Stellen Sie sich vor, Sie hätten sich tief verschuldet und müssten nun nach einem Weg suchen, Ihre Schulden abzustottern. Was tun Sie? Sparen? Ihre Einnahmen erhöhen? Nein! Sie erhöhen Ihre Ausgaben! Klingt verrückt? Ist es auch. Doch genau diesen Weg hat die Schweizer Politik gerade eingeschlagen.
Mitten in der Corona-Krise, die Kosten und Schulden in gigantischer Höhe verursacht hat, beschliesst das Parlament eine enorme Aufstockung und Ausweitung der Mediensubventionen — neu auch für Onlinemedien. Gerechtfertigt wird dieser erneute Griff ins Portemonnaie der Bürger zur Ausdehnung der Staatsausgaben mit der angeblichen Sicherstellung der Medienfreiheit und -vielfalt. In Wahrheit wird damit das Gegenteil erreicht.
Ohne Medienförderung, so heisst es, seien die Medienhäuser auf Gedeih und Verderb von Werbeeinnahmen privater Firmen abhängig und müssten sich wohl oder übel deren Interessen beugen. Bei sinkenden Werbeeinnahmen käme es sogar zu einem «Mediensterben». Aus diesem Grund müsse der Staat die Unabhängigkeit der Medienschaffenden durch Subventionen «garantieren». Dabei wird jedoch Entscheidendes ausser Acht gelassen.
Selbstverständlich besteht bei werbefinanzierten Medien potenziell ein Spannungsverhältnis zwischen der Unabhängigkeit der Journalisten und den Interessen der Werbekunden. Doch selbst der linke Journalismus-Professor Jeff Jarvis erinnert an die befreiende Wirkung, welche die Werbefinanzierung einst hatte: «Bevor wir davon ausgehen, Werbung würde korrumpieren, täten wir gut daran zu bedenken, dass die Werbung einst die Zeitungen vom Besitz und der Kontrolle durch politische Parteien befreit hat.»
Die Werbefinanzierung ist trotz all ihrer Nachteile ordnungspolitisch weniger bedenklich als eine Abhängigkeit der Medien vom Staat, die durch eine Ausweitung der staatlichen Medienförderung verschärft wird. Sobald ein Medium auf Druck der Werbekunden über gewisse Themen nicht mehr oder verzerrend berichtet, werden die Konkurrenten dies genüsslich ausschlachten. Für den Entlarvten bedeutet dies einen ernsthaften Reputationsschaden, was ihn Kunden kosten wird. Wird die Finanzierung der Medien jedoch vom Goodwill der Medien-Konsumenten losgekoppelt, weil der Hauptteil der Einnahmen aus Steuergeldern stammt, kann dieser Mechanismus nicht mehr spielen. In diesem Falle werden auch Medien finanziert, die aus Sicht der Kundschaft ihre Glaubwürdigkeit verspielt haben.
Was auch immer wieder vergessen wird: Werbung ist nicht die einzige Finanzierungsmethode auf einem freien Medienmarkt. Bei Abomodellen etwa kommen nicht Werber, sondern eine Vielzahl von Konsumenten für das Produkt auf. Die Zeitung Republik schaffte es im Jahr 2017, über 3,4 Millionen Franken mittels einer Crowdfunding-Aktion einzunehmen. Der Nebelspalter finanzierte seinen Relaunch dieses Jahr durch die Gewinnung von Aktionären. Auch eine Finanzierung über Stiftungen ist denkbar. Den Möglichkeiten sind hier kaum Grenzen gesetzt und es ist unredlich, die Werbung als einzige Alternative zur staatlichen Zwangsfinanzierung aufzuführen.
Nebst der klassischen Medienlandschaft existiert heute zudem ein grosses, privat finanziertes Nachrichten-Ökosystem bestehend aus Bildungsinstitutionen, Think Tanks, NGOs und Verbänden. Dieses hat viele Funktionen klassischer Medien übernommen: etwa Recherche, Informationssammlung und -auswertung. Selbst wenn einige Medien vom Markt verschwinden sollten, wäre dies also noch lange nicht das Ende der freien Meinungsbildung und der Demokratie, wie immer wieder dramatisierend behauptet wird.
Finanzieren sich die Medien jedoch zu einem gewichtigen Teil über eine staatliche Förderung, hat dies die schlimmstmögliche Abhängigkeit zur Folge: Die «Geförderten» machen sich vom Goodwill der vorherrschenden Politik abhängig und verkommen damit zum Spielball und Sprachrohr der Mächtigen. Die Medienlandschaft wird de facto verstaatlicht. Ohne dass Politiker direkt inhaltlichen Einfluss auf die Berichterstattung nehmen müssten, entwickelt sich die «geförderte» Medienlandschaft so schleichend zu einem politgefälligen, inhaltlichen Einheitsbrei, welcher die herrschende Politik kaum noch kritisch hinterfragt. Denn die Hand, die einen füttert, beisst man nicht.
Was wir zur Meinungsbildung benötigen, sind keine Medien als vierte Gewalt im Staat, die unkritisch die offiziellen Mitteilungen der Bundesämter weiterverbreiten und ihre Pressekonferenzen live übertragen. Wir brauchen vielmehr eine starke Macht neben dem Staat, die in der Lage ist, den Mächtigen auf die Finger zu schauen und diese, wenn nötig, offen zu kritisieren. Die staatliche Medienförderung ist daher ein ordnungspolitischer Sündenfall, die nicht nur die Medienfreiheit und die Medienvielfalt, sondern auch den kritischen Journalismus untergräbt.
Dieser Beitrag ist am 31. Mai 2021 im TagesAnzeiger erschienen.
Olivier Kessler ist Direktor des Liberalen Instituts in Zürich.