Wir akzeptieren Bargeld

Es läuft eine Offensive gegen Cash an: Die Flucht in Noten fessle den Notenbanken die Hände in der Negativzinspolitik. Doch gerade das macht einen Teil des Charmes von Barem aus.

Der Feind heisst Bargeld. Ökonomen wie Willem Buiter (Citi), Andrew Haldane (Bank of England), Miles Kimball (Uni Michigan) oder Kenneth Rogoff (Harvard) rühren die Trommel zum Feldzug: Sie wollen Cash, in ihren Augen ein barbarisches Relikt, abschaffen oder wenigstens besteuern.

Wieso? Ein modisches Argument verweist darauf, dass den Zentralbanken Grenzen gesetzt sind im Verhängen von Negativzinsen, solange Bürger und Institutionen die Möglichkeit haben, in Bargeld zu flüchten. Mit voll elektronischem Geld oder einer Gebühr auf Bargeld könnten sie diesen «Zero Lower Bound» durchbrechen und beispielsweise auf —6% gehen. Daneben gibt es traditionellere Argumente, die für das Einschränken, das Abschaffen oder das Besteuern von Bargeld angeführt werden: So liesse sich gleich eine ganze Reihe von Übeln bekämpfen — namentlich Steuerflucht, Geldwäsche, Schwarzarbeit, Kriminalität, Terrorfinanzierung. Ist die weitgehende oder völlige Beseitigung von Münzen und Noten die Allzweckwaffe gegen die angeblich drohende Deflation plus eine ganze Reihe gesellschaftlicher Probleme dazu? Mitnichten. Es sind hauptsächlich zwei Argumente, die dagegen sprechen. Zunächst ist die vermeintliche wirtschaftliche Heilswirkung erheblich schärferer Negativzinsen bloss ein Glaubenssatz aus dem keynesianischen Katechismus. Das breite Publikum mit einer Strafsteuer (alias Enteignung, alias Diebstahl) von zum Beispiel 6% auf dem Bankkonto zu sofortigem Konsum oder in die Spekulation zu peitschen, ist ökonomisch über alle Massen fragwürdig und politisch absolut unsäglich.

Nicht noch schärfere Negativzinsen

Es ist im Gegenteil segensreich, dass die Geldpolitiker dank der Existenz von Bargeld die Zinsen nicht noch extremer manipulieren, sich nicht noch weiter in der geldpolitischen Terra incognita verirren können. Die Verewigung dieser Stimuli-Quacksalberei ist besorgniserregend. Richtig wäre vielmehr die allmähliche Rückkehr zu normaleren Zinsen, was signalisieren würde: Der Alarm ist endlich aus. Das würde Vertrauen schaffen bei Investoren wie bei Konsumenten und Sparern. Apropos Sparer: Wenn der Staat bzw. die Notenbank Ersparnisbildung als Straftat behandelt und mit einer saftigen Geldbusse sanktioniert, zerstört dies die Grundlage der Marktwirtschaft, vom gesellschaftspsychologischen Schaden ganz zu schweigen. Wer soll denn investieren, Unternehmen oder Private, wenn zuvor kein Geld angespart werden darf? Wer soll noch einen Anreiz haben, sich durch Leistung und Konsumaufschub zu verbessern? Wie sollen Altersguthaben geäufnet werden? Wie kann von Freiheit noch die Rede sein, wenn anmassende Technokraten alle dazu zwingen dürfen, ihr Eigentum subito zu verprassen oder in Anlagemärkte zu stecken — und dort zur Blasenbildung beizutragen?

Die übermütigen Gedankenspiele um die Knebelung des Gebrauchs von Bargeld oder gar um dessen vollständige Beseitigung werfen immerhin die wichtige Frage auf, wie die Mandate der Zentralbanken sinnvollerweise abgefasst, mithin begrenzt werden sollten. Dazu auch, wem die Notenbanken Rechenschaft ablegen müssen. Ihre Unabhängigkeit, lange Zeit zu Recht eine geschätzte Errungenschaft, gehört auf den Prüfstand. Die «Hüter» des Geldes, das sie in beklemmend gigantischen Mengen aus dem Nichts schöpfen, haben unterdessen zu viel Macht, teilweise auch dank der selbstverschuldeten Ohnmacht der reformfaulen Politiker.

Das zweite zentrale Argument gegen diese Attacken auf das Bargeld ist der Schutz des barbarischen Relikts der Privatsphäre. Wenn Geld nur noch in elektronischer Form besteht, können die Geschäftsbanken, die Notenbanken und der Staat im Prinzip stets ausforschen, wer wem wann wo wofür wie viel bezahlt hat. Das ist heute schon in erheblichem, dank der Transaktionsangebote über das Internet steigendem Mass möglich, denn besonders grössere Zahlungen führt fast niemand mehr in bar aus. Dennoch bleibt eben auf absehbare Zeit ein beträchtliches, wenngleich abnehmendes anonymes Cash-Refugium — und das ist auch gut so, denn: «Gläserner Bürger» ist ein Euphemismus für Untertan.

