Im Kapitalismus sei der Krieg die Fortsetzung der Konkurrenz der Unternehmen mit anderen Mitteln, behaupten Sozialisten. Es bestehe ein unmittelbarer Zusammenhang von Kapitalismus, Krise und Krieg. Das Gegenteil sei der Fall, sind Liberale überzeugt: Krisen und Kriege entstünden gerade dann, wenn der Staat zu mächtig werde und sich zu sehr in das Wirtschaftsleben einmische. Demnach sei es die protektionistische Industriepolitik, die die Wahrscheinlichkeit eines Kriegs erhöhe: «Wenn Waren nicht Grenzen überqueren, dann werden es Soldaten tun.» (Frédéric Bastiat) Was stimmt nun? Ist der Interventionismus oder ein freies Wirtschaftssystem schuld an Kriegen? Was müsste man unternehmen, um die Gefahr von Kriegen zu reduzieren? Diese Fragen wurden am LI-Gespräch vom 28. Februar in Zürich diskutiert.
In seiner Einführung ging LI-Direktor Olivier Kessler auf die sozialistische These ein, wonach der Kapitalismus für Kriege verantwortlich sei, weil Kapitalisten auf Kriege hin drängen würden, um z.B. neue Märkte zu erschliessen oder Rohstoffe zu sichern. Natürlich könne man argumentieren, dass die Rüstungsindustrie kein Interesse an einer friedlichen Welt habe. Aber man müsse hier unterscheiden zwischen Kapitalismus und Kapitalisten. Das sei mitnichten dasselbe.
Beim Kapitalismus handle es sich um die natürliche Ordnung der Marktwirtschaft mit geschützten Eigentumsrechten. Kapitalisten andererseits seien Investoren und Unternehmer, wobei deren Ideen kapitalistisch oder auch sozialistisch geprägt sein könnten. Oftmals sei die Ideologie von Kapitalisten eine sozialistische, etwa wenn versucht werde, die Konkurrenz mithilfe des Staates durch entsprechende Sonderprivilegien-Regulierung auszustechen und sie vom Markt fernzuhalten. Oder auch, wenn man Konsumenten bestimmte Produkte aufzwingen wolle, anstatt dass diese freiwillig die Angebote der Kapitalisten annehmen oder ablehnen könnten, wie es im Kapitalismus der Fall wäre. Es sei also unredlich, die sozialistischen Interessen der Kapitalisten dem Kapitalismus als solchem zuzuschreiben.
In seinem Referat ergründete Yaron Brook, Stiftungsratspräsident des Ayn Rand Institute in den USA, die Kernursachen von Krieg und Frieden. Es sei unbestritten, dass ökonomische Interdependenzen und der freie Fluss von Kapital, Gütern und Arbeitskräften die Welt friedlicher machten. Wenn aber Handel der alles entscheidende Faktor wäre, der über Krieg und Frieden entscheide, dann gäbe es aufgrund der starken wirtschaftlichen Globalisierung der letzten Jahrzehnte heute keine Kriege mehr. Es müssten also noch andere Faktoren eine Rolle spielen.
Die bedeutendste Ebene sei jene der Ideen. Dies erkenne man vor allem mit Blick auf Europa, ein Kontinent, der immer ein extrem gewalttätiger Ort gewesen sei. Doch plötzlich, zu Beginn des 19. Jahrhunderts, seien Kriege in Europa rarer geworden. Was war passiert? Die Ideen der Aufklärungsbewegung entfalteten ihre enorme Wirkung. Nicht nur eine massive Ausweitung der wirtschaftlichen Produktion aufgrund der Industrialisierung sei zu beobachten gewesen. Es sei vor allem um zwei neue Ideen gegangen, die die Gesellschaft seit der Aufklärung verwandelt hatten.
Die erste Idee handle von der Vernunft. Wir würden Wahrheit fortan nicht mehr durch Offenbarung finden, sondern durch die Anwendung wissenschaftlicher Methoden und den Gebrauch unserer Vernunft. Wer die Vernunft gebrauche, weise jegliche Form des Mystizismus zurück. Jedes Individuum habe die Kapazität, die eigene Vernunft zu gebrauchen. Niemand müsse mehr auf einen übergeordneten Führer, Papst, Stammeshäuptling oder ähnliches zurückgreifen. Jeder sei in der Lage, die Wahrheit selbst zu ergründen.
Die zweite Idee der Aufklärung sei jene, dass fortan jedes Individuum für sich selbst Entscheidungen fällen konnte und nicht einen König oder Religionsführer um Erlaubnis bitten musste. Die Gesellschaft des 19. Jahrhunderts sei durch die Selbstbestimmung gekennzeichnet gewesen. Nicht mehr eine Gruppe, der Stamm, das Kollektiv zählte, sondern das einzigartige Individuum.
Der Grund, weshalb Kriege heute wieder wahrscheinlicher geworden seien, ist die Rückkehr des Antiindividualistischen und des Mystischen. Nur wenn man sich nicht um das Individuum schere, schicke man andere Menschen in den Krieg. Man opfere den Einzelnen nur dann, wenn man sich im Irrglauben befinde, dass es etwas Grösseres gebe als das Individuum, einen höheren Zweck. Eine weitere Ursache sei der Nullsummenglaube: Viele politische Führungsfiguren gingen irrtümlicherweise davon aus, dass die Wirtschaft ein Nullsummenspiel sei, und dass die eigene Wirtschaft nur wachsen könne, indem man die Rohstoffe anderer Länder erobere. Doch die Wirtschaft sei kein Nullsummenspiel, sondern bestehe bei einer freien Marktwirtschaft aus lauter win-win-Beziehungen.
In der anschliessenden Diskussion mit dem Publikum widmete man sich unter anderem der Frage, wie Sanktionen zu beurteilen seien. Brook argumentierte, dass Sanktionen sinnlos seien. Ein freier Handel mit einem anderen Land führe dazu, dass sich beide Seiten besserstellten. Wenn also ein Land als Aggressor auftrete, so sollte man aus seiner Sicht den Handel mit diesem Land gänzlich einstellen, um es nicht unnötig zu stärken. Aus dem Publikum wurde eingewendet, dass das komplette Einstellen jeglicher Handelstätigkeiten doch auch unschuldige Bürger bestrafe, die zufälligerweise im Land ansässig seien, aus welchem die Aggressionen der entsprechenden Politiker kämen. Es würden ja nicht alle bedingungslos hinter den politischen Führern ihres Landes stehen: Einerseits würden Wahlen gefälscht und andererseits gäbe es auch unterliegende Minderheiten. Brook entgegnete, dass es nicht Aufgabe der Angegriffenen sei, die guten und schlechten Bürger eines anderes Landes genauestens zu bestimmen und dann Sanktionen gegen einzelne zu erlassen. Vielmehr müsse man sich darauf fokussieren, das eigene Land zu verteidigen — und dann sei es problematisch, den Gegner durch wirtschaftlichen Austausch zu stärken. Vielmehr sei es an den Bürgern, mit ihren Füssen abzustimmen und damit aggressiven Herrschern ihre Legitimations- und Besteuerungsbasis zu entziehen.