkte Ausdehnung der Geldmenge, um die Zinsen und damit die Kosten der Verschuldung künstlich tief zu halten. Diese heimliche Enteignung wird dann so lange praktiziert, bis es schliesslich der hinterste und letzte auf schmerzvolle Weise gemerkt hat, welches Spiel gespielt wird. Es folgt die Enteignung der Gläubiger zur restlosen Tilgung der Staatsschulden, die dann als «Währungsreform» verkauft wird. Anschliessend beginnt dieses grausame Spiel auf dem Buckel der Bevölkerung von neuem.
Staatsschulden bringen jedoch nicht nur wirtschaftliche Probleme mit sich, sondern führen auch zu einer Aushöhlung der Freiheit und der Solidarität. Der Staat braucht jeweils nur dann Schulden aufzunehmen, wenn er sich selbst übernimmt und seine Aktivitäten nicht durch die regulären Steuereinnahmen decken kann. Eine grössere Staatsverschuldung ist gleichbedeutend mit einem vom Steuerzahler ungewollten Staatswachstum und einer Ausweitung der politischen Aktivitäten auf Kosten privater, marktwirtschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Lösungen.
Während der staatliche Leviathan bedenkliche Macht akkumuliert und sich in immer mehr Lebensbereiche mit immer neuen Verboten und Regulierungen einmischt, reduziert sich gleichzeitig der Spielraum der individuellen Freiheit. Alle produktiven Aktivitäten werden zunehmend von der Bürokratie erdrückt, und die Abhängigkeit der Bürger vom Staat steigt.
Ausserdem kommt es durch den schuldengetriebenen Ausbau des Etats vermehrt zu einem Gerangel von Sonderinteressen um die immer üppigeren Subventionstöpfe. Die Gruppenegoismen haben dann Hochkonjunktur: Jede Gruppe hofft insgeheim, sich unter dem Strich mehr Vorteile auf Kosten anderer Gruppen zu ergattern, als dass man selbst an Steuern, Abgaben und inflationsgetriebener Wertminderung schultern muss. Dabei verkümmert die soziale Wärme zunehmend, weil die Leute bei der ständig steigenden Steuerlast der Meinung sind, bereits genug für das Wohl anderer getan zu haben, obwohl ein Grossteil dieser Gelder irgendwo in den Sümpfen der Bürokratie versickert.
Zulasten unserer Kinder
Auch die Solidarität zwischen den Generationen wird mit der Aufnahme von Staatsschulden mit Füssen getreten. Denn eine höhere Staatsverschuldung bedeutet, dass wir noch mehr Geld ausgeben, das wir noch gar nicht erwirtschaftet haben. Rücksichtslos schieben wir damit die Last auf unsere Kinder und Enkelkinder, die sich dann damit herumschlagen sollen, dass wir über unseren Verhältnissen gelebt haben. Auch aus ethischer Sicht sind Staatsschulden daher abzulehnen.
Es stellt sich nun die Frage, ob die Entscheidungsträger die Grösse und die Vernunft besitzen, sich von der brandgefährlichen und kurzsichtigen Politik der schuldenbasierten Staatsaufblähung loszusagen, oder ob sie ignorant oder sogar wissentlich Frieden, Freiheit und Wohlstand aufs Spiel setzen. Obwohl die Schuldenbremse viele Vorteile hat, ist sie nicht ausreichend, um unsere Errungenschaften nachhaltig zu sichern. Wir sollten uns schnellstmöglich über zusätzliche Mechanismen Gedanken machen, die uns erlauben, die politischen Verantwortungsträger enger in die Pflicht zu nehmen.
Dieser Beitrag ist am 6. März 2021 in der Finanz und Wirtschaft erschienen.
Olivier Kessler ist Direktor des Liberalen Instituts.