Wirtschaft hofft auf Hilfe des Volks
Der Widerstand gegen die Energiestrategie wächst in der Wirtschaft. Swissmem prüft die Referendumsfrage.
Die Energiestrategie 2050 ist bis jetzt ein Werk von Politik und Verwaltung. Nun aber mehren sich die Anzeichen, dass das Volk das letzte Wort über dieses energiepolitische Jahrhundertprojekt haben wird. Zum entscheidenden Momentum könnte die Aufwertung des Frankens werden; dies zeigte sich gestern in Zürich an einer Veranstaltung des Liberalen Instituts. «Die Referendumsfrage muss ernsthaft geprüft werden», sagte Jean-Philippe Kohl, Vizedirektor des Verbands der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (Swissmem). Im Verband würden derzeit entsprechende Überlegungen gemacht. Die MEM-Industrie mit ihren 330'000 Beschäftigten bestreitet mit Exporten von 65 Milliarden Franken (2013) ein Drittel aller Güterausfuhren aus der Schweiz. Vor diesem Hintergrund mahnte Silvio Borner, emeritierter Basler Professor für Wirtschaft und Politik, die Frankenaufwertung allein sei schon eine existenzielle Herausforderung. «Zukunftsexperimente mit absehbarem Misserfolg können wir uns daher nicht leisten.»
Ende November hatte eine Expertengruppe um Borner und den Ökonomen Bernd Schips vorgerechnet, der Einsatz von Fotovoltaik, Windkraft und Geothermie erfordere Investitionen in Anlagen sowie Zusatzfinanzierungen in Netzausbauten, Netzerweiterungen und Speicher von über 100 Milliarden Franken — dies sei viel zu viel Geld. Die Energiestrategie müsse deshalb gestoppt und grundsätzlich überarbeitet werden.
Auch Swissmem hegt Befürchtungen, sollte die Energiestrategie samt geplantem Atomausstieg umgesetzt werden: Die Versorgungssicherheit werde schleichend sinken, weil die Förderung der erneuerbaren Energien nicht im Gleichschritt mit dem Ausbau der Speichermöglichkeiten und den Verstärkungen im Übertragungs- und Verteilnetz erfolge. «Auch beeinträchtigt die steigende Abgabenbelastung wettbewerbsfähige Strompreise», sagte Vizepräsident Kohl mit Blick auf die kostendeckende Einspeisevergütung, mit der die Politik die erneuerbaren Energien fördert. Der Nationalrat hat in der Wintersession den Abgabesatz von maximal 1,5 Rappen pro Kilowattstunde auf deren 2,3 erhöht. Derzeit brütet die ständerätliche Energiekommission (Urek) über der Energiestrategie. Kohl befürchtet jedoch, die Urek werde nicht mehr als kosmetische Retuschen vornehmen.
Kohls klare Worte dürften die SVP freuen. Die Partei zeigt sich gewillt, das Referendum zu ergreifen — allerdings nicht im Alleingang. In der Pflicht sieht die SVP die Wirtschaft. Doch ihr Dachverband Economiesuisse hält sich bis dato zurück. Man wolle die Debatte im Ständerat abwarten, sagt ein Sprecher.
Ex-BFE-Direktor mit im Boot
Derweil läuft im Bundeshaus ein intensives Lobbying gegen die Energiestrategie. Die Urek-Mitglieder haben jüngst ein Schreiben von rund 600 Vertretern aus Wirtschaft und Wissenschaft erhalten. Zu den Unterzeichnern gehört pikanterweise Eduard Kiener, 1977 bis 2001 Direktor des Bundesamts für Energie (BFE). Er sei kein Gegner der Energiewende, sagt Kiener auf Anfrage. Doch die Energiestrategie 2050 fokussiere falsch. «Die zukunftsentscheidende Aufgabe der Energiepolitik ist nicht der Atomausstieg, sondern der langfristige Umbau des gesamten Energiesystems in eine nachhaltige Energieversorgung.» Nur dieser verdiene die Bezeichnung Energiewende. Im Vordergrund müsse der Ersatz der fossilen Energien stehen.
Ob die mahnenden Stimmen Gehör finden, wird sich zeigen. Letzte Woche hat die Urek beschlossen, auf die Vorlage einzutreten. Präsident Ivo Bischofberger (CVP) stellt aber klar, die Kommission werde sie unter den veränderten Vorzeichen — Frankenaufwertung und sinkende Preise für fossile Energien — behandeln. Die Urek dürfte die Vorschläge des Nationalrats also nicht einfach durchwinken.
17. Februar 2015