Javier Milei, der seit rund einem Jahr amtierende Präsident Argentiniens, hat etwas historisch Einzigartiges erreicht. Sein Erfolg ist vergleichbar mit dem, was zuvor Roger Federer geschafft hat.
Als unser Schweizer Tennisstar Roger Federer noch nicht einmal 30 Jahre alt war und ausnahmsweise ein paar wenige Spiele zu verlieren begann, versuchten viele Kommentatoren das Ende seiner Ära herbeizureden und ihn aufgrund seines fortgeschrittenen Alters abzuschreiben. Wer hätte es ihnen verübeln können? Schliesslich war es damals «normal», dass man seine Profi-Sportkarriere Anfang 30er beendete.
Doch dann, ganze sieben Jahre später stand Roger Federer tatsächlich wieder an der Spitze der Weltrangliste. Offiziell ist er sogar erst im Alter von 41 Jahren zurückgetreten. «King Roger» hatte durch seine Vorbildrolle den Rahmen des Denkbaren gesprengt und viele Nachwuchstalente dazu animiert, ebenfalls eine Karriere weit über die 30er-Grenze hinaus anzustreben.
Pionierleistung
Genauso wie Roger Federer die Massstäbe im Sport verschoben hat, tat dies auch Javier Milei im Bereich der Politik. Galt es vor etwas mehr als einem Jahr als völlig ausgeschlossen, dass man als konsequent-Liberaler – als Libertärer – eine Präsidentschaftswahl gewinnen konnte, so hat er bewiesen, dass dies keineswegs ein Naturgesetz ist.
Javier Milei hat gezeigt: Es braucht keine Anbiederung an die Sozialdemokraten und Sozialisten, an die National- und International-Etatisten aller Art. Liberale brauchen nicht auch noch den Virus der Staatsgläubigkeit, des Interventionismus und des Dirigismus weiterzutragen und zu verbreiten, damit sie sich Wahlchancen ausrechnen und die Politik mitgestalten können.
Vielmehr zeigt sich, dass gerade eine fundamentale Rückbesinnung auf marktwirtschaftliche Prinzipien, auf den essentiellen Wert des Privateigentums und die moralisch überlegene Ethik des Liberalismus dazu taugen, die Bürger und insbesondere die Jungen wieder zu engagierten Fahnenträgern für die freiheitliche Sache zu machen. Rund 70 Prozent der unter 24 Jährigen haben Milei ihre Stimme an der Urne gegeben.
Natürlich waren für den Wahlerfolg auch die problembehafteten Umstände in Argentinien mitverantwortlich. Die Bürger im vom Sozialismus geplagten Land hatten genug von der Korruption, den leeren Versprechen und der verlogenen Bewirtschaftung von Problemen, die lediglich dem Machterhalt der Parteieliten dienten. Kaum ein Politiker vor Milei hatte den Mut, den Bürgern reinen Wein einzuschenken und diesen ehrlich zu sagen, dass der eingeschlagene sozialistische Weg immer weiter ins Verderben führen muss, und nur ein radikaler Kurswechsel hin zum Liberalismus wesentliche Verbesserungen bringt.
Auch hier ging Javier Milei mit gutem Beispiel voran und hat vorgemacht, dass man seine Wähler nicht anzulügen oder manipulieren braucht, um zu gewinnen: Im Unterschied zu 08-15-Politikern traut er seinen Wählern die ganze Wahrheit zu. Er versprach ihnen vorgängig keinerlei Wahlgeschenke und Umverteilungsgoodies, sondern bereitete sie auf vorübergehend schwierige Zeiten vor, sollten sie ihm ihre Stimme geben. Kein Wunder: Das Abtragen der zuvor im Sozialismus aufgetürmten Schulden und das Einstellen der staatlichen Gelddruckerpresse gehen nicht schmerzlos über die Bühne. Doch das Weiterwursteln hätte den schleichenden Niedergang nur beschleunigt und immer weitere Schichten in die totale Verarmung getrieben.
