Europa muss sich neu definieren
Die EU ist nach ihrem Selbstverständnis bzw. Selbstmissverständnis weder ein komplex vernetztes System von Staatsverträgen souveräner Staaten, noch ein Staatenbund, noch ein Bundesstaat, noch eine zentral verwaltete technokratische Infrastruktur-Bürokratie, sondern von allem ein wenig. Sie definiert sich als „ein politischwirtschaftlich- kultureller Zusammenschluss sui generis“. Das muss zu Problemen führen.
Tatsächlich ist die EU wahrscheinlich ein bürokratisch-korporatistisches Imperium, ein politisches Kartell, in dem die wirtschaftlich Einflussreichen die kleinen bzw. wirtschaftlich Schwächeren mit Transferzahlungen bei guter Laune halten und dafür finanzielle und politische Tribute einziehen und gleichzeitig den Wettbewerb der Systeme nach Möglichkeit ausschalten.
Unklar definierte Zuständigkeiten
Je unklarer und unprofilierter die Grundlagen sind, desto besser für die sich selbst beauftragenden und ermächtigenden Bürokraten. Die Enttäuschung über die fehlende Verfassungsgrundlage hält sich in Brüssel in Grenzen. Sie ist eher ein Problem der Staatspräsidenten als eines der EU-Verwaltung. Verwalten kann man auch ohne Verfassungsgrundlage, und die Eurokraten in Brüssel leben im Zustand unklar definierter Zuständigkeiten recht gut.
Die EU ist von ihrer Entstehungsgeschichte und von ihren Strukturen her ein Versuch, die Krisen des national strukturierten, sozialdemokratischen Industriezeitalters auf supranationaler bzw. kontinentaler Ebene zu überwinden. Eigentlich werden aber die durch eine allgemeinverbindliche demokratisch legitimierte nationale Gesetzgebung nicht mehr lösbaren Probleme, zum Beispiel in der Währungspolitik und in der tickenden Zeitbombe der kollektiven Altersvorsorge, einfach auf die europäische Ebene gehoben.
Aufbruch zu neuen Ufern
Der von breiten Kreisen bis ins Zentrum der bürgerlichen Parteien hinein postulierte und praktizierte „Vorrang der Politik“ ist nichts anderes als der dogmatisierte Irrtum des 19. und 20. Jahrhunderts. Es ging und geht um die Ersetzung des religiösen Glaubens durch den Glauben an den Staat und um eine Ersetzung der Privatautonomie durch ein allgemeinverbindliches Netzwerk von letztlich untauglichen Regulierungen.
Die EU ist mithin ein veraltetes Projekt, das im strukturkonservativen Denken des Merkantilismus, des Kalten Krieges und des entmündigenden Daseinsvorsorgestaates verhaftet geblieben ist und das für die globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts schlecht geeignet ist. Die Europäer stehen vor der Wahl, ob sie durch noch mehr Regulierung, Zentralisierung und Harmonisierung eine Legitimitäts- und eine Vollzugskrise ansteuern wollen, oder ob sie noch rechtzeitig den Aufbruch wagen zu offenen Strukturen.
Die Europäer müssen ihre Vielfalt wahren und pflegen und den Weg zu einer neuen EFTA im ursprünglichen Sinn einer „European Free Trade Association“ beschreiten, einer nach innen und außen offenen Gemeinschaft, in der die Mitglieder hohe Autonomie genießen. Aus diesem Grund sollten wir die Ambitionen der politisch- administrativen nationalstaatsähnlichen Megastruktur und allfällige Weltmachtträume hinter uns lassen. Europa braucht enge und flexible wirtschaftliche und kulturelle Kontakte auf der Basis des fremdherrschaftsfreien Tauschs. Als Basis einer gemeinsamen Sicherheitspolitik genügt ein robustes militärisches Friedensbündnis mit nationalen Streitkräften, welche die Defensive sicherstellen und interne und allenfalls gegenseitig wieder aufflammende Aggressionsgelüste im Keim ersticken können. Anstelle des unlesbaren Verfassungsvertrags von Lissabon wäre ein kurzes Dokument wie die Magna Charta Libertatum oder der Bundesbrief der alten Eidgenossen in Erwägung zu ziehen. Freihandel entsteht nicht durch neue komplizierte bilaterale und multilaterale Regeln, sondern durch den von den Beteiligten selbstbestimmten Abbau bestehender Schranken.
Januar/Februar 2009