In der Schweiz müssen Händler, sobald sie mehr als 100 000 Fr. in bar entgegennehmen, gewisse Sorgfaltspflichten erfüllen. Das mag seine Berechtigung haben. Der Generalverdacht gegen jeden, der seine Brötchen nicht mit Plastik, sondern mit Noten bezahlen will, ist hingegen unverschämt. Wer das Bargeld abschaffen will, schleift auch zwei bewährte Rechtsgrundsätze: das Recht, dass alle ihr Privateigentum schützen dürfen (also nicht einfach restlos der Trias Banken-Notenbank-Staat ausgesetzt sein sollen), und eben die Unschuldsvermutung. Nur nebenher: Das Bargeld aufzuheben, wäre in der Schweiz politisch chancenlos, im Parlament und erst recht vor dem Volk. Denkbar ist allerdings, dass die «üblichen Verdächtigen» (OECD, USA) auf niedrigere Zahlungslimiten drängen werden.

An einer Konferenz des Liberalen Instituts zum Thema Bargeld war dieser Tage die Rede von der technischen Möglichkeit, elektronisches Geld zu anonymisieren, etwa über das digitale Portemonnaie. Bargeld nähme so bloss eine andere, zeitgemässere, sicherere Form an. Das leuchtet dem Laien jedoch nicht restlos ein. Wirklich wasserdicht anonym sind nur Bargeldtransaktionen, denn sobald Informatik ins Spiel kommt, bleibt eine Spur, und wo eine Spur ist, ist ein Schnüffler. In den nordischen Ländern wird fast nicht mehr bar bezahlt; ein finnischer Referent versicherte treuherzig, schliesslich sei die Regierung da, dem Volke Gutes zu tun. Anderswo würde man das nüchterner umschreiben, und vor allem geht's hier um das Prinzip: Wie viel Macht sollen Behörden haben, wie viel Einsicht sollen sie sich verschaffen dürfen?

Auch die älteren Argumente gegen das Bargeld überzeugen nicht. Steuerhinterziehern, Drogenhändlern, gewalttätigen Glaubensfanatikern würde bestenfalls vorübergehend geringfügig das Leben erschwert, doch auch und gerade schlechte Menschen sind kreativ. Schwarzarbeit etwa lässt sich entgelten, indem der Häuslebauer mit dem Maler zum Supermarkt fährt und ihm dort den Einkauf über seine Karte finanziert. Am Ende müsste der Staat folgerichtig auch den Tauschhandel verbieten, um wirklich jeden Ausweg zu stopfen, dezentrale Zahlungssysteme wie Bitcoin desgleichen.

Ferner wurde an der Konferenz erwähnt, dass Völker in Hochinflationsländern nicht mehr aus der eigenen, schlechten Währung etwa in den Dollar fliehen könnten, wenn es ihn in Barform nicht mehr gäbe. Überhaupt, Greenback: Gut die Hälfte der Noten dürfte ausserhalb der USA im Umlauf sein — was geschähe damit? Es klappt in der Wirtschaftspolitik eben generell nicht, verschiedenste Ziele mit demselben Mittel anzustreben.

Die wahren Probleme liegen woanders

Das Abschaffen oder das Unattraktivmachen von Bargeld ist eine Kopfgeburt. Der Machbarkeits- und der Steuerungsfrohmut, das Menschenbild, die dem zugrunde liegen, sind vermessen bis gemeingefährlich. In Abwandlung von Lenin lässt es sich so fassen: Vertrauen ist schlecht, Kontrolle ist besser. Diese Debatte lenkt auch von den echten Problemen ab, etwa vom erwähnten zähen Unwillen der Politiker, schmerzhafte Reformen durchzupauken, von der Fehlkonstruktion des Euros, von der Kapitalschwäche weiter Teile des Bankensystems (dem die Menschen ohne Bargeld noch stärker ausgeliefert wären). Die grossen Havarien in der jüngeren Wirtschaftsgeschichte — Lehman, Subprime, Libor etc., neuerdings VW — hatten mit Bargeld nichts zu tun.

Geld ist seit dem Ende des Goldstandards ein Fetisch, legte der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk am Anlass des Liberalen Instituts dar: ein mental aufgeladener Gegenstand, an den die Menschen zu glauben gezwungen sind. Das lässt sich schlecht bestreiten, und in diesem Fall ist auch Bargeld nur ein Fetisch. Doch einer, den man geradezu erfinden müsste, wenn es ihn nicht gäbe.

Manfred Rösch, Finanz und Wirtschaft

7. November 2015