Milei verlieh den Argentiniern durch seine Ehrlichkeit und seine fundierten ökonomischen Kenntnisse auch neue Hoffnung: Wenn sich die riesige Beamtenschar, die zuvor auf Kosten der Steuerzahler lebte, neu produktiv in der freien Wirtschaft betätigt und um die tatsächlichen Bedürfnisse der Bürger kümmert, kann eben auch der Lebensstandard wieder ansteigen. Der kurzfristigen Delle würde eine langfristige Blütezeit folgen. Milei hat natürlich recht. Je weniger die Bürger und Unternehmen von einer staatlichen Gesetzesflut geplagt, vom Fiskus ausgebeutet und von der Inflation enteignet werden, desto eher können sie sich entfalten, nützlich machen und somit Wohlstand generieren.
Liberale Zeitenwende eingeläutet
Seine Grundüberzeugungen gewann Javier Milei nach eigenen Angaben von einer Reihe herausragender Denker der Österreichischen Schule – einer ökonomischen Denkrichtung, die in der Schweiz hauptsächlich vom Liberalen Institut erforscht, gepflegt und verbreitet wird. Es geht um die Grundüberzeugung, dass jeder Mensch über Individualrechte gegen Übergriffe auf Leib, Leben und Eigentum verfügt.
Nach dieser liberalen Überzeugung soll jeder gleichermassen geschützt sein, unabhängig davon, welcher Gruppe innerhalb der Menschheitsfamilie – Mann oder Frau, Schwarz oder Weiss, Christ oder Moslem, Gläubiger oder Atheist, Hetero oder Homo usw. – man angehören mag. Niemand – auch keine Konzerne und Staatsangestellte – hat das Recht, andere unter Androhung oder Anwendung von Gewalt zu irgendeinem Handeln zu zwingen. Einzige Ausnahme: Jemand verwirkt sein Abwehrrecht, indem er selbst zum Aggressor gegen andere wird.
Kürzlich ist mir in einem Einkaufszentrum jemand mit einem T-Shirt begegnet, auf welchem geschrieben stand: «Alles ist schwer, bevor es einfach wird.» Ein weiser Spruch, dachte ich mir, und musste dabei unweigerlich an das Engagement der Freiheitsaktivisten in der Schweiz und in der ganzen Welt denken. Was wurden konsequent-liberale Meinungsmacher die letzten Jahrzehnte als «Träumer» und «Utopisten» belächelt, deren Ideen nicht «mehrheitsfähig» seien und «realpolitisch» keine Chance hätten. Gewisse sogenannte «liberale» Politiker und Parteien wandten sich allein schon aufgrund dieses Narrativs vom eigentlichen Liberalismus ab und mutierten dadurch selbst zu Semi-Sozialisten. Die Sozialdemokratisierung des Westens ist deshalb seit einigen Jahrzehnten in vollem Gange.
Javier Milei hat nun aber vorgemacht, dass es durchaus möglich ist, mit einem ehrlichen und zutiefst liberalen Programm die Köpfe und Herzen der Wähler zu gewinnen und innert kürzester Zeit einen Grossteil davon umzusetzen. Milei weist bisher eine Deregulierungsquote von 1,84 Deregulierungen pro Tag auf. Das heisst: Jeden Tag werden fast zwei Gesetze abgeschafft oder liberalisiert, die den Bürgern zuvor das Leben schwergemacht haben. Das sind die neuen Standards, an denen sich Politiker in ihren Ländern künftig messen lassen müssen, wenn sie sich «liberal» nennen wollen.
Die Freiheitsbewegung bekommt auch dank Milei weltweit rasanten Zulauf und gewaltigen Rückenwind. Liberalismus rockt plötzlich wieder. Die Zeiten haben sich geändert.
Viva la libertad! Es lebe die Freiheit!
Olivier Kessler
Dieser Beitrag ist am 26. Januar 2025 in den Publikationen von CH-Media erschienen, z.B. in der Luzerner Zeitung oder in der Aargauer Zeitung. Der Autor ist Direktor des Liberalen Instituts in Zürich (www.libinst.ch), das Javier Milei am 24. Januar 2025 an der LI-Freiheitsfeier in Kloten den Röpke-Preis für Zivilgesellschaft für seine internationale Vorreiterrolle bei der Bekämpfung des ausufernden Staates verlieh. Den Bericht und die Fotos und Videos davon gibt es hier.